Süddeutsche Zeitung

André Schürrle in Fulham:"Wir sind auf der Suche nach dem notwendigen Teamgeist"

  • André Schürrle, der von Borussia Dortmund an den FC Fulham ausgeliehen ist, steckt mit dem englischen Klub im Abstiegskampf fest.
  • Mit dem neuen Trainer Claudio Ranieri versucht Fulham, die Probleme im Kader zu lösen.
  • Doch auch am "Boxing Day" gelingt trotz guter Defensivleistung kein Sieg.

Von Sven Haist, London

Englischen Fußballklubs, die bei der Trainersuche zu träumen anfangen, kommt als erstes Claudio Ranieri in den Sinn. Seit seinem Meistertitel 2016 mit Leicester City, bei dem Ranieri gegen eine 5000:1-Wettquote der Buchmacher triumphierte, umgibt den Italiener auf der Insel die Aura eines Wunder-Trainers. Mit diesem Titel-Coup für die Ewigkeit hätte sich Ranieri vor zweieinhalb Jahren aus der Fußballwelt verabschieden können. Aber er konnte der Anziehungskraft nicht widerstehen, nach einem erfolglosen Intermezzo in der Vorsaison in Nantes in dieser verlockenden Branche weiter mitwirken zu dürfen. Während seiner 32 Trainerjahre - mit Jobs in fünf Ländern - hat ihn die Premier League als Tüftler, Witzbold und Gutmensch kennengelernt. Jetzt, mit 67 im Spätherbst seiner Karriere, ist er als Krisenmanager beim FC Fulham in Aktion.

Im Gegensatz zu Leicester, wo es mehr oder weniger genügte, die Spieler in einem funktionierenden Team einfach machen zu lassen, muss Ranieri in Fulham richtig Hand anlegen. Nach nur einem Sieg in zwölf Ligaspielen mit mieser Tordifferenz überkam den Aufsteiger aus London im November die Angst vor dem Wiederabstieg. Mit dem Schachzug, nach der ersten Trainerentlassung der Saison in England den Aufstiegscoach Slavisa Jokanovic durch den Weltmann Ranieri zu ersetzen, fiel Fulham in ein bekanntes Muster zurück. Als die Londoner in ihrer Abstiegssaison 2013/ 2014 schon mal auf dem letzten Tabellenplatz angelangt waren, heuerte der Verein um Eigentümer Shahid Khan den Trainer Felix Magath an, der den Ruf hatte, ein erfahrener, erfolgreicher Abstiegsbekämpfer zu sein. Statt des erhofften Ligaerhalts fuhr Magath jedoch als erster deutscher Chefcoach in der Premier League den Verein vollends in den Keller.

Bei Fulham liegt in solchen Fällen die Überlegung zugrunde, dass mit weit gereisten Trainer-Routiniers schon nichts schiefgehen könne. Als "risikofreie Lösung" bezeichnete Khan - ein pakistanischer Unternehmer, der den Verein von den USA aus nach Gutsherrenart führt - dann auch die Verpflichtung von Ranieri. Der hatte sich einst schon mal einen Job bei Juventus Turin verdient, weil er den kleinen AC Parma vor dem Abstieg bewahrt hatte.

Bei seiner Vorstellung in Fulham bot Ranieri, der beim Essen selbst ein Feinschmecker ist, seinem neuen Team als Motivations-Prämie fürs erste Saisonspiel ohne Gegentor einen Besuch im Fast-Food-Restaurant an. Auf dem Trainingsplatz hingegen geht er seinen Spielern ganz schön auf die Nerven - mit seinen übergenauen, typisch italienischen Vorstellungen, wie eine Verteidigung auszusehen hat.

Die sechswöchige Defensiv-Kur, die Ranieri dem Team in Fulham seit seinem Amtsantritt verordnet hat, zeigte zuletzt beim 0:0 in Newcastle zum ersten Mal Wirkung. Entgegen der von ihm bevorzugten Ausrichtung mit je einer Viererreihe in der Abwehr und im Mittelfeld, ließ Ranieri ganz hinten mit einer Fünferabwehr sowie mit vier weitere Spielern davor zur Absicherung spielen. Als einziger Angreifer blieb der Serbe Aleksandar Mitrovic übrig.

