Schwimmen:Der Gebeutelte

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Alle Widerstände überwunden: Ole Braunschweig. (Foto: Csaba Doemoetoer/Gepa/Imago)

Scherbe im Knie, Kreuzbandriss, Pfeiffersches Drüsenfieber und Corona: Ole Braunschweig startet in Budapest nach Jahren voller Verletzungen in sein WM-Rennen über 50 Meter Rücken.

Von Sebastian Winter, Budapest

Ole Braunschweig ist in die Duna-Aréna gekommen, erster Stock, Interview-Zone, nicht viel los an diesem Donnerstagmittag. Der 24-Jährige hat ein paar Minuten Zeit, sein WM-Rennen über 50 Meter Rücken ist erst am Tag darauf, und der Schwimmer der SG Neukölln rauft sich die Haare - jedenfalls die Stoppeln, die noch übrig sind. Nachwirkungen der Kahlrasur: Nach dem Halbfinale über 200 Meter Rücken, in dem Braunschweig am Sonntag 16. geworden war, hatte Florian Wellbrock ihm ja die Haare per Rasierer geschoren - eine Wette, die Braunschweig einlösen musste. Dass Wellbrock ein recht talentierter Friseur ist, konnten Fans dann in den Sozialen Medien mitverfolgen. "Wir haben das eben in der Mittagspause mal schnell gemacht", sagte Braunschweig.

Am Freitag nun will der Geschorene über die kürzeste Rücken-Distanz einen neuen deutschen Rekord aufstellen - und idealerweise ins Finale kommen. Auch die Staffel am Samstag wartet noch auf ihn. Doch der Weg, der Braunschweig zu diesen Weltmeisterschaften nach Budapest geführt hat, war so voller Hindernisse, dass man sich fragt: Wie sehr muss einer leiden, bis er sich auch mal belohnen darf?

Sein Bruder, der bei den Paralympics war, unterstützt ihn

2016, eine Wiese, auf der Braunschweig mit zwei Kumpels rennt. Er stolpert, fällt, "und genau dort ist eine zehn, fünfzehn Zentimeter große Scherbe in der Wiese gesteckt. Ich habe mir die Scherbe zur Hälfte ins Knie reingewuchtet, die Arterie, der Muskel, der Schleimbeutel waren durch, ich habe damals ziemlich viel Blut verloren", sagt Braunschweig am Donnerstag im Bauch der Duna-Aréna der SZ. Er habe dann selbst den Krankenwagen gerufen, seine Kumpels waren starr vor Schreck. Braunschweig hatte Glück, dass er wieder ganz gesund wurde, die lange Narbe an seinem linken Knie ist deutlich zu sehen. Doch es sollte nicht der letzte Rückschlag sein.

Kreuzbandriss Ende 2019, beim Athletiktraining. "Zwei oder drei Tage später war ich wieder im Becken, habe nur mit den Armen gekrault. Ich will immer mein Ziel erreichen, koste es, was es wolle." Ein halbes Jahr später, der Kreuzbandriss ist gerade am Verheilen: Pfeiffersches Drüsenfieber. Und als wäre das alles nicht genug, erwischte Braunschweig Anfang 2021 auch noch das Coronavirus. "Es war nicht die allerbeste Vorbereitung für die Spiele, aber da muss man vom Mindset her positiv bleiben", sagt Braunschweig. Mal so gesagt: Andere wären an diesen Hindernissen längst zerbrochen. Braunschweig nicht. Er schafft die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Tokio. Platz 25, egal, er war dabei.

Ole Braunschweigs Bruder Malte ist ebenfalls Schwimmer - bei den Paralympics

Und er bedauert, dass er wegen der strengen Corona-Regeln schnell abreisen muss, denn sein jüngerer Bruder Malte, der seit seiner Geburt eine Dysmelie des rechten Arms hat - ihm fehlt teilweise die Muskulatur - hatte sich für die Paralympics qualifiziert. Die Brüder waren zusammen auf der Grundschule, auf der Sportschule, "wir haben alles zusammen gemacht", sagt Ole Braunschweig. Malte startet an diesem Wochenende bei der deutschen Meisterschaft im Rahmen der Finals in Berlin. "Er möchte dort was raushauen", sagt Ole.

Der hingegen hat in Budapest noch etwas vor, sein 16. Platz über die 200 Meter war schon mal das beste internationale Ergebnis, das er je erreicht hat. Trotz all der Verletzungen - und obwohl er bis 2019 nicht in der Spitzensportförderung war. "Ich bin ziemlich hinterhergeschwommen, auch weil sich die Kaderrichtlinien ziemlich oft geändert haben", erzählt Braunschweig. Er hat dann eben gearbeitet neben dem aufwändigen Training, "auf 400-Euro-Basis bei Freunden von meinen Eltern im Steuerbüro". Inzwischen ist er bei der Bundeswehr, Sportfördergruppe, bekommt Sporthilfe, sein Verein unterstützt ihn, alles gut.

Paris 2024 ist jetzt das Ziel, für Ole Braunschweig, genauso wie für seinen Bruder. "Klar hadert man mal und fängt dann bei Null an. Aber ich bin einer, der positiv denkt", sagt er noch, bevor er wieder in den Gängen der Arena von Budapest verschwindet. Man kann das so stehen lassen.

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