Schwimm-WM:Die Zukunft kommt schnell

Eine 18-Jährige entthront Katie Ledecky, eine 19-Jährige schwimmt schneller als Sarah Sjöström - und Kristof Milak, ein Teenager aus Ungarn, zerschmettert einen Weltrekord von Michael Phelps.

Von Claudio Catuogno, Gwangju

Am Morgen, nachdem Ariarne Titmus, eine 18-Jährige aus Tasmanien, bei der WM in Südkorea die größte Freistilschwimmerin der Geschichte geschlagen hatte, traf sie im Athletendorf von Gwangju ihre Teamkollegin Cate Campbell, 27. Na, fragte Campbell, die selbst einmal Weltmeisterin war, die aber doch nie ein solches Rennen gewonnen hat, gegen eine Überschwimmerin wie Katie Ledecky aus den USA: Wie fühlst du dich? Mhh, hat Ariarne Titmus geantwortet: "Es ist okay. Die Sonne geht auch morgen wieder auf."

Unglaublich, "unbelievable", fand Campbell diese Reaktion: "Die hat wohl noch nicht begriffen, was da passiert ist."

Campbell hat von dieser Begegnung am Rande der WM in Gwangju erzählt, sie hat die junge Ariarne Titmus dabei ein bisschen nachgemacht, wie sie verträumt die Augen verdreht und mädchenhaft mit den Armen schlenkert. Das war ein passendes Bild zu dieser WM, bei der schon diverse unbedarfte Teenager mit großen Augen in die Halle rein geschlendert sind - und dann als Heldenbezwinger wieder raus.

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Ein kommender Dominator? Der Ungar Kristof Milak ist erst 19 Jahre alt.

(Foto: FRANCOIS-XAVIER MARIT/AFP)

Die Sonne geht auch morgen wieder auf? Das kommt auf die Perspektive an.

Katie Ledecky sah jedenfalls nicht so aus, als sei sie davon überzeugt. Regelrecht unhöflich war es, wie sie nach Titmus' Sieg über 400 Meter Freistil am Sonntag nicht einmal in der Lage war, der Australierin zu gratulieren, sondern auf der anderen Seite des Beckens ihre Teamkollegin Leah Smith in den Arm nahm. Man müsse das verstehen, bat ihr Trainer Greg Meehan am nächsten Tag in der New York Times: Wie solle jemand mit so einer Niederlage umgehen können, der eine "Katie-Person" sei? Also jemand, für den Niederlagen immer die Niederlagen der anderen waren?

Seitdem Ledecky 2012 mit 15 bei Olympia in London auftauchte, als schüchterner Teenager mit einem Schwimmbeutel über der Schulter, und auf Anhieb Gold über die 800 Meter gewann, hat sie bei keinem internationalen Event mehr ein Rennen über 400, 800 oder 1500 Meter Freistil verloren. Vier Mal Olympia- und zehn Mal WM-Gold kamen so zusammen, außerdem die aktuellen Weltrekorde über alle drei Strecken, und dazu noch einmal WM-Silber über 200 Meter sowie diverse Staffelmedaillen. Und Ledecky ist auch erst 22.

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Die Beste über 100 m Schmetterling: Kanadas Margaret MacNeil bezwang überraschend Schwedens Olympiasiegerin Sarah Sjöström.

(Foto: OLI SCARFF/AFP)

Nun muss man dazusagen, dass Katie Ledecky nicht ganz gesund in diese WM gegangen ist. Auf der vierten Bahn hatte sie am Sonntag schwere Beine, was man als Schwimmer gut kennt, aber offenbar nicht als Katie-Person. In einem Statement machte der Verband US Swimming eine "unbestimmte Krankheit" geltend und sagte alle Einzelstarts ab. Im nächsten Jahr ist schon wieder Olympia, offenbar ist es jetzt die Strategie, Ledecky mit dem tröstlichen Gefühl eines Staffel-Sieges in die Vorbereitung für Tokio zu entlassen, und nicht mit dem Frust einer weiteren Niederlage.

Am Dienstag, im Finale über 1500 Meter Freistil, gewann dann statt Ledecky die Italienerin Simona Quadarella, vor Sarah Köhler aus Magdeburg. Quadarellas 15:40,89 Minuten waren nicht nur italienischer Rekord, sondern sie ist damit jetzt auch die drittschnellste Frau, die jemals diese Strecke geschwommen ist. Quadarella ist 20.

Und schon am Montag trat ein weiterer Teenager ins Rampenlicht: Maggie MacNeil, 19, aus Kanada. Mit ihrem Sieg über 100 Meter Schmetterling machte sie die Hoffnungen der Weltrekordhalterin Sarah Sjöström, 25, aus Schweden zunichte, zum fünften Mal seit 2009 WM-Gold über die gleiche Strecke zu gewinnen. Maggie MacNeil trainiert an der University of Michigan, mit ihren 55,83 Sekunden vom Montag ist sie jetzt die zweitschnellste Frau der Schwimm-Geschichte auf den 100 Metern Schmetterling, hinter Sjöström. Zuhause im kanadischen Fernsehen sagte Byron MacDonald, ein erfolgreicher Trainer aus Toronto und Experte beim Sender CBC: "Maggie galt schon als eines der Talente der Zukunft.

