Schweiz:Hahnenkampf im Wallis

Schweiz: Schwieriges Verhältnis zu Journalisten: Christian Constantin, Präsident des Walliser Fußballclubs FC Sion.

Schwieriges Verhältnis zu Journalisten: Christian Constantin, Präsident des Walliser Fußballclubs FC Sion.

(Foto: Olivier Maire/AP)

In Sion eskaliert der Streit eines Vereinspräsidenten und dem Chefredakteur einer Lokalzeitung. Ein Sittenstück.

Von Thomas Schifferle

"Alors, dis-moi!", sagt Christian Constantin, "comment vas-tu?" Die Beine hat er schon auf den Tisch in seinem Büro geschwungen. Daneben liegen zwanzig Käse aus Italien, in Folie vakuumiert, und stehen ein paar Flaschen Wein. Alles aus Sizilien, aus der Gegend des Ätna. Ein paar Italiener sind gerade beim Präsidenten des FC Sion gewesen, weil sie mit seinem Namen ihre Produkte vermarkten wollen - nicht einfach im Wallis, sondern in ganz Europa.

Constantin sagt: "Wieso Sie zu mir gekommen sind? In Zürich denkt ihr, dass ihr das Zentrum der Welt seid. Dabei seid ihr schon im Ausland, wenn ihr Würenlos passiert."

Sag mir, wie geht es dir? Constantin duzt die Leute gerne. Also, Christian Constantin, was ist los mit Ihnen und Le Nouvelliste?

Er boykottiert die Zeitung seit Beginn dieser Saison und gewährt ihr keinen Zugang mehr zum FC Sion, nicht zu Trainern, Spielern, schon gar nicht zu ihm, dem Chef. Auf der Pressetribüne hat sie keinen Platz mehr. "Ich habe sie nicht ausgeschlossen", sagt er, "ich lade sie nur nicht mehr ein."

Es ist ein einmaliger Vorgang in der Schweizer Mediengeschichte, dass alle Journalisten einer Zeitung derart an ihrer Arbeit gehindert werden. Bei Constantin geht es offenbar nicht kleiner. Das überrascht nicht bei einem Mann, der in Martigny, dem Ort seiner Schaltzentrale als Architektur-Unternehmer und Fußballpräsident, immer zum Anfang des Jahres ein Sauerkrautessen organisiert und dabei selbst die große Attraktion ist. Er ist schon als Napoleon, Jesus oder Elvis aufgetreten. 7500 Menschen wollen ihn jeweils sehen und sichern ihm einen Gewinn von über einer Million Franken.

"Hör zu", hat er dem Chefredakteur des Nouvelliste gesagt, der führenden Zeitung im Unterwallis, "du kannst nicht immer nur negativ sein." Das ist der Punkt: Vincent Fragnière hat das Sakrileg begangen, besonders über Constantin kritisch zu berichten, und das wiederholt. Büßen muss dafür gleich die ganze Redaktion.

Fragnière, der Vollblutjournalist

Seit Sommer 2017 schreibt Fragnière jede zweite Woche seine "Chronique FC Sion". Es ist ungewöhnlich, dass ein Chefredakteur eine solche Kolumne verfasst. Aber die Idee dazu kam ihm, weil dieser Club im Tal zwischen St. Gingolph und Gletsch eine besondere Bedeutung hat und die beiden Wallis, das obere und das untere, das deutsch- und das französischsprachige, zusammenhält.

Wer über Sion schreibt, schreibt über Christian Constantin, ganz automatisch. Constantin war erstmals von 1992 bis 1997 Präsident, 2003 kehrte er zurück, und seither ist er der Club. Der Fussballverein gehört ihm. Er hat ihn sich einverleibt und sagt gerne: "Ohne mich gäbe es ihn nicht." Das ist seine Rechtfertigung, alles à la Constantin zu machen - so, wie er es will. Le Matin Dimanche hat ihn im Mai für ein so episches wie kritisches Porträt als römischen Kaiser karikiert.

Fragnière, sein Antipode, wird als Vollblutjournalist beschrieben, der für vier arbeitet. 44 ist er, aufgewachsen in Veysonnaz, hoch über Sitten. Fußballfan ist er, seit er sechs ist. Der Vater nahm ihn mit, wenn im Tourbillon gespielt wurde. Mit 16 begann er, über Matches in kleinen Ligen zu schreiben. Er spielte selbst, leidenschaftlich, aber in Veysonnaz kam er nicht über die 4. Liga hinaus. Dem FC Printse-Nendaz, einem Club aus der 3. Liga, dient er seit langem als Vorstandsmitglied.

