Schießen:Olympiasiegerin Barbara Engleder: "I bin oiwei no i"

Schießen: Barbara Engleder bei ihrem Triumph in Rio und in ihrem Garten in Triftern.

Barbara Engleder bei ihrem Triumph in Rio und in ihrem Garten in Triftern.

(Foto: dpa; privat)

Ihr niederbayerischer Dialekt verhalf der Gold-Schützin in Rio zu noch größerer Berühmtheit. Und heute? Darf sie immerhin kostenlos tanken. Eine Geschichte über die Flüchtigkeit des Triumphs.

Von Thomas Hummel, Triftern

Der Weg zur olympischen Goldmedaille führt von Süden her über die Hügel Niederbayerns, auf und nieder, viele Kilometer lang. In Neukirchen geht es rechts ab, an der Schreinerei Blüml vorbei, dann durch die Weiler Irlham, Staudach und Nuppling bis nach Triftern, Ortsteil Furth. Gleich rechts steht das Haus mit den zwei Schneemännern im Garten. Ein Schneemann-Papa mit Besenstiel, Laterne und grünem Schal und ein Schneemann-Kind auf einem Schlitten, es winkt Richtung Straße.

Jürgen Engleder kommt an den beiden Styropor-Männern morgens um 3 Uhr vorbei, er fährt dann Richtung Dingolfing zu seinem Arbeitsplatz bei BMW. Ehefrau Barbara bringt später den dreijährigen Sohn in den Kindergarten. Dann geht es bei ihr los. "Jetzt renn i umanander", erzählt sie, "die Medaille hat einen Rattenschwanz nach sich gezogen." In manchen Wochen habe sie so viele Terminanfragen, dass sie die Hälfte absagen müsse. Das hat man davon, wenn man Olympiasiegerin ist.

Diese Geschichte ist für den olympischen Sport ein Trost. Sie erzählt von der Kraft des deutschen Sportsystems, das auf den kleinen Vereinen im Stadtviertel oder auf dem Land fußt. Wo Buben und Mädchen hingehen, weil sie Lust auf Bewegung haben, weil ihre Freunde dort sind. Oder weil der Vater nicht mehr zuschauen mag, wie seine zwölfjährige Tochter Barbara ständig auf dem Kanapee liegt und in den Fernseher hineinstarrt. Manche dieser Geschichten enden mit dem größtmöglichen Triumph. Die Barbara vom Kanapee in Triftern zum Beispiel hat gut 20 Jahre später in Rio de Janeiro die Goldmedaille im Sportschießen mit dem Kleinkaliber-Gewehr gewonnen.

Als das Wasser kam, ging es ums Überleben. Ihr Cousin rettete sich auf eine Furniermaschine

34 Jahre alt ist sie inzwischen, grauer Kapuzenpulli, blaue Jeans, Hausschuhe. Sie sitzt in ihrem Wohnzimmer, hinter ihr an der Wand hängen der gekreuzigte Jesus, die Muttergottes und der Heilige Drachentöter Georg. Aus dem Fenster geht der Blick die Wiese hinunter bis zum Altbach. Schräg gegenüber steht das Elternhaus, wo alles angefangen hat. Es ist alles genau so, wie man sich Niederbayern vorstellt. Wie lebt es sich hier als Olympiasiegerin?

"Ich krieg' Post von Leuten, die ich noch nie gesehen hab. Aus Belgien, Österreich, Finnland." Barbara Engleder holt vier Briefe aus der Kommode, die Lieferung der letzten zwei Tage. Mehr als 5000 Autogrammkarten habe sie seit August verschickt.

Sie war in Berlin, beim Bundespräsidenten und bei der Verteidigungsministerin, in München beim Ministerpräsidenten. Markus Lanz hat sie in seine Talkrunde nach Köln eingeladen, aber da fand sie keine Kinderbetreuung. Beim Marathon soll sie den Startschuss geben, das Kinderbecken im Schwimmbad einweihen, bei Trachtenvereinen auftreten. Die Medien wollen Termine bei ihr. "Ich mach das alles, damit es die Jungen vielleicht mal leichter haben als ich", sagt sie. Denn diese olympische Geschichte hat auch einen Haken.

