Alba-Berlin-Boss im Interview:"Inzwischen wollen immer mehr Talente nach Berlin"

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Eine Stütze der Meistermannschaft: der gebürtige Berliner Niels Giffey (r.). (Foto: BBL-Foto/imago images)

Seit 30 Jahren eine Basketball-Instanz: Alba-Chef Axel Schweitzer erklärt, warum der BBL-Meister trotz Pandemie gut aufgestellt ist - und warum er mit Uli Hoeneß essen geht.

Interview von Joachim Mölter

SZ: Es ist erst ein Monat her, dass Alba Berlin die deutsche Basketball-Meisterschaft geholt, das Double gefeiert und die beste Saison seit langem beendet hat - und schon ist die halbe Mannschaft weg: Martin Hermannsson, Rokas Giedraitis, Makai Mason und Tyler Cavanaugh sind nach Spanien gegangen, Landry Nnoko nach Belgrad, Kenneth Ogbe nach Bamberg ...

Axel Schweitzer: ... die Freude über die Meisterschaft ist nach wie vor da.

Sie machen sich also keine Sorgen, dass die Mannschaft auseinanderfällt?

Aber nein. Was mich noch mehr freut als die beiden Titel in diesem Jahr, ist unsere Kontinuität: Dass wir es über 30 Jahre hinweg geschafft haben, 34 Mal in ein Finale einzuziehen und auch noch zwanzig Mal als Sieger daraus hervorzugehen. Über eine solche Zeit immer oben zu stehen, ist etwas, das Alba auszeichnet: aufbauend auf unserem festen Fundament, uns ständig weiterzuentwickeln und zu erneuern.

Alba hat sich auch in diesem Sommer sehr schnell wieder erneuert: Abgesehen vom etablierten Nationalspieler Maodo Lo, der zunächst für ein Jahr unterschrieben hat, sind die Talente Ben Lammers, Simone Fontecchio, Louis Olinde gekommen - alle Anfang Zwanzig und mit Drei-Jahres-Verträgen ausgestattet. So lange Laufzeiten sind ungewöhnlich im Basketball.

Das ist eine logische Folge unserer Ausrichtung: Wir haben vor Jahren einen Weg eingeschlagen, der darauf basiert, junge Spieler mit Entwicklungspotenzial zu holen mit dem Ziel, sie auf ein höheres Niveau zu bringen. Wir akzeptieren damit auch den Abgang, wenn sie später die finanziellen Möglichkeiten nutzen und bei anderen Klubs teilweise das Doppelte oder Dreifache verdienen. Das ist Teil des Geschäftes. Zum anderen entwickeln wir ein Team, das Titel gewinnt. Deshalb ergibt es ganz viel Sinn, langfristige Verträge abzuschließen. Diese Ausrichtung - Talente zu entwickeln, Titel zu gewinnen und gleichzeitig auch noch als wesentlicher Sozialakteur zu agieren - ist einzigartig.

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Auch viele Verträge von Stammspielern wie Luke Sikma, Peyton Siva, Jonas Mattisseck, Marcus Eriksson gelten bis 2023. Ist dann mit einer Zäsur zu rechnen?

Ganz und gar nicht. Es ist immer so, dass wir einen Kern von Spielern behalten und Talente hinzufügen. Dazu gehört auch, dass uns immer wieder Spieler verlassen. So erhalten wir unsere Spielphilosophie und schaffen es trotzdem, uns kontinuierlich weiterzuentwickeln: Schauen sie sich nur das Team 2017 und das Team 2020 an.

2017 war das Jahr, in dem die spanische Trainerlegende Aíto zu Alba kam. Im Moment warten die Fans gespannt, ob er noch mal ein Jahr dranhängt; er ist ja schon 73. Wie sieht es aus?

Aíto wird immer ein Teil von Alba bleiben, und das auch deutlich über die Saison hinaus. Und Alba wird immer ein Teil von Aíto bleiben. Der Austausch, den ich mit ihm habe, macht mich zuversichtlich, dass der gemeinsame Weg weitergeht.

Was zeichnet ihn aus in Ihren Augen?

