Schwimm-WM:Beweglichkeit im Kopf

Zur Seite atmen, weiter tauchen, Training in der Sierra Nevada - Schmetterling-Schwimmerin Franziska Hentke hat viel verändern müssen, um in der Weltspitze anzukommen.

Von Claudio Catuogno, Kasan

Franziska Hentke atmet jetzt nach links statt nach vorne. Jedenfalls während der gut zwei Minuten im Wasser, die sie braucht, um vier Bahnen Schmetterling zurückzulegen. Zug um Zug wirft sie die Arme nach vorne, und bei jedem zweiten Mal ist kurz das zur Seite gedrehte Gesicht zu erkennen, der Mund geöffnet. Nach vorne, nach links, ist das wichtig? Manche machen es so, andere so, sogar in einem Weltmeisterschafts-Finale. Es ist nur ein Detail. Aber es sind ja oft die Details, die über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Und im Fall von Franziska Hentke, 26, ist es eines der Details, die ihren Erfolg erklären, wobei jetzt schon auch die Frage ist, wie man Erfolg definiert. Am Donnerstagabend wurde Hentke in Kasan Vierte über 200 Meter Schmetterling. Enttäuschend für eine, die mit Weltjahresbestzeit angereist war, einerseits. Andererseits aber auch das Resultat einer beachtlichen Leistungs-Entwicklung. Das Publikum in der umgebauten Fußball-Arena von Kasan hat einen guten Blick auf den Pool, aber besonders viel ist trotzdem nicht zu erkennen, wenn sich die Athleten durchs Wasser wühlen. Ein Teil der Rennen findet eh unter der Oberfläche statt. Nach dem Auftauchen spritzt es dann und acht bunte Badekappen bewegen sich hin und her. Wenn hingegen der Trainer Bernd Berkhahn, 44, hinabschaut auf die Rennen, sieht er dort vor allem diesen zierlichen Körper von Franziska Hentke, die er in den vergangenen drei Jahren zur Weltklasse-Athletin geformt hat.

Im September 2012 hat der Elmshorner Berkhahn den Stützpunkt in Magdeburg übernommen. Ab dem Moment war er für Hentke zuständig, die dort seit 2009 ohne große Erfolge vor sich hin trainierte. "Und natürlich macht man dann als Erstes eine Analyse: Was kann ich als Trainer tun, damit der Sportler sich verbessert." Das Luftholen war dabei nur ein Aspekt von vielen: Wenn man beim Schmetterling-Schwimmen nach vorne atmet, stellt der Körper sich ein bisschen auf, "beim Atmen zur Seite ist die Bremswirkung geringer", sagt Berkhahn. Warum es dann nicht längst alle tun? "Es geht nicht bei allen, man braucht die nötige Beweglichkeit im Kopf."

Schwimm-WM - Beckenschwimmen

Wer zur Seite atmet, verliert weniger Zeit: Franziska Hentke profitiert bei der WM in Kasan auch von ihrer neuen Technik.

(Foto: Martin Schutt/dpa)

Bernd Berkhahn meint das ganz wörtlich: Beweglichkeit im Kopf. Ein zarter Nacken dreht sich leichter als der eines Stiers. Aber im Fall von Franziska Hentke darf man das ruhig auch im übertragenen Sinne verstehen. Dass sie am Donnerstagabend als bisher Schnellste des Wettkampfjahres im Finale an den Start ging, hat viel mit Beweglichkeit im Kopf zu tun. Bernd Berkhahn sagt: "Die Franzi ist wahnsinnig zugänglich für Veränderungen. Da habe ich als Trainer großes Glück gehabt."

Es gibt Athleten, die sind mit Mitte 20 weitgehend austrainiert. Leistungssprünge wirken da schon mal suspekt. Wenn Berkhahn sich in Kasan am Trainingspool umschaut, hat er auch "bei manchen den Eindruck, es gibt keine Grenzen". Aber man kann deshalb ja nicht jeden anzweifeln, und Berkhahn kann sowieso nur berichten, was er alles gemacht hat seit 2012. Im Fall von Hentke war das: "eine Menge".

