Schwimm-EM in Berlin:Die Misere ist weiblich

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Wurde immerhin Fünfte über 50 Meter Brust: Dorothea Brandt (Foto: dpa)

Die EM in Berlin offenbart ein Problem: Die deutschen Schwimmerinnen feierten einst glorreiche Zeiten - doch mit ihren Leistungen sind sie weit hinter die internationale Elite zurückgefallen. Und hinter die deutschen Männer.

Von Saskia Aleythe, Berlin

Zwischen Currywurst und Chlorbecken steht plötzlich Franziska van Almsick. Die deutsche Sporthilfe hatte sich etwas einfallen lassen: Van Almsick stand bei der Schwimm-EM als Aufsteller im Gang des Berliner Velodroms, in der Papphand hielt sie eine Stellenausschreibung. Jobbezeichnung "Schwimmer (m/w)", Aufgaben: Podestplätze bei internationalen Wettbewerben. Auch Britta Steffen liegt der Nachwuchs am Herzen, die zurückgetretene Olympiasiegerin darf als Nebenjob während ihres Studiums mittlerweile Mentorin für die Athleten im Deutschen Schwimmverband (DSV) sein. Funktion: beraten, ihnen in schwierigen Zeiten zur Seite stehen. Der Bedarf bei jungen Schwimmerinnen dürfte gerade recht groß sein.

Die EM in Berlin ist für den DSV nach Plan verlaufen, sechs bis acht Medaillen hatte sich der Verband vorgestellt, herausgekommen sind sechs, Minimalziel erreicht. Neben Paul Biedermann, mittlerweile 28 Jahre alt, gab auch die Abteilung Olympiahoffnung positive Lebenszeichen von sich: Marco Koch, 24, und - unerwarteter - Christian Diener, 21, Philip Heintz, 23 und Jan-Philip Glania, 25. Die positive Erkenntnis dieser Heim-EM: "Die etablierten Männer haben es hier gut gemacht und alles, was dahinter kommt, ist für mich auf einem sehr sehr guten Weg", sagt Chef-Bundestrainer Henning Lambertz.

Nur: Was ist mit den Frauen?

Keine einzige Deutsche landete bei der EM auf dem Podium, auch die Zeiten waren selten überzeugend. Schmetterlings-Schwimmerin Franziska Hentke schaffte über 400 Meter Rang sechs, sie war mehr als eine Sekunde langsamer als bei ihrer Bestzeit im Mai. Dorothea Brandt musste sich mit Platz fünf begnügen über 50 Meter Brust. Das waren auch schon die einzigen, denen Medaillen überhaupt zuzutrauen waren, was die Misere recht anschaulich macht.

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In der Vorbereitung war er krank, im Turnier gab es heftige Kritik: Mit Staffel-Gold über 4 x 200 Meter Freistil kann sich Paul Biedermann doch noch über eine erfolgreiche Schwimm-EM in Berlin freuen. Und auch ein Mann aus der zweiten Reihe prescht nach vorn.

Von Saskia Aleythe

Die 4 x 100 Meter-Lagen-Staffel der Frauen hatte es am Sonntagmorgen gar nicht erst ins Finale geschafft, sie wurde Neunte. Lambertz gefiel das freilich gar nicht, er kritisierte mit Ausnahme von Annika Bruhn die Zeiten aller Schwimmerinnen, "sie sind zwischen fünf bis zehn Zehntel hinter ihren Einzelleistungen zurückgeblieben." Eine Freistil-Staffel hatte er gar nicht erst an den Start geschickt, die Enttäuschung wollte er umgehen.

Lambertz ist ein Mann der Zahlen, ein Analytiker, der Medaillen in der Regel nur feiert, wenn dahinter auch gute Leistungen stecken, der auch vierte Plätze bejubelt, wenn die Zeit stimmt. Für die Heim-EM hatte er straffe Normen festgelegt und einen Überprüfungswettkampf angesetzt. Dieses Konzept ist für ihn aufgegangen: Die Leistungen im Vergleich zur Deutschen Meisterschaft im Mai seien bei fast jedem zweiten EM-Teilnehmer besser geworden. "48,2 Prozent", Lambertz nimmt das ganz genau.

Anfang 2013 hatte er sein Amt angetreten, wollte das Deutsche Schwimmen nach null Medaillen bei Olympia 2012 von Grund auf umkrempeln, vor allem im Nachwuchsbereich. Stets mit dem Verweis: Das wird dauern. "Wenn ich sage, dass das alles ein bisschen Zeit braucht, müssen wir auch bei einer EM locker bleiben", sagt er. Die Füße hochlegen wolle er nun, nach der zufriedenstellenden EM-Woche, nicht.

Denn diese Wettbewerbe in Berlin haben ja ein Problem offenbart: Die Frauen sind im Vergleich zu einst glorreichen Zeiten mit ihren Leistungen weit hinter die Männer zurückgefallen und auch hinter die internationale Elite. Seit seinem Amtsantritt spricht der Bundestrainer gerne darüber, was den Deutschen jahrelang gefehlt hat: "Wirklich viel und lang zu trainieren." Das mache sich zunächst bei den Frauen bemerkbar. Männer bräuchten athletisches Potential, weniger Wassertraining, bei den Frauen sei das anders. "Die Frauen müssen im Verhältnis noch viel viel mehr trainieren", sagt er, "das wurde oftmals nicht getan oder ging nicht".

Der Mann, der bis zum Alter von 21 Jahren Schwimmer war und dann von einem 14-Jährigen namens Thomas Rupprath überholt wurde, hat eine klare Vorstellung, wie sich das ändern soll. Der Name Lambertz ist mittlerweile vor allem mit dem Wort Perspektivteam verbunden. Dort sammelt er die besten Nachwuchsschwimmer Deutschlands, sie absolvieren neben intensivem Training zusätzlich 15 Lehrgangswochen im Jahr, werden mit extra Diagnostiken unterstützt. Sie sollen im Idealfall im Olympiateam 2020 für Hochstimmung im deutschen Lager sorgen.

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Es ist nur eine Maßnahme, die sich der Trainer überlegt hat, nun soll es auch einen Olympiakader geben für die Spiele in Brasilien 2016, aufgefüllt mit Schwimmern, die sich zum Beispiel in Berlin bewährt haben. "Anfang nächsten Jahres fahren wir nach Rio und gucken uns das an", erzählt er, "sie sollen die Bedingungen kennenlernen und die Besonderheiten des Landes". Es soll Motivation sein für die kommenden Aufgaben.

Und so perspektivisch, wie Lambertz denkt, findet er auch positive Trends im Frauenschwimmen. Zu den Olympischen Jugendspielen in Nanjing hatte der DOSB vier Schwimmerinnen geschickt. "Die haben uns hervorragend vertreten", befand Lambertz, "da kommt etwas nach und da müssen wir ansetzen." Julia Willers hatte Silber über 50 Meter Brust geholt, Kathrin Demler Bronze über 100 Meter Freistil, beide sind 18 Jahre alt. "Um einen Spitzenathleten auszubilden", sagt Lambertz, "braucht man 10 000 Trainingsstunden". In 2159 Tagen werden die Spiele 2020 in Tokio eröffnet - mit fünf Stunden Training pro Tag könnte das noch was werden. Bewerbungen willkommen.

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