Ciriaco Sforza in der Schweiz:Mann von Welt in Wil

FC Thun vs Hapoel Beer Sheva

Zurück nach dreieinhalb Jahren: Ciriaco Sforza, zuletzt Trainer beim FC Thun - auf dem Bild 2015 gegen Hapoel Beer Sheva -, ist nun Coach beim eher unbedeutenden FC Wil.

(Foto: Peter Schneider/dpa)
  • Der ehemalige Bayern-Spieler Ciriaco Sforza trainiert nun einen Schweiter Zweitligisten.
  • Nach seiner aktiven Zeit hatte er schwere psychische Probleme - es dauerte lange, ehe er wieder arbeiten konnte.

Von Peter M. Birrer, Wil

Nein, so geht das nicht. Er packt einen Spieler am Arm, schiebt ihn ein paar Meter nach links und erklärt ihm laut, warum diese Position in diesem Moment ideal ist. Wenn der Chef korrigiert, dann wird es sofort still auf dem Kunstrasen der IGP-Arena von Wil. Alle schauen gebannt hin und hören zu. Schließlich ist der neue Trainer nicht irgendwer, sondern Ciriaco Sforza.

Am 2. März ist er 49 geworden, aber seine Biographie kennen auch die Jüngeren, mit denen er jetzt zu tun hat. Der Spieler Sforza brachte es zu einer großen Karriere: Grasshoppers Zürich, Kaiserslautern, Bayern München, Inter Mailand, Titelgewinne, 79 Länderspiele, WM, EM. Der Trainer Sforza hat Erfahrung aus der Super League, der ersten Liga, hat in Luzern, Zürich und in Thun gearbeitet. Und nun ist dieser Sforza ihr Coach.

"Spielt Fußball, Jungs!", fordert er, "spielt ganz einfach Fußball!" Eine Ballstafette, ein sauberer Abschluss, und schon sieht sich Sforza bestätigt: "Geht doch!" Dem Talent, das er zurechtgewiesen hat, gibt er einen Klaps auf den Hinterkopf.

Es ist, als sei da einer aus der Versenkung aufgetaucht und zufällig beim FC Wil gelandet. In der zweitklassigen Challenge League. In einem Verein mit einem Zuschauerschnitt von 1167. Dreieinhalb Jahre war er aus dem Geschäft. Anfang April hat er sich zurückgemeldet und hier in der Ostschweiz einen Vertrag bis 2022 unterschrieben. Er sagt, es sei "der Start in meine zweite Trainerlaufbahn".

Private Sorgen - schon früher hätte Sforza eine Pause gebraucht

Die erste Trainer-Laufbahn endete beim FC Thun im September 2015, als Sforza spürte, dass er mit dem Kopf nicht mehr bei der Sache war und handeln musste. Eigentlich wollte er eine Pause einlegen, und als Thuns Sportchef ihn anrief, um ihm den Trainerposten schmackhaft zu machen, sagte er sich auch: Ich will kein neues Team. Ein Gespräch lehnte er trotzdem nicht ab. Nach zwei Stunden reichte Sforza Andres Gerber die Hand - die Zusammenarbeit war beschlossen.

Heute sagt er: "Ich weiß beim besten Willen nicht, was mich dazu bewogen hat, nachzugeben." Er hatte sich eingeredet, bereit zu sein, aber er war es nicht. Seine Frau war schwanger, sein Vater schwer krank. Die Situation überforderte ihn - Thun und Sforza, das entwickelte sich zu einem Missverständnis. Die Trennung nach ein paar Wochen empfand er darum nicht als Beleidigung, sondern als Erlösung: "Es war die sinnvollste Entscheidung für beide Seiten."

Früh hatte der Fußball Sforzas Leben geprägt, aber auf einmal verlor er an Bedeutung. "Ich hätte nicht geglaubt, dass es einmal so weit kommt." Ins Stadion ging er nicht mehr, Spiele schaute er nur noch im Fernsehen, eher nebenbei. Erst nach dem Tod seines Vaters 2017 wuchs in ihm langsam wieder die Lust auf Fußball: "Ich beschäftigte mich zwar eine Zeitlang mit anderen Dingen, aber ich dachte nie, dass mein Weg als Trainer schon zu Ende ist."

Nachts wachte er auf - und verstand seine Tränen nicht

Anfangs konnte es Sforza nicht schnell genug gehen. Er glaubte, seine reiche Erfahrung als Auslandsprofi genüge, um als Coach gleich in der ersten Liga einzusteigen. Als er dann 2006 beim FC Luzern anfing, trug er an der Seitenlinie Anzug mit Krawatte und modische Schuhe, ein Mann von Welt eben. Sforza stand im Ruf, unnahbar zu sein, ja arrogant, etwa wenn er bei Fragen die Augen zusammenkniff, als wolle er sagen: Was soll das?

Er war unsicher - und litt massiv

Aber hinter dieser Fassade verbarg sich ein sensibler, manchmal unsicherer Mensch. Nur: Schwächen eingestehen, das kam nicht infrage, erst recht nicht in der Öffentlichkeit. Er hätte das als Niederlage aufgefasst. Sforza tat auch später bei Grasshoppers Zürich so, als wäre er jederzeit souverän, als könne ihm Stress oder Kritik nichts anhaben. Dabei litt er massiv.

Als er 2012 gehen musste, war das zwar - wie später in Thun - eine Befreiung. Aber die Zeit hatte derart tiefe Spuren hinterlassen, dass er psychologische Unterstützung brauchte. In einem Interview mit dem Tages-Anzeiger erzählte er 2015: "Es gab Nächte, da ­erwachte ich immer um zwei Uhr schweißgebadet, wieder kamen Tränen, aber wieder wusste ich nicht, warum genau. Ich kann nur mutmaßen. Schon mit 16 war ich Profi, ich lebte nur für den Fußball, ich war Teil eines Geschäfts, in dem man stark sein muss. Ich machte 2006 als Trainer in der ­Super League weiter, ja, und dann war Schluss."

Er will sich nun "jeden unnötigen Stress ersparen"

Heute ist eine seiner wichtigsten Erkenntnisse: "Ich will mich nicht mehr anlügen." Dazu gehört auch, sich nicht mehr blind in ein Abenteuer zu stürzen, um bloß nicht in Vergessenheit zu geraten. In Wil ist er nicht, weil er verzweifelt eine Aufgabe gesucht hat, sondern weil er überzeugt ist: "Es passt." Er lobt die Infrastruktur, das Personal und die Haltung des Vereins, auf die Jugend zu setzen - "das ist es, was für mich zählt."

Seinen Wohnsitz will er bald nach Wil verlegen und sich "jeden unnötigen Stress ersparen", anders als damals, als er täglich aus dem Aargau nach Thun pendelte. Gegenwärtig befindet sich Sforza mit seiner neuen Mannschaft noch in einer "Kennenlernphase". Drei Spiele mit zwei Unentschieden und einer Niederlage hat er hinter sich, morgen geht es gegen Aarau. Danach bleiben sechs Partien, die er als Vorbereitung unter Wettkampfbedingungen auf die nächste Saison versteht.

Als Sforza in Wil das erste Mal vor seinen Spielern stand und danach auf dem Trainingsplatz Kommandos gab, war das für ihn, als wäre er nie weg gewesen. Er sagt: "Es geht mir richtig gut. Ich habe ein Topgefühl."

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