Ein Sponsor kam seit August hinzu

Barbara Engleder ist für ein paar Tage berühmt geworden im August. Reicher geworden ist sie nicht. So ein Olympiasieg im Kleinkaliber-Dreistellungskampf mag Aufmerksamkeit bringen und einen Haufen Termine. Doch Geld? Genau ein Sponsor kam hinzu seit August, eine Firma namens NT Logistics aus Deggendorf schenkte ihr eine Tankkarte. Andere Profisportler würden ein solches Angebot vielleicht für eine Zumutung halten, Barbara Engleder hingegen strahlt. "Das ist eine derartige Bestätigung, das ist einfach super für mich." Die Goldprämie der Sporthilfe-Stiftung über 20 000 Euro war Anfang Januar noch nicht auf dem Konto. Dafür bezahlte die Sporthilfe schon mal einen "Urlaub für Champions" an der Playa Granada in Andalusien, die Engleders kamen zu dritt. Trotzdem: Ist sie enttäuscht? "Ich hab nix erwartet, weil ich die Medaille nicht erwartet hatte."

Zwei Monate vor den Spielen in Rio hatte sie ohnehin nicht mehr an eine Medaille gedacht. Eher ans Überleben.

Am 1. Juni regnete es über den Landkreis Rottal-Inn wie wohl noch nie. In Simbach kam es zu einer Flutwelle, die eine ganze Straße wegspülte. Sieben Menschen starben. In Furth stieg der Altbach die Hügel hinauf. Barbara Engleder fuhr mit dem Traktor zum Kindergarten, um den Sohn und die Nachbarskinder abzuholen. Ein Cousin rettete sich in seiner Schreinerei auf die Furniermaschine, am Ende stand die Werkstatt 1,70 Meter unter Wasser, der Cousin musste mit dem Boot geholt werden. Das Wasser floss in den Keller der Eltern. Dort lagerten Gewehre und Munition. "Eine dreiviertel Stunde stand ich mit dem Papa im eiskalten Wasser, und wir haben alles rausgeholt." Doch vieles war nicht mehr brauchbar, und hätte ihre Waffen- und Munitionsfirma nicht das meiste ersetzt oder überholt, Engleder wäre gar nicht ins Flugzeug nach Brasilien gestiegen. Im Vergleich zu vielen in Triftern ist die Familie halbwegs gut weggekommen. Nur im Keller "riecht's noch furchtbar", weil es das Abwasser an die Oberfläche gedrückt hatte.

"Scheiß da nix, dann feid da nix!" Mit dem Lebensmotto kann man aus Triftern die Welt erobern

Es war ein Tag, an dem die Einwohner der Gegend nah zusammenrückten. In Triftern ist man ohnehin bemüht um das soziale Gefüge. Auf 5200 Einwohner kommen etwa 90 Vereine und sieben Feuerwehren in den Ortsteilen. "Wir haben uns unsere Eigenheiten bewahrt", sagt Bürgermeister Walter Czech. Der Mann von der CSU wurde bei der letzten Wahl ohne Gegenkandidat mit 91,93 Prozent gewählt. "Wir haben ein gewisses Selbstbewusstsein", sagt Czech. Auch gegenüber der sechs Kilometer entfernten Kreisstadt Pfarrkirchen. Die hatte mit Konrad Wirnhier bislang den einzigen Olympiasieger in der Gegend zu bieten, Wirnhier siegte 1972 in München im Wurftaubenschießen. "Jetzt haben wir auch eine", sagt der Bürgermeister stolz.

Barbara Engleder hat in Rio vor den TV-Mikrofonen so geredet, wie man hier halt redet, viele Zuschauer hätten eine Simultanübersetzung ins Hochdeutsche gut gebrauchen können. Den Menschen hier hat das gefallen. Nach ihrem ersten Wettkampf, dem mit dem Luftgewehr, war Engleder nicht wegen einer Medaille in Erinnerung geblieben, die hatte sie im letzten Moment verloren. "Dann rutscht mir der Satz mit der Matz raus - und du bist plötzlich der große Held", erinnert sie sich.

Die Matz. So nannte sie im Interview die Chinesin Du Li, die im entscheidenden Schuss eine fast perfekte 10,8 traf und Engleder noch auf Platz vier schubste. "Matz" ist einerseits ein nicht so freundliches Schimpfwort, andererseits halt auch ein sehr bayerischer Gebrauchsausdruck. Und wer die Bayern kennt, weiß: Je größer die Beschimpfung, desto mehr schwingt die Wertschätzung mit. Viele in Deutschland haben das nicht genau verstanden. Aber in jedem Fall machte die Matz Engleder zur Hauptfigur des ersten Wettkampf-Tages.