Berkhahn hat Hentke zum Beispiel auch ermutigt, ihre Tauchphasen zu verlängern, statt sechs Metern taucht sie nach den Wenden jetzt acht bis neun. Das lohnt sich erst ab einem bestimmten Unterwasser-Tempo, und dieses hängt wiederum von der Abstoßgeschwindigkeit nach der Wende ab. Lauter kleine Puzzlesteine. Hentke absolviert deshalb nicht nur größere Umfänge als früher, bis zu 2800 Kilometer im Jahr. Sie macht jetzt auch dreimal die Woche "massives Krafttraining", sagt Berkhahn, "Rumpfkraft, Hantel, Freihantel".

Schwimm-WM - Pressekonferenz

Die Sportsoldatin Franziska Hentke, 26, stammt aus Wolfen in Sachsen-Anhalt und trainiert seit 2009 am Stützpunkt in Magdeburg.

(Foto: Martin Schutt/dpa)

An Hentkes größtem Problem ändert all das aber noch nichts: Sie ist recht klein. 1,69 Meter. Wenn sie die Arme ausbreitet, mit denen sie sich durch das Wasser schaufeln muss, kommt sie auf 174 Zentimeter Spannweite. Andere kommen auf 20 Zentimeter mehr. Da kann man leider nichts machen. Außer eben das: "das Kraft-Last- Verhältnis optimieren - also nicht nur die Kraftwerte erhöhen, sondern gleichzeitig abnehmen, damit man weniger Eigengewicht durchs Becken ziehen muss".

Von 69 auf 61 Kilo hat Hentke abgenommen. Nicht mit Diät-Pülverchen oder Aminosäuren, wie so viele andere im Leistungssport. Sondern mit der wahrscheinlich nachhaltigsten Diät der Welt, die es bloß so selten in die Frauenzeitschriften schafft: "Die Franzi isst jetzt einfach weniger - und vor allem weniger Mist."

Und wenn man all das addiert, kommt jetzt folgende Zahl heraus: 2:05,26 Minuten, Weltjahresbestzeit über 200 Meter Schmetterling, geschwommen Anfang Juli in Essen. Die Marke war Hentkes Durchbruch in die Weltspitze. In Kasan hätte sie Gold gewonnen mit dieser Zeit. Es wurde dann nur Rang vier, in 2:06,78 Minuten; Weltmeisterin ist jetzt die Japanerin Natsumi Hoshi (2:05,56). "Scheiße", fand Hentke das erst mal, "auf Blöddeutsch gesagt." Aber sie ist eben trotzdem "zufrieden mit der ganzen Entwicklung". Nehmen kann man Hentke diese 2:05,26 ja auch nicht mehr, sie bleiben ein Versprechen. Für kommendes Jahr, für Olympia in Rio. Bernd Berkhahn muss allerdings auch davon berichten, welche Schwierigkeiten so ein Versprechen mit sich bringen kann, solange es uneingelöst bleibt . Zwei Wochen vor dem Wettkampf in Essen war Hentke noch in der Sierra Nevada. Zwei Wochen nach so einem Aufenthalt ist der Effekt bei ihr am größten. Deshalb spricht einiges dafür, so ein Höhentrainingslager 2016 zu wiederholen, zwei, drei Wochen vor Rio. Oder? "Ja", sagt Berkhahn, "aber das geht leider nicht." 30 Tage vor den Spielen ist der Überprüfungswettkampf des Deutschen Schwimm-Verbands (DSV) angesetzt, er zählt als Teil der Qualifikation. Nur mit WM-Medaille wäre Hentke davon freigestellt gewesen. Bernd Berkhahn versteht schon auch die andere Seite: einen Verband, der durch gemeinsame Maßnahmen ein Team formen will, einen Bundestrainer, der nicht zulassen kann, dass jeder macht, was er will. Trotzdem hofft Berkhahn, dass er und Hentke im Olympia-Jahr ein paar Freiheiten bekommen: "Es steckt noch so viel drin in dem Mädchen", sagt er, "ich glaube einfach, es würde sich lohnen."

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