Schwimmen:Die Müllbeutel-Debatte

Nach Britta Steffen schwimmt auch Daniela Samulski bei den deutschen Meisterschaften Weltrekord: Bundestrainer Lange findet, nicht alles liegt am Anzug.

Josef Kelnberger

Dirk Lange, der Bundestrainer, will diplomatisch sein, einen Tag nach dem unverhofften Weltrekord von Britta Steffen im Vorlauf über 100 m Freistil. Aber ein wenig, das gibt er zu erkennen, hat ihn die Begleitmusik dieses Rekords doch gestört. "Hoch anrechnen" müsse er es Britta Steffen, sagt Lange, dass sie ihren Rekord so bescheiden mit ihrem neuen Schwimmanzug begründe. Ein wenig "Marketing" sei wohl auch dabei. Er warnt aber davor, diese Marke von 52,85 Sekunden "kleinzureden".

Schwimmen: Es geht auch ohne den neuesten Anzug: Daniela Samulski stellte am Freitag in 27,61 Sekunden einen neuen Weltrekord über 50 Meter Rücken auf.

Es geht auch ohne den neuesten Anzug: Daniela Samulski stellte am Freitag in 27,61 Sekunden einen neuen Weltrekord über 50 Meter Rücken auf.

(Foto: Foto: dpa)

Britta Steffen sei als zweimalige Olympiasiegerin eine absolute Ausnahmeathletin. Sie habe in Norbert Warnatzsch, der nun zusammen vom DSV und dem Berliner Verband finanziert wird, einen persönlichen Coach und finde am Stützpunkt Berlin optimale Trainingsvoraussetzungen vor. Alles in allem habe Britta Steffen also "die besten Bedingungen der Welt". So eine Athletin, heißt das, kann schon mal Weltrekord schwimmen.

Altes Modell mit Riss

Dirk Lange hat mit Sportdirektor Lutz Buschkow die Aufgabe, die deutschen Schwimmer nach dem Olympia-Fiasko an die Weltspitze zurückzuführen. Sie haben das Stützpunktsystem reformiert, eine straffere Hierarchie eingeführt, haben den Athleten mehr Training verordnet und harte Normzeiten für die WM Ende Juli in Rom vorgesetzt. Derzeit schwimmen die Athleten auf breiter Front Rekorde, nicht nur deutsche. Nach Britta Steffen schwamm am Freitag auch Daniela Samulski Weltrekord. Über die 50 m Rücken schlug sie im Finale nach 27,61 Sekunden an, eine Steigerung von 24 Hundertstel gegenüber ihrer Europarekordzeit vom Donnerstag.

Die 24-jährige Berlinerin, die für Wuppertal startet, leistete nebenbei ihren eigenen Beitrag zur Anzugdebatte: Sie trug keine der neuen Plastikhäute, sondern ein Modell aus dem Vorjahr, das noch dazu kurz vor dem Finale am Oberschenkel gerissen war. Ihr Trainer Henning Lambertz klebte es notdürftig. "Es schwimmt immer noch der Athlet, nicht der Anzug", sagte Samulski. Im übrigen hatte auch Paul Biedermann seine Europabestmarke über 200 m Freistil (1:44,88) kurz vor der deutschen Meisterschaft in Monte Carlo in einem zwei Jahre alten Modellaufgestellt. Verständlich also, dass Dirk Lange die Wirkung der Anzüge klein reden will, zumal noch offen ist, ob der DSV noch vor der WM in Rom einen neuen Verbandsausrüster benennt, und wenn ja, welchen. Ausgerechnet der alte Ausrüster, der sich nach Athletenkritik zurückzog, lieferte ja Britta Steffen ihren "Weltraumanzug". Das soll die Kollegen nicht verunsichern.

Die ewige Anzug-Debatte

An einer historischen Wegmarke sieht Dirk Lange die Sportart gleichwohl. Mit der Regulierung der Anzüge werde entschieden, "welcher Typus von Schwimmer sich durchsetzt und welches Equipment man braucht". Im Vergleich zum Saisonbeginn habe es ja schon Fortschritte im Reglement gegeben. Von der Materialentwicklung überrollt, verfügte der Weltverband Fina im März, es dürften keine zwei Anzüge übereinander getragen werden, und sie dürften nicht mehr über Schulter und Knöchel reichen.

Außerdem begrenzte man die Auftriebswirkung. Dieses Kriterium aber ist nur schwer zu überprüfen. Als die Fina nun überraschend die meisten der mit Polyurethan überzogenen Anzüge genehmigte, versetzte sie Athleten und Trainer in schiere Aufregung. Der Franzose Amaury Leveaux, Olympiazweiter über 50 m Freistil, hat als erster einen Boykott der WM angekündigt, weil er seinen Ausrüster ungerecht behandelt sieht. Auch Paul Biedermann fürchtet Wettbewerbsverzerrung, nachdem das neue Modell seines Ausrüsters nicht genehmigt wurde und modifiziert werden muss. Der Anzug aus dem Jahr 2007 "hilft mir nicht im Wasser", sagt Biedermann.

Plädoyer für den Fortschritt

Von der Saison 2010 an will die Fina das Material klar reglementieren. Welchen Weg die Sportart gehen soll, ist umstritten. Der Frankfurter Rückenschwimmer Helge Meeuw trug, um konkurrenzfähig zu bleiben, in Berlin auch einen dieser "Plastikmüllbeutel", wie er sie nennt. Er plädiert für eine Rückkehr zu Badehose und Badeanzug. Bundestrainer Lange hielte das für "unprofessionell". Das Publikum wolle den Fortschritt sehen, er empfiehlt einen "kleinen Schritt zurück". Wie weit zurück man gehen soll, überlegt auch der Weltverband. Zurück hinter die Anzüge, die die Strömungseigenschaften so verbesserten, dass man sie für die Rekordflut im Olympiajahr verantwortlich machte? Oder nur zurück hinter die kunststoffbeschichteten, wasserabweisenden Anzüge des Jahres 2009, die dem Schwimmer das Gefühl geben, er gleite auf einem Luftkissen?

Dirk Lange findet, man dürfe die Industrie nicht vertreiben. Er kann sich vorstellen, dass die Anzüge nach Disziplinen ausdifferenziert werden und es in jedem Team einen beratenden Materialwart geben wird. Auch bei der Talentsichtung müsse man reagieren. Große, kräftige Athleten seien nun im Vorteil, die könnten die Strömungs- und Auftriebsvorteile der neuen Anzüge am besten in Tempo umsetzen. "Viele ältere Trainer fühlen sich durch den Fortschritt persönlich angegriffen", sagt Dirk Lange, "ich ziehe es vor, auf die neuen Bedingungen zu reagieren."

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