Schwimm-WM:"Nur schwimmen, nichts denken"

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Sind ja auch anstrengend, diese 25 Kilometer: Lea Boy nimmt im Lupasee einen Schluck aus der Pulle. (Foto: Ian MacNicol/dpa)

Lea Boy vom SV Würzburg 05 hat bei der Weltmeisterschaft in Budapest Staffelgold und Silber über 25 Kilometer im Freiwasser gewonnen. Ein Gespräch über die Erschöpfung nach dem Marathon, Leere im Kopf, Grünzeug am Körper - und die Angst vor Fischen.

Von Sebastian Winter

SZ: Frau Boy, hätten Sie kurz Zeit für ein paar Fragen? Silber über 25 Kilometer im Lupa-See und Gold mit der Freiwasser-Staffel um Florian Wellbrock gewinnt man bei einer Schwimm-Weltmeisterschaft ja auch nicht alle Tage.

Lea Boy: Können wir gerne machen, eine Erkältung hält mich ohnehin zuhause im Bett.

Oh.

Ja, 25 Kilometer Schwimmen, dann 37 Grad Außentemperatur, ab in den klimatisierten Bus und danach ins klimatisierte Hotelzimmer, das war wohl ein bisschen viel für den Körper.

Gab es schon einen kleinen Empfang in Würzburg, wo Sie seit Ihrem Wechsel von Ihrer Heimat Elmshorn im Jahr 2018 trainieren - und eine Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement machen?

Bisher nicht, bei unserer Rückkehr nach Frankfurt war zwar am Flughafen die Hölle los, aber nur deswegen, weil dort Tausende Koffer standen, die niemandem gehörten. Wir sind dann weiter nach Würzburg, ich habe mich ins Bett gelegt, am Donnerstag geht es schon nach Paris zum Weltcup. Am nächsten Montag gibt es wohl eine kleine, von meinem Verein SV Würzburg 05 organisierte Feier.

Denken Sie gerade noch an den Lupasee in Budapest zurück?

Ich habe ja nur gute Erinnerungen an den See, dort habe ich 2021 ja auch den EM-Titel über 25 Kilometer gewonnen. Von daher bin ich ganz positiv in mein Rennen gegangen und kann eh ganz gut ausblenden, dass das so eine lange Strecke ist. Schwupps, ist das Ziel schneller da, als man gucken kann.

Aber für Laien ist das doch undenkbar, 25 Kilometer ununterbrochen zu schwimmen, über 5 Stunden, 24 Minuten und 15 Sekunden hinweg - das war Ihre Zeit.

Klar, aber wir waren die ersten 15, 20 Kilometer auch sehr, sehr langsam unterwegs. Das ist nicht anstrengend. Meine Aufgabe war es, mich nur an der brasilianischen Olympiasiegerin Ana Marcela Cunha zu halten, sie weiß genau, wer wo ist, kennt die Streckenlänge. Ich bin 22 Kilometer an ihren Füßen geschwommen. Auf der letzten Runde muss man dann aufpassen, vor allem auf der letzten Geraden. Da ging es rund, wir waren ja ein Quartett, das binnen einer Sekunde angekommen ist im Ziel.

In illustrer Gesellschaft: Silbergewinnerin Lea Boy (v. li.) mit Weltmeisterin Ana Marcela Cunha und Olympiasiegerin Sharon van Rouwendaal bei der Medaillenzeremonie... (Foto: Attila Volgyi/Xinhua/Imago)

Cunha, die brasilianische Olympiasiegerin von Tokio, holte mit 0,2 Sekunden Vorsprung vor Ihnen Gold, Dritte wurde die niederländische Olympiasiegerin von Rio, Sharon Rouwendaal, 0,1 Sekunden hinter Ihnen. Was für ein Finish!

Man muss alles geben, was der Körper noch hergibt, und hoffen, dass es irgendwie reicht für eine Medaille. Ich hätte auch Vierte werden können. Aber ich hatte eine gute Position ganz außen, von wo aus ich mich freischwimmen konnte, um dem Chaos aus dem Weg zu gehen.

Keine Ellenbogen abbekommen?

Nein, die beiden Olympiasiegerinnen sind sehr, sehr vorsichtig und fair. Da gibt es andere, die mehr auf Kämpfe aus sind und mit härteren Bandagen kämpfen. Die kennt man und hält möglichst viel Abstand.

Beschreiben Sie mal, wie sich so eine Strecke anfühlt, was der Kopf macht, wann welche Schmerzen kommen?

Die ersten zehn Kilometer sind noch okay, nach der Hälfte denkt man: Wann ist es endlich vorbei? Man muss den Kopf ausschalten können, um fünfeinhalb Stunden Kreise zu drehen. Es ist einfach nur schwimmen, nichts denken, so ist das wirklich.

Skurril wirkt die Verpflegungsstation: Da werden Angeln vom Steg aus ins Wasser gehalten, an deren Ende Getränke oder Snacks hängen. Wie schwimmt und isst man gleichzeitig?

Man weiß ja ungefähr, wo sein Verpfleger steht, dann gibt's zwischendurch mal eine Banane oder etwas zu trinken. Auf dem Rücken schwimmt man dann mit einer Hand weiter und in der anderen hat man die Banane oder das Getränk. Wir schmeißen die leeren Schalen oder Becher dann wieder weg, im Lupasee haben, glaube ich, Taucher den Müll wieder herausgeholt.

Und was ist Ihnen noch so im Freiwasser begegnet?

Im Lupasee hing irgendwann ganz schön viel Grünzeug am Körper. Das muss man zwischendrin auch mal abmachen. Ansonsten bin ich von vielem verschont geblieben, was andere schon erlebt haben ...

... wie der zwölfmalige Freiwasser-Weltmeister Thomas Lurz, der von Ratten, toten Schildkröten oder Holzpaletten mit Nägeln im Meer berichtete?

... und vier Tage vorher mit Florian Wellbrock (li.), Leonie Beck (2. v. re.) und Oliver Klemet - sowie Staffelgold um den Hals. (Foto: Giorgio Scala/Insidefoto/Imago)

Wir hatten nur in Abu Dhabi einmal Quallen, ansonsten hatte ich immer Glück, dass das Wasser sauber war. Anfangs hatte ich allerdings ein großes Problem mit Fischen. Mit 15, 16 Jahren war das, mein erstes Rennen bei den Erwachsenen, auch in Abu Dhabi. Da gab es alle Fische, große, kleine, Tausende. Schon als wir reingesprungen sind. Ich fand das so schlimm, dass ich unter Wasser die ganze Zeit die Augen geschlossen habe.

Warum tut man sich so einen Wassermarathon eigentlich an?

Ich bin da leider einfach reingerutscht in diese ultralange Strecke (lacht). Bei der WM 2019, bei der EM 2021 mit dem Sieg, jetzt mit WM-Silber. Die zehn und fünf Kilometer sind höher angesehen und im Gegensatz zu den 25 ja auch die olympischen Strecken. Richtung Paris 2024 liegt mein Fokus klar auf den zehn Kilometern.

Und bei der EM in Rom in diesem August, wo die Freiwasser-Wettbewerbe im Meer an der Küste von Ostia geplant sind?

Da habe ich mich auch für die Beckenwettkämpfe qualifiziert, über 800 und 400 Meter, aber das haben wir abgesagt. Ich schwimme in Rom fünf und zehn Kilometer. Und die 25 Kilometer? Ob ich mir die auch noch antue, weiß ich noch nicht.

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