Schweiz:Sauer auf die eigenen Fans

Switzerland vs Northern Ireland, Basel Bale - 12 Nov 2017

Frohe Spieler-Gesichter und wehende Fahnen – trotzdem gab es nach der WM-Qualifikation der Schweiz auch Misstöne.

(Foto: EPA/Shutterstock)

Die Schweizer Fußballer klagen über Pfiffe aus dem Publikum. Für die WM sind sie trotzdem qualifiziert - dank eines fragwürdigen Elfmeters.

Von Ulrich Hartmann, Basel/München

Nach insgesamt drei Stunden Playoff-Fußball, in denen der Schweiz gegen Nordirland der eine, der entscheidende Treffer nur durch einen unberechtigten Handelfmeter gelungen war, sagte der Angreifer Xherdan Shaqiri: "Und jetzt wollen wir bei der Weltmeisterschaft für Furore sorgen!"

"Barrage", sagt man in der Schweiz zum Playoff-K.-o.-Modus. Barrage ist im Französischen eine Straßensperre oder ein Staudamm, etwas, wo es erst mal nicht weitergeht. Ihre ultimative Hürde hat die Schweizer Nationalelf am Sonntagabend im Basler St.-Jakob-Park nur mühsam genommen. Der legendäre Schlachtruf "Hopp, Schwyz" klang etwa so possierlich, wie sich die Fußballer beim Nullzunull präsentierten. Das Hinspiel hatten die Eidgenossen drei Tage zuvor in Belfast nur aufgrund eines haarsträubenden Elfmeterpfiffs mit 1:0 gewonnen. Den Videobeweis gibt es in der WM-Qualifikation nicht. Der Schiedsrichter muss allein entscheiden.

Und so stand das Rückspiel auf von stundenlangem Regen aufgeweichtem Rasen lange auf der Kippe. In der Nachspielzeit kratzte der Schweizer Abwehrspieler Ricardo Rodriguez (einst für Wolfsburg aktiv, heute für den AC Mailand) einen Kopfball von der eigenen Torlinie. Ein einziges Tor hätte den Nordiren zur Verlängerung genügt, weil die Schweizer ihre Chancen erneut nicht nutzten. Als Mittelstürmer Haris Seferovic (einst für Frankfurt aktiv, heute für Benfica Lissabon) kurz vor Schluss ausgewechselt wurde, pfiff das Stadion ihn aus. Mit einer demonstrativen Pfeif-Geste revanchierte er sich wütend. Wenige Minuten zuvor hatte Nationaltrainer Vladimir Petkovic das Publikum halbwegs gereizt zu mehr Unterstützung aufgefordert. Es herrschte Stress zwischen Mannschaft und Fans. Als das Spiel abgepfiffen wurde, wedelten immerhin Viele die roten Fähnchen mit dem weißen Kreuz.

Neun Bundesligaspieler gehörten am Sonntagabend zum Schweizer Kader

Auf einem Roten Teppich interessiert niemanden, wie lange und entnervt man sich vorher aufgebrezelt hat. Ähnlich ist das beim Fußball. Die Schweiz spielt 2018 in Russland zum vierten Mal nacheinander bei einer WM mit. Eine solche Konstanz hat der Schweizer Fußball-Verband nie zuvor erlebt. Mit der forschen Ansage von Shaqiri (einst für Bayern München aktiv, heute für Stoke City) ist das aber so eine Sache. 2010 in Südafrika war schon nach der Vorrunde Schluss, 2006 in Deutschland und 2014 in Brasilien jeweils im Achtelfinale. Auch bei der EM 2016 in Frankreich scheiterten die Schweizer im Achtelfinale - gegen Polen im Elfmeterschießen. "Es hat uns wieder mal das Quäntli Glück gefehlt", jammerte damals Kapitän Stephan Lichtseiner. 17 Monate später wurden die Schweizer mit dem Elfmeter in Nordirland vom Schicksal entschädigt.

Am Sonntag trugen die Schweizer Fußballer stolz den Kreml zur Schau, in dem am 1. Dezember die WM-Gruppen ausgelost werden. Sie hatten ihn als Symbol des Triumphs für die eigens bedruckten Qualifikations-T-Shirts ausgesucht. Die Mühsal gegen Nordirland irritierte die Spieler vor allem deshalb nicht, weil sie zuvor von ihren zehn Gruppenspielen neun gewonnen hatten und nur deshalb Zweiter wurden, weil sie die finale Partie in Portugal verloren und aufgrund des schlechteren Torverhältnisses ins Playoff mussten. "Wir sind mega stolz auf euch Jungs!", twitterte der Schweizer Fußballverband, "was war das für eine überragende Qualifikation: zwölf Spiele, zehn Siege - einfach Klasse!"

Neun Bundesligaspieler gehörten am Sonntagabend zum Schweizer Kader. Mehr Bundesligaspieler hat nur die deutsche Nationalelf. "Wir haben gekämpft, gekämpft und nochmals gekämpft", sagte der Mönchengladbacher Torwart Yann Sommer. Er war auch deshalb so erleichtert, weil er vor dem brenzligen Kopfball in der Nachspielzeit an einer Flanke vorbeigesegelt war. "Das war eines der wichtigsten Spiele unserer Karriere", sagte er, "es war mit großem Druck verbunden und ein Kampf auf einem schwierigen Platz - am Ende war etwas Glück dabei, aber für das Land und für uns ist es sehr schön."

Im ganzen Land standen am Montag aber die Pfiffe gegen Seferovic im Vordergrund. Sie wurden heftig und emotional beklagt. Zeitungen berichteten mitfühlend, der gebürtige Bosnier habe nach dem Spiel weinend in der Kabine gesessen. Erinnert wurde in diesem Zusammenhang daran, dass auch frühere Stürmer wie Alexander Frei und Marc Streller vom Publikum ausgepfiffen worden waren. "Schade!", sagte Trainer Petkovic über die Misstöne eines letztlich erfolgreichen Abends. In Russland im kommenden Sommer wollen sie folglich versuchen, die Sympathien ihrer Fans zurückzugewinnen.

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