Was ich bei Aíto so faszinierend finde: dass es ihm nicht nur auf das nächste Spiel ankommt, sondern dass er immer schon auf das Spiel nach dem nächsten ausgerichtet ist. Und auf das Ende der Saison. Und am Ende der Saison dann auf die nächste. Das ist im Prinzip ein immer weitergehender Zyklus. Wenn Sie sich an die erste Saison unter Aíto erinnern: Da hatten wir den Litauer Marius Grigonis, und als er nach einem Jahr ging, hieß es: Jetzt fällt alles auseinander. Dann kam sein Landsmann Rokas Giedraitis - und keiner hat mehr über Grigonis gesprochen. Das muss nicht immer zwangsläufig so ineinander übergehen, aber diese Veränderung ist Teil unserer Philosophie. Was mich freut, ist, wie sehr sie jetzt anerkannt wird. Am Anfang musste unser Sportdirektor Himar Ojeda stärker überzeugen: Komm zu uns! Inzwischen wollen immer mehr Talente nach Berlin, weil sie sehen: Hey, Alba schafft es, den Einzelnen besser zu machen.

Bei Alba wird aber auch immer der Teamgedanke hochgehalten ...

Wenn man von Sportvereinen spricht, sagt jeder: Natürlich sind wir ein Team. Ich glaube, beim Finalturnier um die Meisterschaft war einer der Gründe, warum wir gewonnen haben, dass wir gezeigt haben: Team ist nicht nur ein Wort, das da ohne Inhalt steht - wir leben es auch. Was mich wirklich glücklich macht, ist, dass wir Spieler haben, die in Berlin bleiben, obwohl sie woanders ein Vielfaches verdienen könnten. Wir sprechen hier vom Profisport, wo Athleten nur eine begrenzte Zeit haben, die sie für sich monetarisieren können! Und wenn Spieler dann trotz nachweislich mehr als doppelt so hoher anderer Angebote bei Alba bleiben, spricht das für das, was uns sehr wichtig ist: Dass Alba mehr ist als jeder einzelne - ein Team eben.

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Welche Spieler sind das denn, die anderswo mehr hätten verdienen können und trotzdem bei Alba geblieben sind?

Ach, da möchte ich jetzt keinen Einzelnen nennen. Das würde ja genau dem Teamgedanken widersprechen, von dem ich gerade gesprochen habe.

Man hat den Eindruck, dass bei der Spielerverpflichtung in den letzten Jahren sehr viel Wert auf Charakter gelegt wurde, nicht nur auf sportliches Potenzial.

Verbal hört man das ja immer wieder, dass ein Profi bereit ist, die eigene Statistik der Mannschaft unterzuordnen, aber gezeigt wird das ganz, ganz selten. Solche Spieler zu finden, die gleichzeitig in unsere Spielphilosophie passen, spricht für das Recruiting von Himar und zeichnet im Grunde das ganze Trainerteam aus.

Die schnellen Neuverpflichtungen erwecken auch den Eindruck, dass Alba trotz der Corona-Krise sehr gut aufgestellt ist.

Wir schaffen es, Dinge miteinander zu verbinden, die weithin für schwierig bis unmöglich gehalten werden. Dass wir auf der einen Seite Talente fördern, teils aus dem eigenen Nachwuchs, aus dem ja viele unserer Profis hervorgegangen sind wie Niels Giffey, Jonas Mattisseck, Tim Schneider, um nur einige zu nennen. Und dass wir auf der anderen Seite auch in der Lage sind, Titel zu gewinnen. Wir haben den ältesten Coach und spielen den jüngsten, modernsten Basketball. Wir betreiben Spitzensport und sind als Verein auch ein wichtiger Sozialakteur: Wir haben vor der Corona-Krise jede Woche 10 000 Kinder in Berlin und Umgebung bespielt mit 120 eigenen Trainern in mehr als 200 Partnerschulen und Kitas. Wir haben zwischen Alba Berlin und der Alba Group die längste Sponsorenbeziehung in Deutschland, mit 30 Jahren, und sind trotzdem in der Lage, uns immer wieder neu zu erfinden.

Angeleitet werden die Profis von der Trainercrew mit Chefcoach Aito (Mitte) und seinen Helfern (von links) Carlos Frade, Israel Gonzalez, Sebastian Trzcionka und Pepe Silva Moreno. (Foto: BBL-Foto/imago images)

Auch in Zeiten einer weltweiten Krise?

