Schwimm-WM:Mach mal Pause 

Franziska Hentke und Philip Heintz werden jeweils Vierte bei der WM. Während Hentke nach 200 Metern Schmetterling ratlos aus dem Becken steigt, ist Lagen-Spezialist Heintz begeistert: Er hat den Spaß im Wasser neu entdeckt.

Von Claudio Catuogno, Gwangju

Eine deutsche Schwimmerin und ein deutscher Schwimmer sind am Donnerstag bei den Weltmeisterschaften in Südkorea Vierte geworden. Aber das war es auch mit den Gemeinsamkeiten. Um das zu erkennen, reichte ein kurzer Blick in die beiden Gesichter.

Zunächst kam Franziska Hentke um die Ecke gebogen, Schuhe, Trinkflasche und Handtuch unter den Arm geklemmt. Hentke, 30, ist jetzt WM-Vierte über 200 Meter Schmetterling. 26 Hundertstelsekunden fehlten ihr zu Bronze. Sie sah ratlos und niedergeschlagen aus, ihre Stimme klang den Tränen nahe, als sie sagen sollte, was da passiert war: 2:07,30 Minuten, weit jenseits ihrer persönlichen Bestzeit.

Hentke war immer als eine der Ersten genannt worden, wenn es um deutsche WM-Teilnehmer ging, die überhaupt eine Chance haben könnten, gegen die internationale Konkurrenz um eine Medaille zu schwimmen. Sie ist die Silber-Gewinnerin der WM 2017 in Budapest. Sie ist in Magdeburg bei Bernd Berkhahn in derselben Trainingsgruppe wie viele der Freiwasserschwimmer, die in der ersten WM-Woche einen Erfolg an den anderen gereiht hatten. "Ich dachte, ich bin in der besten Verfassung, die ich je hatte, da ist die Zeit einfach enttäuschend. Vom Training her hätte ich mehr draufhaben müssen", sagte sie. Neunmal war sie in ihrer Karriere sogar schon schneller geschwommen als die neue Weltmeisterin Boglarka Kapas aus Ungarn (2:06,78). Ihr deutscher Rekord liegt anderthalb Sekunden unter der Siegerzeit. "Das ist aus meiner Perspektive schon sehr bitter", sagte sie.

Franziska Hentke dachte vor allem daran, was möglich gewesen wäre.

Dann kam Philip Heintz. Heintz, 28, ist jetzt WM-Vierter über 200 Meter Lagen, in 1:56,86 Minuten. Acht Hundertstelsekunden fehlten ihm zur Medaille. Er hatte die Mundwinkel bis fast zu den Ohren gezogen - und würden in den Katakomben des Aquatics Center von Gwangju nicht die Klimaanlagen brummen, man hätte Heintz in seinem Überschwang noch am anderen Ende des Geländes gehört, wo die Vertreter der örtlichen Kulturbehörden Prospekte mit Reisezielen in der Region verteilen.

Gwangju 2019 FINA World Championships: Swimming - Day 5

Zweimal haarscharf vorbei: Philip Heintz verpasst über 200 m Lagen die Bronzemedaille um acht Hundertstel-Sekunden.

(Foto: Catherine Ivill / Getty Images)

Klar, acht Hundertstel auf Bronze "sind immer ärgerlich". Aber Heintz dachte in Gwangju vor allem daran, was noch möglich ist. Und die Magie des Moments ergab sich auch aus einem markanten Kontrast.

Vor zwei Jahren bei der WM in Budapest war Philip Heintz nach seinem Finale ebenfalls in die Pressezone marschiert, damals war er sogar mit einer Weltjahresbestzeit angereist, wurde aber im Finale nur Siebter. Danach eröffnete er endgültig die Debatte über den damaligen Chefbundestrainer Henning Lambertz. Auf den sei er so wütend, sagte Heintz, dass man sich wohl "nur sinnlos anschreien" würde, wenn man sich begegne. Ausgerechnet vom obersten Medaillenzuständigen sah sich Heintz um eine Medaille gebracht - weil Lambertz ihm und seinem Trainer Michael Spikermann durch diverse Vorgaben eine störungsfreie WM-Vorbereitung erschwert hatte. Man müsse doch diejenigen, "die in der Vergangenheit schon bewiesen haben", dass sie es können, "einfach mal in Ruhe arbeiten lassen".

Heintz sprach damals aus, was längst immer mehr Beteiligte dachten. Seit Dezember 2018 ist Lambertz nicht mehr Chefbundestrainer. Und mit ihm sind auch die harten Normen verschwunden, die die Schwimmer dazu zwangen, sich schon für die WM- oder EM-Qualifikation in Bestform zu bringen, mit punktgenau terminierten Höhentrainingslagern und ausgetüftelten Ruhephasen. Und fünf Wochen später, beim Saisonhöhepunkt, waren die Effekte dann wieder verpufft - so war das 2017 jedenfalls bei Heintz. Diesmal ist er tatsächlich seine beste Zeit seit mehr als zwei Jahren im Finale von Gwangju geschwommen. Eine Punktlandung.

Bloß: Eine Medaille ist ja auch diesmal nicht für ihn herausgesprungen. Ist das nicht enttäuschend? Überhaupt nicht. "Für mich ist das hier ein Sieg", sagte Heintz: "Ich bin wieder der alte Philip, ich bin wieder der, der 100 Prozent gibt, der sich quälen mag ohne Ende, und der sagt, dass ich nächstes Jahr das Ding gewinnen werde." Das Ding! Man darf das schon so verstehen, dass Philip Heintz, geboren in Mannheim, wohnhaft in Heidelberg, 2020 in Tokio Olympiasieger werden will.

Schwimm-WM 2019

Auch Franziska Hentke wird über 200 m Schmetterling Vierte – ihr fehlten 26 Hundertstel.

(Foto: Bernd Thissen / dpa)

Für die Öffentlichkeit, die deutsche Schwimmer in den letzten Jahren eher mit herunterhängenden Mundwinkeln kennengelernt (und oft gleich wieder vergessen) hat, mag das eine gewagte Ansage sein. Für sich selbst hat Heintz dieses Ziel schon lange definiert. Abends vor dem Schlafengehen spielt er dieses Lagen-Finale von Tokio im Kopf schon mal durch, versucht, einen Rhythmus von Schwimmlage zu Schwimmlage hinzukriegen, überprüft, ob die Wenden sauber ausgeführt sind. 1:55 Minuten braucht er dafür im Kopf. Und nun hat er die Gewissheit, dass er auch im Becken wieder dahin kommen kann.

"Eigentlich", sagt er, "hatte ich die WM gar nicht auf dem Plan." Erst im Februar hat er wieder richtig zu trainieren begonnen nach einer mehrmonatigen Auszeit: "Dafür ist die Zeit der Wahnsinn."

Gar nicht so leicht zu sagen, was dringender kuriert werden musste: seine Schulterprobleme nach einem Riss der Supraspinatussehne. Oder seine Motivationsprobleme. "Im Nachhinein? Beides." Mach auch mal Pause, das hat ihn diese Auszeit gelehrt. Statt fünf schwimmt Heintz jetzt sechs Kilometer pro Einheit. Er hat die brutalen 400 Meter Lagen neu ins Programm genommen. "Stärken stärken, Schwächen schwächen." Klingt ganz einfach.

Franziska Hentke hat sich natürlich ebenfalls eine Olympiamedaille zum Ziel genommen. Aber wenn man die beiden in Gwangju nun davonlaufen sah, drängte sich der Gedanke auf, dass es Philip Heintz sehr viel leichter fallen wird, die Qualen zu ertragen, die dafür nötig sind.

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