Süddeutsche Zeitung

Schwimm-WM:Den Namen Caeleb Dressel wird man sich merken müssen

Der US-Student gewinnt sieben Goldmedaillen und manche nennen ihn den "neuen Phelps", Katie Ledecky lernt verlieren - und Doping ist plötzlich kein Thema mehr. Geschichten von der Schwimm-WM.

Von Claudio Catuogno, Budapest

Hat man Michael Phelps, den Schwimm-Giganten, eigentlich vermisst bei der WM in Budapest? Ja und nein. Ja, weil sich Faszination und Unglaube, Begeisterung und Zweifel selten so perfekt in einem Schwimmerkörper vereint haben wie in dem Schlaks aus Baltimore, Gewinner von 28 Olympiamedaillen, davon 23 in Gold. Und nein, weil das Licht nun eben auf andere fiel. Nur einmal war Phelps kurz das Thema: als sich der Weiße Hai, gegen den er angeblich angetreten war ("Phelps vs. Shark"), als lächerliches Digitalmonster erwies. In Budapest hatten auch die Besten immer noch echte Gegner auf der Bahn neben sich. Die WM-Woche in Porträts.

Phelps und Algebra

Caeleb Dressel. Den Namen wird man sich merken müssen. Wenn überhaupt jemand infrage kommt, den Aufkleber "Der neue Phelps" auf die Stirn gepappt zu kriegen, dann er. 20 Jahre jung, geboren in Florida, deutsche Wurzeln. Dressel hat in Budapest das perfektioniert, wofür Phelps bis zu seinem endgültigen Rücktrit 2016 in Rio stets gefürchtet wurde: Gefräßigkeit. Aus dem Becken steigen, hoch zur Siegerehrung, in die Medaille beißen, zurückhasten in den Vorstartraum, rein in die Badehose, das nächste Finale. Die Konkurrenten: frisch, fokussiert. Er: abgehetzt, ausgepowert - und trotzdem wieder der Schnellste.

Die 4 x 100-Meter-Freistil-Staffel führte er als Startschwimmer zu Gold, holte im Einzel den Titel sowie mit der Freistil-Mixed-Staffel. Allein am Samstag siegte er binnen 98 Minuten über 100 Meter Schmetterling, 50 Meter Freistil und mit der gemischten Lagenstaffel. Am Sonntag dann: sein siebtes Gold, mit der Lagenstaffel der Männer. "Ja, aufregend, herausfordernd, mental anstrengend" sei das gewesen, sagte er. Aber nichts gegen das, was Caeleb Dressel am Montag bevorsteht: "Da habe ich einen Mathe-Test! Algebra!" Und die Phelps-Vergleiche? Tja, sagt Dressel: "Leute vergleichen Leute mit anderen Leuten." Er weiß nicht, "ob es mir recht ist, wenn die Vergleiche kommen, aber sie werden kommen". Sieben Medaillen könnte er 2020 in Tokio gewinnen, vielleicht acht, es werden so viele Staffeln im Programm sein wie nie zuvor. Gelegenheit, Geschichte zu schreiben, auch ohne Hai.

Schweigen nach dem Strafzettel

Julia Jefimowa kann wieder lachen. Für alle, die der russischen Brustschwimmerin gern dabei zusehen, ist das eine gute Nachricht. Aber es ist auch ein Zeichen dafür, dass sich die Schwimm-Community wieder einrichtet in ihrer Sprachlosigkeit zum Thema Doping. 2016 in Rio wurde Jefimowa noch gemieden; die Amerikanerin Lilly King, die Jefimowa Gold über 100 Meter Brust wegschnappte, nannte das "einen Sieg für den sauberen Sport". Misstrauen lag in der Luft. Während der Leichtathletik-Verband fast alle Russen ausgeschlossen hatte wegen des enttarnten Staatsdopingprogramms, sahen die Schwimmer da keine Handhabe. Und Jefimowa - zweimal positiv getestet, einmal mit verkürzter, einmal ohne Sperre weggekommen - war die Personifizierung des Unbehagens. Zumal, nachdem sie im ZDF-Interview sagte: "Wenn Sie einen Führerschein haben, fahren Sie irgendwann auch mal zu schnell, dann bekommen Sie einen Strafzettel." Und dann fahren Sie weiter. Ein Jahr später: keine Eklats. Über 200 Meter Brust schwamm Jefimowa zu Gold, über 100 zu Bronze. Am Sonntag, über 50 Meter Brust, siegte King in Weltrekordzeit (29,40), Jefimowa wurde Zweite. Und danach, tatsächlich: Küsschen links, Küsschen rechts. Tauwetter. Das dürfte ganz im Sinne der alten Männer an der Spitze des Weltverbandes Fina sein, die in der Dopingfrage gar nicht erst so tun, als hätten sie Problembewusstsein. Es sei unverhältnismäßig, seine größten "Stars zu sperren für kleinere Vergehen", hatte Exekutivdirektor Cornel Marculescu vor Jahren die Devise vorgegeben. Präsident Julio Maglione, 81, ist eh nur noch damit beschäftigt, möglichst jedem Autokraten den Fina-Orden umzuhängen. Zum Lachen ist das nicht.

