Süddeutsche Zeitung

Schweden bei der Fußball-WM:Granqvist und die anderen Bäume

  • Am Samstag kann sich Schweden mit einem Sieg über Deutschland vorzeitig für das Achtelfinale qualifizieren.
  • Zwar fehlt mit Ibrahimovic ein überragender Einzelspieler, aber dafür ist die kollektive Leistung jetzt größer.
  • Aus einer kompakten Defensive heraus versuchen die Schweden über Emil Forsberg wirkungsvolle Nadelstiche zu setzen.

Von Benedikt Warmbrunn, Kasan

Im Jahr 1960 war der Song My Old Man's a Dustman ein riesiger Hit, Lonnie Donegan stand damit auf Platz eins der Charts in Großbritannien, Irland, Australien, Kanada und Neuseeland. In den Jahrzehnten danach ist das Lied etwas in Vergessenheit geraten, und dennoch war die Müllmann-Melodie im Juli 2017 auf der Hochzeit von Asa und Pontus Jansson zu hören, allerdings mit einem anderen Text. Der Titel lautete: "Pontus Jansson's Magic, He Wears a Magic Hat", gedichtet hatten ihn die Fans von Leeds United, Janssons Klub. Das Lied handelt nun davon, dass Jansson eine Tarnkappe trägt, und dass er, wenn einer einen Backstein auf ihn wirft, diesen zurückköpft, nach links, nach rechts. Alles in angemessenen vulgären Worten.

Dass Jansson die Band auf seiner Hochzeit jenes Lied spielen ließ, steht auch für ein paar Qualitäten, denen Schweden das Selbstvertrauen verdankt, mit dem das Team in die Partie gegen Deutschland an diesem Samstag (20 Uhr) in Sotschi geht. Zunächst einmal ist Jansson wirklich ein backsteinharter Verteidiger, und zwar nicht der einzige im Kader. Kapitän Andreas Granqvist, beim 1:0 gegen Südkorea Torschütze und neben Jansson in der Innenverteidigung, nennen sie Granen, den Baum, auch nicht ohne Grund. Der 23 Jahre alte Victor Lindelöf von Manchester United spielte in der Jugend Eishockey; in der vergangenen Saison trainierte er einmal beim örtlichen Eishockey-Klub Manchester Storm mit. Diese Härte kombinieren die Schweden mit einer Eigenschaft, die den deutschen Fußballern traditionell fehlt: Sie lachen viel, auch über sich selbst. Und damit zu Zlatan Ibrahimovic.

Den Schweden fehlt ein Alleinentscheider

Die schwedische Auswahl ist nach wie vor nicht ohne Ibrahimovic zu denken, auch bei der WM nicht, obwohl er überhaupt nicht zur schwedischen Auswahl gehört. Für einen Sponsor reist Ibrahimovic durch Russland, dabei redet er über Zlatan oder er verschenkt Zlatan-Spielzeugfiguren. Je pompöser sein Auftritt, desto deutlicher wird jedoch, dass einer wie er den Schweden fehlt, eine Persönlichkeit, die dank dem Vertrauen in die eigene Großartigkeit auch Spiele alleine entscheidet.

Am Montagabend, nach dem 1:0 gegen Südkorea, steht Marcus Berg im Bauch der Arena von Nischni Nowgorod. Berg, 31, gehört auch zu diesen schwedischen Fußballern, die über sich selbst lachen können, er kennt sich aus mit Humor, spätestens seitdem er all den Spott überstanden hat, den er in seinen jungen Jahren beim Hamburger SV ertragen musste. Seit 2017 spielt Berg in den Vereinigten Arabischen Emiraten für al-Ain, das Geld, erzählte er einmal, sei dabei nicht allein entscheidend gewesen; er wollte schon auch für einen Klub in Asien spielen, der "vergleichbar ist mit Real Madrid oder Barcelona". Irgendwann geht es dann in Nischni Nowgorod darum, ob Ibrahimovic mit seiner pausenlosen Selbstreklame nicht auch die Mannschaft störe. Das sei doch alles nur Show, sagt Marcus Berg, und überhaupt: "Zlatan ist ein lustiger Kerl."

Berg wirbt dann für Ibrahimovic, der immerhin derjenige sei, der die meisten seiner Tore im Nationaltrikot vorbereitet habe. Das Bedauern darüber, dass Schweden ohne seinen omnipräsenten Angreifer spielt, hält sich bei Berg dennoch in Grenzen. "Es ist ein anderes Spiel ohne ihn. Wir übernehmen nun alle Verantwortung in der Defensive." Früher mussten die neun Nicht-Zlatans noch mehr laufen, damit Ibrahimovic sich ganz darauf konzentrieren konnte, mit seiner Großartigkeit das Spiel alleine zu entscheiden. Die neue Spielweise, sagt Marcus Berg, "gibt mir mehr Energie für die Offensive als zuvor". In der Qualifikation erzielte er acht Treffer, die meisten im Team. Zudem harmoniert er mit Ola Toivonen, mit dem er schon 2009 gemeinsam bei der U21-Europameisterschaft stürmte. In der Offensive ist Marcus Berg derjenige, der vorne lauert, während Toivonen ihm zuarbeitet. Die Hauptaufgabe der beiden Angreifer, sagt Berg, sei es im aktuellen System jedoch, die gegnerischen Aufbauspieler früh zu stören.

Dem schwedischen System liegt ein ganz auf die Defensive ausgerichtetes Denken zugrunde, angefangen mit dem Backstein Jansson und dem Baum Granqvist, es endet mit Berg und Toivonen. Dieses einheitliche Verteidigen ist die neue Stärke der Mannschaft, sie ist darauf ausgelegt, dem Gegner den Glauben an dessen Großartigkeit zu nehmen. Dieses Kollektiv gleicht auch den Verlust Ibrahimovics aus, obwohl das Team, wie das Aftonbladet schrieb, mit seinem gesamten Talent "nicht einmal an die Schienbeinschoner" von Ibrahimovics Können herankomme. In fünf der vergangenen sieben Partien kassierte Schweden kein Gegentor.

Die defensive Grundausrichtung nimmt nicht einmal Emil Forsberg aus, der mit seiner Schnelligkeit und Wendigkeit derjenige ist, der einem biederen Angriff etwas Schwung verleihen soll. Forsberg weiß, dass er eine stabile Abwehr braucht, um seine Fähigkeiten einbringen zu können. "Wir stehen sehr kompakt hinten und lassen nicht viel zu. Und wir sind gefährlich im Umschalten. Und wir haben alle gesehen, dass das von Deutschland gegen Mexiko nicht gut war." Die aktuelle schwedische Generation mag sich selbst nicht allzu ernst nehmen. Sie weiß aber auch ganz gut, wie sie zwischendurch den anderen die Laune verderben kann.

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SZ vom 23.06.2018/dsz
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