"Scheiß da nix, dann feid da nix!" Ein erfolgreiches Sportlermotto

In Rio sollte sie dann gleich von einem Termin zum nächsten. Dabei wollte sie sich auf den Kleinkaliber-Wettkampf fünf Tage später vorbereiten. Als sie endlich Zeit fand, kam sie mit der Anlage nicht zurecht. Mit dem Wind, mit der Helligkeit auf der Schussbahn, während das Ziel im Schatten lag. Sie rief bei ihrem Visier- Ausrüster an, wo ihr ein Mitarbeiter "den Tipp des Jahrhunderts gegeben" habe, erzählt sie. Für Laien ist das kaum zu verstehen, aber ohne den Hinweis eines gewissen Joe Zähringer hätte Engleder am 11. August am Schießstand von Rio wohl nicht viel getroffen. Aber so schoss sie besser als alle chinesischen Matzen sowie der Rest der Welt. Jetzt liegt in Triftern eine Goldmedaille im Wohnzimmer-Schrankerl.

"Das war ein ganz großes Erlebnis für den Ort", erzählt der Bürgermeister Czech. Im Vorort Voglarn oben war das Bergschützen-Klubheim rappelvoll. Nach dem letzten Schuss im 9700 Kilometer Luftlinie entfernten Brasilien ging die Party los. Eine Abordnung Trifterns begrüßte Engleder bei ihrer Rückkehr am Flughafen in München, am Marktplatz gab es einen Empfang. Aber als der Trubel zu Ende war, ging das Leben ganz normal weiter im Ort. Jetzt halt mit Olympiasiegerin. "Jeder weiß, wer sie ist. Aber es wird nicht groß drüber geredet", sagt der Bürgermeister.

Barbara Engleder macht es Triftern auch nicht schwer. "I bin oiwei no i", sagt sie (übersetzt: Ich bin immer noch ich), was ihre Schützenmeisterin in Voglarn, Bettina Eder, gerne bestätigt. "Sie hat sich nicht verändert." Im Verein gibt sie ihr Wissen weiter, bei Eder blieb da vor allem ein Satz hängen: "Scheiß da nix, dann feid da nix!" (frei übersetzt: Trau dir was zu, dann gelingt es auch). Walter Czech wird fast melancholisch. "Was ich an ihr bewundere: Obwohl sie das erreicht hat, trägt sie im Verein das Bier aus oder verkauft die Wurstsemmeln." Eine Niederbayerin kann eben selbst ein Olympiasieg nicht verändern.

Der Bürgermeister wird jetzt ihr Chef - und freut sich. Auch wenn sie in der falschen Partei ist

Ihre Karriere hat Barbara Engleder nach Rio beendet. Obwohl viele gebaggert haben, sie möge weitermachen. Gerade zum Gesicht des Sportschießens geworden, verliert sie der Deutsche Schützenbund gleich wieder. Aber da war nichts zu machen: "Jetzt kann ich endlich meinen Sohn selber ins Bett bringen", schwärmt sie.

Vor den Spielen hatte sie zwar wegen Tobias das Training bereits "auf das Nötigste" heruntergefahren. Was aber immer noch bedeutete: zwei Tage pro Woche die 150 Kilometer nach Hochbrück bei München zum Stützpunkt, und zwei Tage in der Woche in Voglarn den ganzen Tag üben. Dazu noch einwöchige Trainingsblöcke mit der Gruppe "Burning Eyes", in der sich einige der Besten in Hochbrück zusammentun. In Furth hat sie oft nachts das Essen vorgekocht, Eltern und Schwiegereltern halfen mit. Jetzt ist sie aus der Bundeswehr ausgetreten und damit auch aus der Sportförderung. Im Rathaus hat sie eine Ausbildung zur Verwaltungsangestellten begonnen. Als Kreisrätin der Ökologisch-Demokratischen Partei bringt sie Vorbildung mit, und ihr neuer Chef Walter Czech freut sich auf sie. "Sie ist ÖDP, ich bin CSU - aber wir werden uns schon zusammenraufen." Auch das ist Niederbayern.

Den Berg hinauf nach Voglarn fährt sie weiterhin regelmäßig. Hier haben die Bergschützen im Feuerwehrhaus ihr Vereinsheim: ein schlichter, weißer Bau mit kleinen Fenstern. Zur Landstraße hin schmückt ein Bild des Heiligen Florian die Wand sowie das Vereinswappen der Bergschützen. Hinterm Haus beginnt das Feld. Barbara Engleder leitet hier nun das Jugendtraining, statt drei Kindern und Jugendlichen wie zuvor stehen nun regelmäßig zehn am Schützenstand. Vielleicht lockt diese jungen Menschen ja auch ein Traum hierher. Ein Traum, der ihnen sagt: Von hier aus kann man die Welt erobern.

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