Bert Le Clos ist ein Star in seiner Heimat Südafrika, und auch in Budapest sorgte der großgewachsene, bärtige Mann für Massenaufläufe, wenn er irgendwo auftauchte. Am Mittwochabend, nach dem Finale über 200 Meter Schmetterling, gönnte er sich noch ein Kaltgetränk in der Lounge eines Sponsors, woraufhin eine Gruppe euphorisierter Zuschauer Einlass in den VIP-Bereich begehrte - irgendwann gaben die Sicherheitsleute auf. Bert Le Clos ließ geduldig diverse Selfies mit sich anfertigen, ein paar Mädchen wollten auch noch seine Akkreditierung fotografieren. Danach ging es weiter in die Stadt, wo Bert Le Clos in einer Kneipe gesichtet wurde, stolz trug er die Goldmedaille um den Hals.

Nun muss man dazusagen, dass es gar nicht Bert Le Clos war, der diese Medaille gewonnen hatte. Sondern sein Sohn Chad, 25. Aber so, wie es die Ungarin Katinka Hosszu auch am Sonntag bei ihrem zweiten Gold (400 Meter Lagen) nicht ohne ihren am Beckenrand ausflippenden Trainer und Ehemann Shane Tusup gibt, so gibt es Chad Le Clos nicht ohne seinen Vater. Jeder Kameramann hat die Anweisung, Bert Le Clos einzufangen, weil das immer so schön irre ist. Und das Finale über 200 Meter Schmetterling war tatsächlich einer der Höhepunkte der WM - weil sich Le Clos, der Jüngere, ein packendes Finale mit dem Ungarn Laszlo Cseh lieferte - und mit 39 Hundertstelsekunden Vorsprung gewann.

Auch Le Clos wäre mal beinahe "der neue Phelps" geworden, was unter anderem daran scheiterte, dass der alte Phelps zwar 2012 zurücktrat, 2014 aber wiederkehrte - fast mit der alten Gefräßigkeit, und dummerweise auf Le Clos' Strecken. Trotzdem kamen für den Südafrikaner mittlerweile zusammen: vier Olympiamedaillen (darunter Gold 2012 - trotz Phelps neben sich), vier WM-Titel. Und auch am Freitagabend stand Vater Bert wieder auf der Tribüne, erst hüpfend, dann fassungslos. Halbfinale über 100 Meter Schmetterling, diesmal hatte Sohn Chad sich verzockt und als Zwölfter den Endlauf verpasst. Über jene Strecke, auf der er der Titelverteidiger ist. Minutenlange Fassungslosigkeit bei Vater und Sohn. Großes Theater. Einem Phelps wäre das nicht passiert.

Zweite hinter Lollobrigida

Katie Ledecky, die Herrscherin über die langen Freistilstrecken, als neuen Phelps ins Auge zu fassen, verbietet sich. Nicht nur, weil sie eine Frau ist. Sondern auch, weil sie sich nie, nie mit einem Haschpfeifchen erwischen lassen oder betrunken Auto fahren würde. Sie studiert jetzt in Stanford, bringt fleißig ihre Kurse und ihr Training unter einen Hut, kam "ohne feste Ziele" nach Budapest, wollte ausnahmsweise keine Rekorde pulverisieren - und verlässt die Stadt dennoch als erfolgreichste Athletin der WM-Geschichte.

Mit bereits 15 Medaillen, darunter 14 goldene. Dabei ist sie gerade mal 20. Woran man sich trotzdem vor allem erinnert: an ihre erste Niederlage überhaupt in einem großen Finale. Über 200 Meter Freistil fing die Italienerin Federica Pellegrini, 28, Ledecky noch ab. Wenn man die italienischen Gazetten richtig verfolgt, könnte Federica Pellegrini mal die neue Gina Lollobrigida werden. Aber das ist eine andere Geschichte.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3609433
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 31.07.2017/sonn
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.