Beim Nouvelliste begann er als politischer Journalist, beim Lokalsender Canal 9 wurde er ein Chefredakteur, der mit seinem Gespür für politische Themen auffiel. Vor viereinhalb Jahren kehrte er als führender Redaktor zum Nouvelliste zurück, der in einem Zweckbau gleich beim Sittener Bahnhof untergebracht ist. Einmal begleitete er die Leser der Zeitung zu einem Pokalfinale, das war 2015 in Basel gegen den FCB. Er nahm sich ein Megafon und schrie: "Wir werden gewinnen! Allez Sion!" Fragnière scheint das nicht so recht zu sein, dass das bekannt ist. Er sagt, während des Spiels habe er nicht mehr gerufen. Sion gewann 3:0.

Gabriel Bender war bei jenem Ausflug nach Basel dabei. Er hat den kleinen Film mit seinem iPhone gemacht. Der 56-Jährige ist Soziologe und Historiker, das verstrubbelte Haar trägt er zum Zopf gebunden. Fürs Treffen schlägt er eine "ein wenig verrückte Umgebung" vor. Es ist Malévoz, die psychiatrische Klinik in Monthey, zu der auf seine Idee hin auch ein Kulturzentrum gehört. Die 120 Patienten können sich im zugehörigen Park ohne Einschränkung bewegen. Bender nimmt sich die Freiheit zu scherzen: "In Zürich wäre Constantin eingesperrt."

Im Frühling schrieb Bender ein Buch, in dem er die Kandidatur für die Winterspiele 2026 in Sitten thematisierte. Er sagt: "Ich verabscheue den Platz, den der Sport in der Gesellschaft eingenommen hat. Er ist eine Religion geworden. Heutzutage ist es gefährlicher, Roger Federer zu kritisieren als den Papst." Den Fußball liebt er wegen seiner Dramaturgie trotzdem.

Keiner stand mehr hinter der Olympiakandidatur als Constantin. Sie war seine Idee, er trieb sie voran, er verfasste ein Büchlein von 64 Seiten, das er im Wallis an 170000 Haushalte verteilen ließ und mit dem er Werbung für die Abstimmung am 10. Juni machen wollte. Darin erinnerte er an 1965, als am Mattmark der Gletscher abbrach und 88 Menschen ums Leben kamen. Die Spiele seien da, um den Kindern der Toten etwas zurückzugeben, behauptete er in seinem "Je voulais vous dire" (Ich wollte Ihnen sagen).

Vor allem ging es ihm darin um ein Thema: um ihn selbst. Seine Botschaft war: Ich liebe meinen Vater, die Alpen, die Kühe, den Dreck der Kühe, die Wälder, mein Land, ich bin es, der die Spiele will! Er verglich das Matterhorn mit Mozart. Und brachte Skilegende Pirmin Zurbriggen dazu, mit einem Helikopter auf den Gipfel des Matterhorns zu fliegen und da an einem Ölfass symbolisch die olympische Flamme zu entzünden. Die Aktion auf dem Walliser Heiligtum stand gegen jene Nachhaltigkeit, die Sion 2026 versprach.

Was immer nun Constantin tat, es wurde im Wallis kontrovers diskutiert und kostete ihn Stimmen. Das Volk lehnte die Kandidatur mit 54 Prozent ab. Fragnière kommentierte in seiner Zeitung: "Ohrfeige für Constantin."

"Wie Kinder auf dem Schulhof"

Fragnière hat in seinen diversen Texten Constantin als Persönlichkeit bezeichnet, die den Kanton spalte. Er hat ihm vorgeworfen, keine Geduld mit den Trainern zu haben und keinen richtigen Sportchef. Er hat bemängelt, dass keine früheren Spieler in den Club eingebunden sind, wie das in Basel, Bern oder Thun der Fall ist. Er hat Fakten beschrieben und in der Bilanz der letzten Saison festgehalten: "Eine Verwarnung für Constantin."

Aber es geht in erster Linie um den Fall Fringer, um diesen Abend des 21. September 2017, als Constantin nach dem Spiel in Lugano am Spielfeldrand den früheren Nationaltrainer und heutigen Teleclub-Mitarbeiter entdeckt, ihm ein paar Ohrfeigen gibt und als Zugabe einen Tritt in den Hintern. Constantin ist aufgebracht, weil Fringer ihn im Fernsehen als "Narzissten ohne Empathie" dargestellt hat. Er habe "à la valaisan" reagiert, auf Walliserart, erklärt er.