In derselben taktischen Anordnung gelang Fulham zum Auftakt der traditionellen Liga-Runde am zweiten Weihnachtsfeiertag, dem "Boxing Day", die nächste starke Defensivleistung. Beim 1:1 gegen die Wolverhampton Wanderers schien der Tabellenletzte den zweiten Sieg unter Ranieri nach einem Treffer des eingewechselten Ryan Sessegnon (74.) bereits sicher zu haben. Allerdings folgte in der Schlussphase dann doch wieder mal ein Aussetzer im eigenen Strafraum, weswegen Roman Saiss eine Flanke für Wolverhampton ins Tor stochern konnte (85.). Dabei wäre dieser 1:1- Ausgleich einfach zu vermeiden gewesen, wenn Fulhams Joe Bryan den Ball weggeschlagen hätte. Durch das Unentschieden bleibt Fulham auf einem der letzten beiden Tabellenplätze. Am Samstag kommt dann der Leidensgenosse Huddersfield Town zum Kellertreffen nach Fulham.

Einen Einblick, wie Ranieri versucht, das taumelnde Team zu stabilisieren, liefert André Schürrle am Telefon. Der deutsche Weltmeister ließ sich im Sommer von Dortmund nach Fulham verleihen. Schürrle sagt: "Claudio Ranieri hat uns gleich klargemacht, dass er ein italienischer Trainer ist - und das hat sich bestätigt. Mit ihm haben wir im Training fast ausschließlich an der Defensive gearbeitet. Sein Ansatz war, das Risiko zu minimieren. Viele Pässe, die wir durch die Mitte gespielt haben, werden nun zum Beispiel hoch und weit aus dem Gefahrenbereich gebracht. Wir sind wiederholt die Aufgaben auf den einzelnen Positionen durchgegangen, damit jeder seine Pflicht richtig erfüllt."

Ranieri soll die Unwucht ins Lot bringen

Nach der Rückkehr in die Premier League sorgte Fulham bereits vor der Saison für Aufsehen, als sich der Verein für etwa 100 Millionen Euro mit zwölf neuen Spielern eindeckte, von denen die meisten jedoch keine Erfahrung in der ersten englischen Liga besaßen. Die Unwucht des Kaders, der aufgefüllt ist mit Profis, die den Aufstieg realisiert haben, soll Ranieri nun ins Lot bringen. "Dem Klub war nicht bewusst genug, dass der Umbruch Zeit benötigt und nicht direkt Erfolg verspricht. Wir sind auf der Suche nach dem notwendigen Teamgeist, der oft nur durch Ergebnisse entsteht. Im Vergleich zu den anderen Vereinen in Abstiegsgefahr haben wir die größte individuelle Qualität", sagt Schürrle. Er weiß aber auch: "Leider ist es damit nicht getan. Wir brauchen auch Kampfgeist. Das macht uns die Konkurrenz vor, die sich nicht darauf einlässt, wirklich Fußball zu spielen. Die gewinnen pragmatisch: mit fünf Abwehr- und zwei Stürmerkanten."

Das neue Sicherheitsdenken geht bei Fulham auch zu Lasten des Toreschießens: Die Abhängigkeit vom Zusammenspiel zwischen dem bulligen Mitrovic und dem flinken Schürrle, die beide gemeinsam zwölf der 17 Saisontreffer von Fulham erzielt haben, lässt sich kaum übersehen. Auf dem Wintertransfermarkt, kündigte kürzlich Besitzer Khan an, möchte der Verein personell nachlegen, um den Ligaerhalt durch Geldausgeben zu erwirken. Denn mehr als einen Besuch im Fast-Food-Restaurant hat sich Fulham bisher nicht erspielt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4266332
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 27.12.2018/tbr
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.