Deutschland bei der Schwimm-WM:Eine Insel der Glückseligen reicht nicht

Deutschland bei der Schwimm-WM: Öfter in Siegerpose bei den Weltmeisterschaften in Budapest: Florian Wellbrock.

Öfter in Siegerpose bei den Weltmeisterschaften in Budapest: Florian Wellbrock.

(Foto: Gian Mattia D Alberto/LaPresse/Imago)

Die deutsche Bilanz bei der Schwimm-WM kann sich schon jetzt sehen lassen. Doch der Erfolg täuscht nicht über die Probleme hinweg: Die Zukunft dieses Sports ist in Gefahr.

Kommentar von Sebastian Winter

Florian Wellbrock und Co. erleben in der Duna Aréna von Budapest und im fast 30 Grad warmen Lupasee medaillenträchtige Weltmeisterschaften. Zweimal Gold, viermal Silber, dreimal Bronze - diese Bilanz kann sich der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) schon nach zwölf von sechzehn Wettkampftagen auf die Visitenkarte schreiben. Und das binnen vier Monaten pandemiebedingt von Japan nach Ungarn verlegte Großereignis ist ja noch nicht vorbei, es gibt noch weitere Chancen auf Edelmetall bis Sonntag. Die Stimmung in der DSV-Mannschaft ist gut, für Medaillen gibt es schon mal einen Kuchen samt Tischfeuerwerk im Teamhotel.

Doch der Erfolg kann nicht über die strukturellen Schwächen hinwegtäuschen, die das deutsche Schwimmen und den DSV seit Jahren plagen. Er basiert vor allem auf einer Insel der Glückseligen, die in Magdeburg vor ein paar Jahren entstanden ist. Die dortige Trainingsgruppe um Wellbrock, seine Frau Sarah (die in Budapest studienbedingt nicht am Start ist), Lukas Märtens und Isabel Gose ist hocheffizient, Bundestrainer Bernd Berkhahn hat dort eine herausragende Denk- und Leistungsfabrik installiert, die er hart in der Sache und auch mal herzlich im Umgang leitet. Sein Erfolg sei auch Berkhahns Erfolg, sagte die Leitfigur Wellbrock bei der WM.

Dass Mychajlo Romantschuk, Wellbrocks ukrainischer Rivale, wegen des Krieges seit Monaten ebenfalls in Magdeburg trainiert, hat die Gruppe sicher nicht schlechter gemacht. Aber dieser Think-Tank ist komplett auf die Freistil-Langstrecke spezialisiert.

Die Abwanderung in die USA oder nach Italien stört den Verband massiv

Daneben gibt es noch eine zweite wichtige Insel im deutschen Schwimmen: die USA. Anna Elendt, die in Budapest über 100 Meter Brust Silber gewann, wird seit zwei Jahren in Texas bei der renommierten Trainerin Carol Capitani immer besser. Und sie schwärmt nicht als Einzige von traumhaften Bedingungen, kurzen Wegen, perfekter Betreuung, Campus-Flair - außerhalb des deutschen Systems, in dem sie groß, aber noch nicht Weltklasse wurde. Das stört auch Berkhahn, der bereits vor der WM sagte: "An sich haben wir eine gute Ausbildung in Deutschland, aber es mangelt dann ein bisschen daran, die Sportler in die absolute Spitze führen zu können." Die Abwanderung in die USA (oder nach Italien, wo Freiwasser-Weltmeisterin Leonie Beck gerade bei Weltmeister Gregorio Paltrinieri trainiert) stört den Verband massiv.

Aber neben der schmalen Spitze gibt es eben eine immer weniger breite Basis im Schwimmen. Die Attraktivität des Schwimmens sinkt zunehmend. Die Aussicht, Leistungsschwimmer zu werden, die Familie zu verlassen, um an einen weit entfernt Stützpunkt zu ziehen und dort frühmorgens vor der Schule schon hartes Training auf sich zu nehmen, schreckt ab. Und die Vereinbarkeit von Profischwimmen und Schule? Das Beispiel von Isabel Gose, die ihr Abitur nicht macht und nach der zwölften Klasse aufhört, weil sie mehrere Schulwechsel in drei verschiedenen Bundesländern zermürbt haben, stimmt auch hier nachdenklich.

Dies ist das eigentliche strukturelle Problem, das jenseits der Inseln der Glückseligen liegt. Auch wenn es dann immer noch einige Ausnahmetalente gibt, wie Wellbrock, Elendt oder Märtens, die den Sprung ganz nach oben schaffen.

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