Das wiederum erzürnt Fragnière. Er mag das Bild nicht, das Constantin vom Wallis gibt, das Bild, dass zwischen den hohen Bergen noch das Faustrecht gelten soll. "Er hat indirekt einen ganzen Kanton in Geiselhaft genommen", schreibt er. "Nein, Herr Constantin, die große Mehrheit der Walliser regelt ihre Probleme nicht so. Nicht wie Kinder auf dem Schulhof."

Constantin zieht sich danach zumindest offiziell aus dem Kandidaturkomitee für Sion 2026 zurück. Trotzdem bleibt er aktiv und vergleicht sich mit dem Großindustriellen Gianni Agnelli, der 2006 die Winterspiele auf Sittens Kosten nach Turin holte. Auch das missfällt Fragnière. Er schreibt über Constantin: "Er hat noch immer nicht verstanden, dass er seit der Affäre Fringer nicht mehr kreditwürdig ist, um die Bewerbung zu vertreten."

Solche Sätze, abgefeuert vor seiner Haustür, sind es, die Constantin treffen. Und nerven. Da genügt schon ein kleiner Fehler von Fragnière in seiner Saisonbilanz im Mai, damit Constantin unversöhnlich wird und ihm mitteilt: "Das genügt. Es gibt keinen Grund mehr, mit dir zusammenzuarbeiten. Ich möchte nicht mehr, dass du über Sion schreibst."

Fragnière hat behauptet, Sion sei in den letzten elf Jahren nicht mehr unter den besten vier gewesen. Er hat übersehen, dass Sion unter anderem 2017 Vierter geworden war. Der Fehler ärgert ihn.

Am Tag des Saisonstarts teilt der Nouvelliste mit, dass er von Constantin boykottiert wird. Constantin nehme alle Walliser "in Geiselhaft", die den Club via Nouvelliste leidenschaftlich verfolgen würden, kommentiert die Redaktionsdirektorin Sandra Jean. Schon wieder ist von Geiselhaft die Rede. Kleiner geht es auch für die Verantwortlichen der Zeitung nicht. "Das Wort ist stark", gibt Fragnière während eines langen Gesprächs zu, "aber es ist auch stark, was Constantin macht."

Der Club als Durchlauferhitzer

Der Zürcher Medienanwalt Andreas Meili verfasste 1990 seine Dissertation zum Thema "Akkreditierung von Journalisten im öffentlichen Recht des Bundes und der Kantone". Damals stellte er fest: "Unverhältnismäßig wäre auch, den Entzug der Akkreditierung auf weitere Personen zu erstrecken, die mit der Verletzung akkreditierungsrechtlicher Pflichten überhaupt nichts zu tun haben." Beim Fall Constantin/Nouvelliste redet Anwalt Meili von "Sippenhaft", die dem Rechtsempfinden und der Presse- und Informationsfreiheit klar widerspreche.

In Visp wartet Thomas Burgener in der Anwaltskanzlei, in der er noch ein Büro hat. Burgener setzte sich viele Jahre als Politiker fürs Wallis ein, ob als Gemeinderat, als Nationalrat oder als Staatsrat, wie im Wallis der Regierungsrat heißt.

Er verfolgt den Club seit Kindertagen, er hat zwei Saisonkarten und bemüht sich, den Überblick über die Spielernamen zu behalten. Das ist nicht so einfach im Wallis, wo Constantin den Club als Durchlauferhitzer braucht, um mit Transfers sein Geld zu verdienen, so wie er das im Sommer mit dem Verkauf von Matheus Cunha nach Leipzig für 20,5 Millionen Franken getan hat.

Burgener kennt beide, Constantin und Fragnière. Was sie sich liefern, nennt er "match de coq", Hahnenkampf. Beim einen diagnostiziert er verletzte Eitelkeit. Beim anderen erkennt er die Haltung, dass mit ihm nun einer da sei, der sich, anders als viele Schulterklopfer aus der Politik, von Constantin nicht beeinflussen lasse.

Der FC Sion und Le Nouvelliste sind im Kanton mit seinen 340 000 Einwohnern nicht einfach nur ein Fussballclub und eine Zeitung. Sie sind stolze Institutionen, die ein Monopol haben und Identität schaffen. Und sie sind historisch eng miteinander verbunden, seit André Luisier 1981 das Präsidentenamt bei Sion übernahm. Zu der Zeit war er schon lange Jahre der streng katholisch-konservative Chef der Zeitung, die mit dem Bild spielte, das Wallis sei eine eigene Welt, anders als der Rest der Schweiz, besser. In seiner Aufgabe bei Sion erkannte er die Chance, die Leserschaft zu verjüngen und seine Position zu stärken. Er hatte Erfolg, er gewann eine Meisterschaft und drei Mal den Pokal. Aber finanziell übernahm er sich.

