Süddeutsche Zeitung

Schriftsteller Tonio Schachinger:"Ganz tief im Fußball ist sehr viel falsch"

Lesezeit: 3 min

Schriftsteller Tonio Schachinger über die Enthemmung des Profifußballs.

Interview von Julian Ignatowitsch

Nicht etwa ein Trikot oder Schal des Sportklubs Rapid hängt beim Videochat mit dem österreichischen Autor Tonio Schachinger an der Wand, sondern abstrakte Kunst. Der 28-jährige Schachinger stand im vergangenen Herbst mit seinem Fußball-Roman "Nicht wie ihr" überraschend auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Darin porträtiert er den fiktiven österreichischen Skandalfußballer Ivo Trifunović und sein millionenschweres Umfeld. Das Buch beleuchtet viele Themen, die in den vergangenen Wochen im Zuge der Corona-Spielpause diskutiert wurden. Jetzt läuft der Spielbetrieb wieder. Zeit für ein Gespräch.

Herr Schachinger, nach mehr als zwei Monaten Pause rollt der Ball wieder. Wie halten Sie es in diesen Tagen mit dem Fußball, schalten Sie ein?

Ja, ich werde schon mal einschalten, aber sicher nicht bei jedem Spiel. Düsseldorf gegen Paderborn - nichts gegen die Vereine - aber das muss ich mir nicht unbedingt anschauen. Ich glaube auch, dass es jetzt zum Zuschauen am Fernsehen nur halb so interessant ist, wenn keine Fans im Stadion sind. Für die Vereine ist das finanziell zwar eigentlich unrelevant, zumindest für die Großen, weil die dadurch ja verhältnismäßig wenig verdienen. Da ist nur wichtig, dass wieder gespielt wird. Aber man merkt dann doch schnell: Die Zuschauer sind sehr wichtig als Kulisse, sonst sieht es wie jetzt sehr deprimierend aus.

Wie stehen Sie generell zu der Entscheidung, dass die beiden Bundesligen in Deutschland den Spielbetrieb wieder aufgenommen haben und andere Ligen wahrscheinlich bald folgen?

Ich sehe das durchaus kritisch und frage mich, wie man das gesellschaftlich vermitteln soll, dass Fußballprofis jetzt einen Vollkontaktsport ausüben, während sich alle anderen nicht anfassen dürfen. Auch meine Sichtweise hat sich in der Corona-Krise noch einmal geändert, insofern dass ich mir denke, wenn man sich jetzt für eines entscheiden müsste, für den Hobbykick oder den Profibereich - da ist mir ersteres viel wichtiger. Und so geht es ja vielen Menschen, wenn man bestimmte Umfragen sieht. Ich würde viel lieber mit meinen Freunden Fußball spielen können, als ein Fußballspiel zu schauen.

Das Verhalten einiger Profis hat in der Spielpause Diskussionen hervorgerufen. Berlins Stürmer Salomon Kalou filmte sich dabei, wie er in der Kabine Hygienevorgaben der Liga missachtete und die Kollegen über elf Prozent Gehaltskürzung schimpften. Eine Aktion, die man auch Skandalkicker Ivo, dem Protagonist aus ihrem Roman "Nicht wie ihr", zutrauen würde.

Es ist halt typisch für viele Mechanismen im Fußball. Einerseits ist es wirklich entlarvend, wie schockiert diese Spieler von elf oder 15 Prozent Gehaltseinbußen sind in einer Zeit, in der viele Menschen überhaupt nichts verdienen. Das ist wirklich arg. Da fehlt jede Relation. Anderseits finde ich es aber auch interessant, dass man zuerst dem Spieler die Schuld gibt und ihn direkt suspendiert, wo man sagen muss: Der Spieler ist eigentlich nie schuld, egal, was er macht. Der Spieler ist immer ein Produkt seines Umfelds.

Sie nehmen Salomon Kalou sogar in Schutz?

Ja, ich finde, dass man einfach anerkennen muss, dass diese Spieler Produkte ihrer Umgebung und der Voraussetzungen sind, die sie die letzten zwei, drei Jahrzehnte vorgefunden haben. Genauso benimmt sich Salomon Kalou in diesem Video. Und wenn es ein Erfolg, also ein Social-Media-Erfolg gewesen wäre, wäre er natürlich nicht suspendiert worden. Dann hätte er noch Schulterklopfer bekommen, weil er den Werbewert erhöht hat. Wenn es schiefgeht, ist man schuld, und wenn es gut geht, dann lieben einen alle. Das ist wie auf dem Rasen.

Welche Voraussetzungen meinen Sie genau?

Der Profifußball ist heute in erster Linie Kommerz, ich spreche deshalb gerne vom "FDP-Fußball". Die Verbände und Vereine operieren mit Milliardensummen und die Spieler leben in ihrer eigenen Blase, in der sie schnell einen Marktwert von 150 Millionen Euro haben. Diese Summen sind ja nicht gedeckt durch reale Werte, sondern nur dadurch, dass viele Menschen glauben, dass ein Spieler so viel wert ist. Dabei ist er ja auch einfach ein Mensch mit zwei Beinen. Mich erinnert das momentan an die amerikanische Immobilien-Blase, wo dann plötzlich alle diese Häuser gar nichts mehr wert waren.

Und das Corona-Virus bringt die Fußball-Blase zum Platzen?

Zumindest rücken diese Summen, deren Absurdität ja schon lange bestand, jetzt in ein Verhältnis mit den Summen des normalen, echten Lebens. 150 Millionen Euro - wie lange kann man damit ein Spital oder einen Kindergarten betreiben? Und gleichzeitig sehen wir, dass alle diese Vereine angewiesen sind, dass der Spielbetrieb weitergeht und die Fernsehgelder fließen. Es scheint überall so zu sein: Besser man investiert lieber noch ein paar Millionen mehr in irgendeinen Spieler, um nicht abzusteigen, als Rücklagen zu bilden. Das zeigt doch, wie kaputt das System ist. Und gleichzeitig zeigt es das Missverhältnis von Gesellschaft und Sport. Trotzdem wird wieder gespielt.

Gibt es überhaupt einen Ausweg aus diesem "kaputten System", wie sie sagen? Können nicht Fans oder Spieler etwas bewirken? Wir könnten ja einfach nicht mehr einschalten...

Stimmt. Aber das halte ich eher nicht für realistisch. Auch die Spieler haben ja kein Interesse daran, das System zu ändern, die wollen Fußball spielen und Geld verdienen. Ich glaube, dass der Staat und die EU da viel mehr regulieren sollten. Aber die Möglichkeiten sind begrenzt, was man ja schon an den zahlreichen Skandalen um Fifa und Uefa sieht. Ich glaube, ganz tief im Fußball ist sehr viel falsch.

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Quelle:
SZ vom 17.05.2020
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