Gwangju 2019 FINA World Championships: Swimming - Day 4

Weltrekordmann: So darf sich Milak nun nennen - er holte Gold über 200 m Schmetterling.

(Foto: Maddie Meyer/Getty)

Aber die Zukunft ist sehr schnell gekommen." Das ist sie in der Tat, die Zukunft. Und mal abgesehen von der Binsenweisheit, dass im Becken von Gwangju bestimmt nicht nur der ausgebuhte Chinese Sun Yang das ein oder andere Geheimnis hat, muss einem das gar nicht ausschließlich verdächtig vorkommen. Jahrhunderttalente werden anderswo systematischer aufgespürt und gefördert als im föderalen deutschen Sportsystem. Und es waren ja einst auch die Branchengrößen von heute, die ihrerseits in jungen Jahren die damaligen Helden vom Thron stürzten. Ledecky, Sjöström. Chad Le Clos.

Der Südafrikaner Le Clos wurde berühmt, weil er bei Olympia 2012 in London im Alter von gerade mal 20 Jahren den Allesgewinner Michael Phelps über 200 Meter Schmetterling bezwang. Bis dahin hatte Phelps in jedem Olympiarennen, in dem er antrat, Gold gewonnen, auf all seinen Strecken, mit allen Staffeln, unfassbare 23 Mal bis zu seinem Rücktritt 2016.

Und in Gwangju? Ist Chad Le Clos, 27, jetzt schon wieder seinem Nachfolger begegnet, wenn nicht weit mehr als das.

Phelps' Serie beendet - Weltrekorde über 200 m Schmetterling seit 2000

17. 6. 2000 Tom Malchow (USA) 01:55,18 Minuten

30. 3. 2001 Michael Phelps (USA) 01:54,92

24. 7. 2001 Phelps (USA) 01:54,58

22. 7. 2003 Phelps (USA) 01:53,93

17. 8. 2006 Phelps (USA) 01:53,80

17. 2. 2007 Phelps (USA) 01:53,71

28. 3. 2007 Phelps (USA) 01:52,09

13. 8. 2008 Phelps (USA) 01:52,03

29. 7. 2009 Phelps (USA) 01:51,51

24. 7. 2019 Kristof Milak (Ungarn) 01:50,73

"Gebt diesen jungen Kids a run for their money", hatte Le Clos vor dem Finale noch über den Ungarn Kristof Milak, 19, gesagt, also einen heißen Wettkampf auf Augenhöhe - "und dann sehen wir, was im Becken passiert." Es passierte am Mittwochabend dann dies: Chad Le Clos wurde Dritter. Und Kristof Milak, das junge Kid, gewann in 1:50,73 Minuten. Das war fast acht Zehntel schneller als der letzte Weltrekord, den Phelps 2009 in Rom über die 200 Meter Schmetterling aufstellte (1:51,51) - im damals noch erlaubten Hightech-Anzug. 1:50,73? Mit 19? Das war nun wirklich eine Zeit, bei der es einem ein bisschen unheimlich werden kann.

Ariarne Titmus stand am Mittwoch auch wieder auf dem Startblock, im Finale über 200 Meter Freistil, diesmal sogar umringt von zwei, nun ja, großen alten Damen des Schwimmens: links Sarah Sjöström, rechts Federica Pellegrini, 30. Nach der zweiten Wende setzte sich Titmus an die Spitze, Sjöström konnte nicht folgen und wurde Dritte. Aber Pellegrini glitt im Schlusssprint noch vorbei, wie sie es schon 2008 bei ihrem Olympiasieg in Peking gemacht hatte und 2009, 2011 und 2017 bei den Weltmeisterschaften.

Swimming - 18th FINA World Swimming Championships

Freundlicher Wink mit Gold um den Hals: Ariarne Titmus aus Australien bezwang über 400m Freistil Katie Ledecky aus den USA.

(Foto: KIM HONG-JI/REUTERS)

Pellegrini kletterte aus dem Wasser und sprach lachend ins Hallenmikrofon: "Ich bin zu alt für diese Emotionen." Dann verbeugte sie sich tief : "Das waren meine letzten Weltmeisterschaften. Vielen Dank." In Tokio werden sich die beiden wohl noch mal wiedersehen, Titmus und Pellegrini. Ehe sich dann nicht irgendeine Schwimmerin, sondern eine Federica-Person, bestimmt mit maximaler Grazie in den Ruhestand verabschiedet.

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