Nach elf Jahren kam Constantin, damals 35 und als Geschäftsmann am Anfang seines Marsches zum Milliardär. Er inszeniert sich heute gerne als einer, der für die Walliser Sache kämpft. Er liebt dieses Bild vom kleinen Jungen aus Ayent, der sich nach dem frühen Tod seiner krebskranken Mutter nach oben kämpfte, weil er nie müde wird und arbeitet wie ein Verrückter; wie sein Vater, der ein kleines Bauunternehmen hatte und noch heute, mit 87, von morgens bis abends etwas werkelt.

"Wieso muss ich den Club anders führen?", fragt Christian Constantin, nimmt sein iPhone und liest laut vor, wo die Kantonshauptstadt mit seinen rund 33000 Einwohnern in der Schweiz liegt, nicht nur hinter Zürich oder Genf, auch hinter Köniz oder Uster, "und erst dann kommt Sion, auf Platz 20. Das ist mein Platz. Mein Leben. Würde ich gleich arbeiten wie andere, würden wir zerschmettert. Ich habe keine Industrie, die mir hilft. Ich muss mich durchschlagen mit dem, was ich habe."

"Constantin fehlt das Über-Ich"

Wenn Soziologe Gabriel Bender von Constantin redet, klingt das nicht freundlich, sondern so: "Ich wäre schon gerne in sein Büro gestürmt, um ihm eine zu hauen. Aber das mache ich nicht. Ich habe ein Über-Ich, das mich zurückhält, gewisse Dinge zu machen. Er hat keines." Darum kann Constantin einen Fernsehmitarbeiter und einen Chefredakteur attackieren. Mit Fringer hat sich Constantin inzwischen ausgesöhnt. Aber mit Fragnière? Wer soll nachgeben von diesen Sturköpfen?

Thomas Burgener findet den Zustand unhaltbar. Gabriel Bender hält die Position von Constantin moralisch und ethisch für bedenklich. In einem Leserbrief im Nouvelliste stand einmal: Constantin komme noch auf den Knien angekrochen.

All diese Einwände sind Christian Constantin herzlich egal. Er stellt sich auf den Standpunkt, die Zeitung habe ihn nötig, nicht er sie. SVP-Politiker Oskar Freysinger beglückwünschte ihn nach der Verkündung des Boykotts mit: "Gut gemacht." Solange Sponsoren wie die Migros oder die Walliser Kraftwerke Hunderttausende von Franken zahlen und nicht abspringen, solange die Stadt für die millionenteuren Sicherheitskosten bei Spielen im Tourbillon aufkommt, wird der Allmächtige aus Martigny seine Haltung gegenüber dem Nouvelliste nicht ändern.

Zum Abschied ein Kuss

Die anderen Medien, angefangen beim Walliser Boten aus Visp, berichten weiter über Sion. Das Fernsehen ist live im Stadion. 9500 kommen zu jedem Heimspiel, auch wenn die Unterhaltung dürftig ist. Selbst der abgestrafte Nouvelliste informiert vor und nach jedem Match jeweils auf einer ganzen Seite über den Club, weil er das Gefühl hat, seine Leser für Constantins Verhalten nicht bestrafen zu dürfen. Zumindest ins Stadion darf der zuständige Reporter noch, wenn er sich denn eine normale Karte kauft oder sie von einem Sponsor bekommt. Er behilft sich in seiner Berichterstattung mit Amateurtrainern, die Noten verteilen. Auch Fragnière ist hin und wieder im Tourbillon. Um Sion zu lieben, muss man nicht Constantin lieben.

Der Name des Präsidenten kommt seit Saisonbeginn im redaktionellen Teil nicht mehr vor. Das hindert Constantin nicht daran, regelmäßig im Nouvelliste zu inserieren und Wohnungen zum Verkauf anzubieten. Das Geschäft geht vor.

Letztens hat er Fragnière eine SMS geschickt: "Du wirst es nie schaffen, die Wahrheit zu sehen. Aber für mich ist das nichts Neues. Ich verstehe, um deine Tätigkeiten zu verkaufen, musst du meine stehlen." Es ist sein Denken, dass die Zeitung von seiner Arbeit profitiert, von seinem Geld, von den Spielern, die er zahlt. Am Ende der SMS steht: "Bec." Kuss. Verstehe das, wer will.

Der Nouvelliste will Ende Jahr bilanzieren, wie es für ihn in dieser Angelegenheit weitergehen soll.

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