Corona führt zu einer Situation, wo die Planbarkeit deutlich schwerfällt - und damit meine ich nicht nur: Was passiert in den nächsten Jahren? Sondern schon: Was ist denn im nächsten Monat? Ich persönlich finde solche Situationen bei aller Demut auch sehr spannend, weil man viel verändern kann, auch viel verändern muss.

Zum Beispiel?

Nehmen Sie unser Breitensportprogramm: Das war im März von einem Tag auf den anderen gestoppt, die Hallen waren zu. Und dann haben unser Vizepräsident Henning Harnisch und das Team von Alba eine Chance gesehen und innerhalb von Tagen eine digitale Sportstunde auf die Beine gestellt. Das ging los mit trivialen Dingen: in den Media-Markt gehen und eine Videokamera kaufen. Und es hat sich in wenigen Wochen zum deutschlandweiten Programm entwickelt, wo bisher 2,5 Millionen Unique User, also einzelne Personen, auf Youtube insgesamt zehn Millionen Mal unsere Videos aufgerufen haben und sich zwei Millionen Stunden Programm angeschaut haben. Wir nehmen Herausforderungen motiviert an und fragen: Wie können wir diese Krise als Chance nutzen?

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Welche Chancen bieten sich denn bei den Profis? Ihr Manager Marco Baldi hat gerade gesagt, der internationale Transfermarkt sei im Moment eher träge; der neue Coach des FC Bayern München, Andrea Trinchieri, war erschrocken, wie viel sich getan hat. Was ist Ihre Einschätzung?

Wir sehen gerade eine relativ große Spreizung. Auf der einen Seite die von Mäzenen unterstützten Klubs wie Mailand mit dem Modeunternehmer Giorgio Armani oder Valencia mit Juan Roig, dem Besitzer der größten spanischen Supermarktkette. Die nutzen kurzfristig diese Situation einseitig für sich und haben sich extrem verstärkt. Und am anderen Ende der Skala sehen wir zum Beispiel in Italien auch Klubs, die sich abmelden und verschwinden.

Und wo ordnet sich da Alba ein?

Wir gehen in die nächste Saison mit etwa dem gleichen Budget wie im vorigen Jahr. Wenn man die Umstände betrachtet, würde das wahrscheinlich einer deutlichen Steigerung entsprechen.

Wie schaffen Sie das, den Etat zu halten, obwohl der Klub ja kaum kalkulieren kann? Wo kommen die Einnahmen her?

Wir können die nächste Saison derzeit natürlich nicht so genau planen wie gewohnt. Aber wir haben ein breites Fundament, wirtschaften solide, verfügen über ein starkes Partnerportfolio und entwickeln uns gerade in Sachen Digitalisierung und Internationalisierung weiter. Auch unser Merchandising bauen wir kontinuierlich aus.

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Alba ist nächste Saison sowohl in der Bundesliga als auch in der Euroleague aktiv - beide Ligen haben bereits Spielpläne veröffentlicht. Wie soll das alles funktionieren, gerade im europäischen Wettbewerb mit zehn beteiligten Ländern, die alle unterschiedliche Bestimmungen haben hinsichtlich der Corona-Pandemie?

Ich habe auch keine Glaskugel. Solange es keinen Impfstoff gibt, wird es herausfordernd bleiben. Es ist wichtig, flexibel zu sein. Ich bin da sehr zuversichtlich: Mit der Erfahrung von 30 Jahren, der Unterstützung einer breiten Fan-Basis und unseren innovativen Ansätzen haben wir bisher immer eine Lösung gefunden.

In der Vor-Corona-Zeit hat sich Alba um ein dauerhaftes Teilnahmerecht in der Euroleague bemüht, das der Marke Bayern München bereits in Aussicht gestellt wurde. Ist das noch aktuell? Ist es überhaupt denkbar, dass zwei deutsche Klubs einen Dauerplatz in der 18er-Liga bekommen?

