Schwimm-Team verpatzt Olympia-Auftakt:Wenn plötzlich alle schuld sein wollen

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Britta Steffen und Paul Biedermann hadern mit ihren schlechten Leistungen, die Trainer erklären, es sei allein ihre Schuld: Das deutsche Schwimmteam erlebt einen verpatzten Olympia-Auftakt in London. Die ersten Finalläufe finden ohne deutsche Beteiligung statt. Das Vertrauen in die besten Athleten ist trotzdem da.

Claudio Catuogno, London

Ganz zum Schluss kamen die Trainer um die Ecke gebogen und nahmen alle Schuld auf sich. Paul Biedermann, der Weltrekord-Halter: im Vorlauf ausgeschieden über die 400 Meter Freistil, in indiskutablen 3:48,50 Minuten. "Das nehme ich klipp und klar auf meine Kappe", sagte Frank Embacher, Biedermanns Heimtrainer in Halle/Saale. Die deutsche 4x100-Meter-Freistilstaffel der Frauen: ebenfalls nicht im Finale am Abend. "Da haben wir uns wohl ein wenig verpokert", sagte Lutz Buschkow, der Leistungssport-Direktor des Deutschen Schwimm-Verbands (DSV). Das war dann doch erstaunlich.

Große Enttäuschung: Britta Steffen (links) und Paul Biedermann. (Foto: dpa)

Dass die deutschen Schwimmer am ersten Tag wichtiger Beckenwettbewerbe wie WM und Olympia Enttäuschungen zu erklären haben, ist ja durchaus eher die Regel als die Ausnahme, diverse Erklärungen hat man da noch im Ohr: falsch terminierte Vorbereitung, zu hartes Wasser, zu viel Druck im Wettkampf, zu wenig Druck im Athletenleben, zu lange Busfahrt zum Übungspool, zu große Erwartungen in der Heimat.

Nun waren zum Auftakt der Spiele in London nicht nur die beiden deutschen Medaillenhoffnungen des ersten Tages raus. Die Final-Session am Abend fand deshalb komplett ohne deutsche Beteiligung statt. Aber diesmal haben es nicht die Sportler verbockt. Sondern ihre Trainer.

Das kann man glauben oder für eine taktische Maßnahme halten. Für 16.30 Uhr jedenfalls hatte Buschkow zu einer Mannschaftsbesprechung samt Motivations-Ansprache geladen, "wir können das Schiff jetzt nicht so weiterlaufen lassen", ahnte er, "wir müssen uns sammeln - und dann gemeinsam Gas geben." Da wird im Athletenkreis sicher gut ankommen, dass von den Offiziellen nicht schon am ersten Tag öffentlich auf ihnen herumgehackt wird. Ob Buschkow und seine Trainer die Verantwortung auch dann noch so freudig übernehmen, wenn die Erfolge auch weiterhin ausbleiben, das ist dann vermutlich eine andere Frage.

Paul Biedermann hatte den "rabenschwarzen Tag" (Buschkow) eröffnet. Nach dem Rennen rang er sichtlich nach Fassung: "Also, mir geht es nicht so gut", sagte er schon, da hatte er die wartenden Reporter noch gar nicht erreicht. Arg viel mehr sagte er danach allerdings auch nicht: Er habe das Rennen schnell angehen wollen, um es keinesfalls zu verbummeln (nach seinem Vorlauf fanden noch zwei weitere statt). "Hinten raus hatte ich dann aber nichts mehr zuzusetzen." Er müsse sich jetzt erst mal eine Stunde sammeln. Dann lief Biedermann davon.

Seine Freundin Britta Steffen war es später, die ein paar Details nachreichte: Biedermann habe ihr nach dem Rennen "klar ins Gesicht geschaut und gesagt: Das habe ich verbockt." Und wenn man "die Schuld nicht bei anderen sucht, sondern seinen eigenen Fehler eingesteht, ist das ja was Großes". Offenbar will gerade wirklich jeder Schuld sein bei den deutschen Schwimmern, denn kurz darauf erklärte dann Embacher: "Besonders ärgert mich, dass ich ihm eine andere Maßgabe gegeben habe, als er gewohnt war." Um insgesamt Kraft für den Abend zu sparen, habe er seinem Schützling empfohlen, "insgesamt etwas ruhiger und mehr über die Beine zu schwimmen". Gerade dadurch sei dann aber der gewohnte Endspurt auf der letzten Bahn ausgeblieben.

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Sie hat es schon wieder getan: Über 200 Meter Lagen schwimmt die 16-jährige Chinesin Ye Shiwen allen davon und holt ihr zweites Gold. Die US-Turnerinnen besiegen die Rekord-Olympiasiegerinnen aus Russland, die Kasachin Maija Manesa hebt olympisches Rekordgewicht in ihrer Klasse.

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Die gute Nachricht: Daran, dass Biedermann insgesamt nicht in Form ist, habe es nicht gelegen. Schon am Sonntagmorgen geht es für den 25-Jährigen aus Halle/Saale mit den Vorläufen über die 200 Meter Freistil weiter, da könne Biedermann weiterhin eine Medaille gewinnen, glaubt Embacher. Warum? "Weil er Paul ist!" Zunächst einmal werde man jetzt "zwei Stunden das böse Wort mit Sch... ins Handtuch brüllen - und dann ist wieder alles gut".

Steffen machte nicht den Eindruck, als wolle sie sich am Brüllen böser Worte beteiligen. Obwohl auch sie bitter enttäuscht war, nachdem die von ihr angeführte Staffel nun ebenfalls im Finale zusehen muss. Hier erklärte Lutz Buschkow das Malheur: "Es gab die interne Ansage: Britta sollte als Startschwimmerin 90 bis 95 Prozent geben, Silke Lippok und Lisa Vitting sollten dann volle Kraft schwimmen, und Daniela Schreiber einen taktischen Endspurt hinten raus. Das ist natürlich zünftig in die Hose gegangen." Nach den offenbar einkalkulierten 54,43 Sekunden der Startschwimmerin Steffen verlor Lippok den Anschluss.

Am Ende stand Rang neun. Offenbar habe man sich von der Bronzemedaille blenden lassen, die das Quartett vor einem Jahr bei der WM in Shanghai gewann, sagte Buschkow, und die Konkurrenz ein bisschen unterschätzt. "Wir dachten, wenn wir hier locker mitschwimmen, kommen wir locker weiter", sagte auch Britta Steffen. Die gute Nachricht hier: Britta Steffen wird jetzt nicht zum Flughafen fahren und fluchtartig die Stadt verlassen wie 2011 in Shanghai. Sie kann noch deutlich schneller. "Ich habe mich gut gefühlt", sagte sie, "und heulen bringt jetzt ja keinem was."

Wenn sich die Analysen so bestätigen, hätten die deutschen Schwimmer zwei ihrer ohnehin wenigen Medaillenchancen also fahrlässig verzockt an diesem Eröffnungstag. Indem sie Kräfte gespart haben für Finals, welche sie dann - eben wegen des Kräftesparens - gar nicht erreichten. Dass man sich auf solche taktischen Überlegungen überhaupt eingelassen hat, zeigt wohl vor allem eines: Sie halten das deutsche Schwimmen beim DSV immer noch für besser, als es tatsächlich ist.

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