Schweizerin Spirig gewinnt Triathlon:Zentimeter nach zwei Stunden Kampf

1500 Meter Schwimmen, 43 Kilometer Radfahren, zehn Kilometer Laufen - am Ende entscheidet das Zielfoto. In einem denkbar knappen Triathlon-Rennen gewinnt Nicola Spirig die erste Medaille für die Schweiz bei Olympia in London. Aus Gold.

Silke Keul

Die Schweizerin Nicola Spirig und die Schwedin Lisa Norden saßen hinter der Ziellinie auf dem Boden. Eine von beiden war Olympiasiegerin geworden, doch keine wusste wer. Die Triathletinnen hatten einen Sprint um den Sieg hingelegt, wie er selten ist, in dieser Sportart.

London 2012 - Triathlon

Knappes Finish: Nicola Spirig (rechts) gegen die Schwedin Lisa Norden.

(Foto: dpa)

Nun saßen sie da, nach 1,5 Kilometern Schwimmen, 43 Kilometern Radfahren und 10 Kilometern Laufen, die ihnen in weniger als zwei Stunden alle Kräfte abverlangt hatten, und warteten auf das Finisher-Foto. "Beim Überqueren der Ziellinie hatte ich das Gefühl, gewonnen zu haben. Aber ich war mir nicht sicher. Kein Offizieller konnte mir das sagen", berichtete die 30-jährige Spirig.

Während die Schweizerin noch über die Platzierung rätselte, freute sich Lisa Norden bereits sichtlich. "Ich habe mich über eine Medaille gefreut", sagte sie. "Ob nun Gold oder Silber spielte keine Rolle." Es blieb bei Silber für Norden, Europameisterin Spirig durfte sich über Gold freuen. Eine halbe Fußlänge, so zeigte das Zielfoto, war sie vor der Schwedin ins Ziel gekommen. Ein guter Lohn für ihre Aufholjagd von Platz 18 und die Tempoarbeit in der Verfolgergruppe. Spirigs Goldmedaille ist die erste Medaille für die Schweiz bei diesen Olympischen Spielen.

Rennen in der Stadt

Es war ein spannendes olympisches Triathlon-Rennen, das viele Zuschauer an der Strecke verfolgten. Im Gegensatz zu den vergangenen beiden Olympischen Spielen, bei denen die Wettbewerbe im Umland ausgetragen wurden, hatten die Briten die Strecke in die Stadt geholt.

Die Athleten schwammen im Serpentine Lake im Hyde Park, die Radstrecke führte über den Constitution Hill zum Buckingham Palace, gelaufen wurde wieder im zentral gelegenen Park. "Das hier war Gänsehaut. Ich bin richtig erschrocken, so laut waren die Zuschauer", schwärmte die Deutsche Anja Dittmer.

Spirig kam nicht gut weg beim Schwimmen. Ihre Stärken liegen im Radfahren und Laufen. Das hatte sie jüngst mit dem Schweizer Meister-Titel im 5000-Meter-Lauf sowie dem Sieg bei der Schweizer Duathlon Meisterschaft bestätigt. Doch das Schwimmen ist wichtig im Triathlon, um in eine vordere Radgruppe zu kommen und das Windschattenfahren nutzen zu können.

Anja Dittmers letztes olympisches Rennen

Beim Schwimmen lag eine Britin vorn, nicht Helen Jenkins, die WM-Serien-Gewinnerin, sondern Lucy Hall, ihre Helferin. Der britische Verband hatte bereits im Vorfeld der Spiele die Taktik verraten, dass Hall nur für Jenkins Druck machen, das Tempo der Gruppe hoch halten sollte. Helen Jenkins hatte den olympischen Testevent gewonnen, galt als aussichtsreichste Medaillenkandidatin des Gastgeberlandes.

Jenkins profitierte aber auch von Nicola Spirig und der radstarken Deutschen Svenja Bazlen. Sie trieben die Verfolgerinnen an, zur achtköpfigen, nicht stark besetzten Spitze aufzuschließen. In der zweiten von sieben Radrunden hatten sie die Lücke bereits geschlossen.

Unter den 22 Fahrerinnen, die gleichzeitig in die Wechselzone einfuhren, befanden sich nun all die Athletinnen, denen ein Titel zuzutrauen war: Spirig und Norden, die Neuseeländerin Andrea Hewitt, die aktuell die WM-Serie anführt, die australische Aufsteigerin Erin Densham, die zwei Rennen der WM-Serie 2012 gewonnen hatte, Helen Jenkins - und auch Anja Dittmer aus Saarbrücken, die einzige Frau der Welt, die seit der Aufnahme des Triathlons ins olympische Programm im Jahr 2000 jedes Mal dabei war. Nur die Australierin Emma Moffat, Dritte der Spiele in Peking, war von den Favoritinnen früh ausgestiegen.

Der Sieg wird auf der Laufstrecke gemacht

Jenkins Helferin Lucy Hall fiel nach ihrer Pflichterfüllung gleich zu Beginn aus der Läufergruppe, auch Bazlen hatte sich verausgabt. Rasant dezimierte sich das Feld an der Spitze. Nicola Spirig hielt das Tempo hoch. Zu hoch für Großbritanniens Medaillenhoffnung Helen Jenkins. "Ich bin den Mädels so dankbar, die für mich gearbeitet haben", sagte Jenkins nach dem Rennen, mit Platz fünf auf der Karriereliste. "Sie haben mich an die richtige Position gebracht, aber ich hatte keine starken Beine für die letzte Runde. Die Mädchen, die die Medaillen geholt haben, haben sie verdient. Es war ein wirklich harter Kampf."

Ein Kampf zwischen Nicola Spirig, der Australierin Erin Densham und Lisa Norden. Spirig konnte auf der Zielgeraden das Tempo weiter anziehen, Densham nicht. Lisa Norden war mitgegangen, hatte sich noch nach vorn geschoben, doch selbst die Wiederholung des Fernsehbildes verriet am Ende nicht, welche Frau das Zielband zuerst durchbrochen hatte. Der Computer zeigte die Zielzeit: 1:59:48.00 Stunden - für beide.

Deutsche Frauen laufen hinterher

Vom Wirbel um das Fotofinish, in dem Nicola Spirig zur Siegerin erklärt wurde, bekamen die deutschen Frauen nur am Rande mit. Die Münchnerin Anne Haug, die nach einer erwartet schlechten Platzierung nach dem Schwimmen nicht aus der zweiten Verfolgergruppe ausbrechen konnte, kam mit der zweitschnellsten Laufzeit aller Athletinnen als Elfte ins Ziel, ein Platz vor der 36-jährigen Anja Dittmer. Für Dittmer waren es wahrscheinlich die letzten Spiele, wie sie nach dem Rennen mit feuchten Augen sagte. Svenja Bazlen kam nach harter Arbeit auf dem Rad als 32. ins Ziel.

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