Es ist unser Ziel, dauerhaft Teil der Euroleague zu sein, ganz klar. Für die Euroleague ist Deutschland ein sehr interessanter Markt, und ein Markt lebt auch immer von Rivalität - dieser Wettbewerb zwischen Alba und Bayern macht es ja spannend. Und bei der Professionalität von Alba als Organisation muss man nicht viel erklären, wenn man sich die letzten drei Dekaden anschaut. Die, die uns kennen, wissen, dass wir die Ziele, die wir uns vorgenommen haben, in der Regel früher oder später erreicht haben. Aktuell muss man allerdings fair sein: Da stehen andere Fragen an ...

Zum Beispiel, ob am Anfang der Saison überhaupt Zuschauer in die Halle dürfen. Die Bundesliga hat den Klubs vorgegeben, bei der Etatkalkulation für die gesamte Saison mit höchstens 40 Prozent Zuschauerauslastung zu rechnen. Ist das realistisch?

Die eine Sache ist: Wie viele Zuschauer dürfen aufgrund der dann gültigen Genehmigungssituation in der Halle sein? Wenn man das Finalturnier nimmt und das Konzept, das dahintersteht, macht mich das zuversichtlich, dass wir im Herbst und Winter mit Zuschauern spielen. Profisport lebt vom Publikum; dass Ligen dauerhaft ohne Zuschauer spielen, wird nicht funktionieren, egal, ob das Fußball oder Basketball ist. Der zweite Punkt ist allerdings: Wie viele Zuschauer wollen denn überhaupt wieder in die Hallen kommen? Ich würde nicht zwangsläufig davon ausgehen, dass alle dahin strömen, wenn man den Ticketverkauf startet und die Halle aufmacht. Ich glaube, dass man sehr sensibel umgehen muss mit den Sorgen, Ängsten und Nöten. Was mich dabei optimistisch stimmt: dass Alba eine sehr große und loyale Fan-Basis hat. Wir werden auch in der Halle wieder die richtige Unterstützung haben.

Da Sie ja nicht mit sicheren Zuschauereinnahmen rechnen können: Hat das Einfluss auf die Gestaltung der Spielerverträge? Werden die gekoppelt? Wie sieht das aus bei langfristigen Kontrakten?

Bei uns ist das sehr unkompliziert. Es gibt ja teilweise Klubs, wo ganz viel versprochen, aber nicht immer alles gehalten wird. In Deutschland hält man in der Regel, was man sagt. Als im März unklar war, ob, wie und wann es weitergeht, haben wir uns mit unseren Spielern, Trainern und Mitarbeitern hingesetzt, offen über die Situation informiert und miteinander Lösungen erarbeitet. Wir haben, wie ich finde, einen transparenten und fairen Umgang gefunden. Zumindest haben wir eine entsprechende Resonanz bekommen. Wir werden nicht alle Unwägbarkeiten planen können: Man kommt auf so viele denkbare Konstellationen, die es dann auch unsinnig machen, sich auf alle einstellen zu wollen.

Zurück zu den Fans: Wie hält man die denn bei Laune, wenn sie in der nächsten Saison nicht mehr oder nicht mehr in dieser Zahl in die Halle dürfen?

Ich hätte den Fans beim Finalturnier in München gerne Danke schön gesagt für ihre Unterstützung: Sie sind vor Corona teilweise Tage und Nächte zu Spielen mitgefahren, haben Urlaub genommen. Wir wissen das sehr zu schätzen. Auch unseren Ehrenpräsidenten Dieter Hauert hätte ich gern in den Arm genommen. Das ging leider nicht. Jetzt ist es im Prinzip wie in einer Familie mit den Verwandten: Wenn man sich persönlich nicht sieht, ist es wichtig, den digitalen Kontakt zu verstärken. Dabei müssen wir vor allem auf eines hinarbeiten: Es wird eine Welt nach Corona geben, und es wird auch wieder Veranstaltungen geben. Auf eine freue ich mich besonders.

Nämlich?

Es gibt so eine kleine Tradition zwischen dem FC-Bayern-Ehrenpräsidenten Uli Hoeneß und mir, dass derjenige, der gewonnen hat, vom anderen eingeladen wird. Und da ich das Privileg der Einladung in den letzten zwei Jahren hatte, als die Münchner jeweils Meister geworden sind im Finale gegen uns, freue ich mich jetzt auf unser nächstes Treffen.

© SZ vom 28.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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