Schiedsrichter Zwayer:"Ich stehe zu meiner Entscheidung"

Lesezeit: 4 Min.

Felix Zwayer beim DFB-Pokal-Finale. (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • In der Nachspielzeit des DFB-Pokal-Finales trifft der Frankfurter Kevin-Prince Boateng den Bayern-Spieler Javi Martínez im Sechzehner am Fuß.
  • Obwohl sich Schiedsrichter Felix Zwayer die Bilder anschaut, gibt er keinen Elfmeter - das wundert selbst die Frankfurter.
  • Am Montag erklärte Zwayer im kicker, wie es zu dieser Entscheidung kam.

Von Barbara Klimke, Berlin

Kaum hatte er den Goldpokal erobert, wurde Niko Kovac noch auf dem Rasen in den Zeugenstand gebeten.

Erste Frage: War dem Tor zum 2:1 für Frankfurt in er 82. Minute ein absichtliches Handspiel vorausgegangen? Nein, sagte Kovac in die Fernsehmikrofone: Durch einen Pressschlag sei der Ball nach oben und dem Eintracht-Spieler Kevin-Prince Boateng an den Arm katapultiert worden. Nächste und entscheidende Frage: 93. Minute, Boatengs Stollenschuh trifft Javi Martínez am Fuß. Ein strafwürdiges Vergehen seines Spielers? "Ich bin der Meinung, das war ein Elfmeter, ja!", erklärte Kovac umstandslos.

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Der Schiedsrichter, Felix Zwayer, hatte beide Vorfälle während der Partie am Seitenrand auf dem Monitor überprüft. Bei der zweiten war er zu einer Entscheidung gelangt, die sowohl der Einschätzung von Frankfurts Trainer als auch der Sichtweise des empörten Teams des FC Bayern diametral entgegenstand.

Am Montag gab Zwayer im Fachmagazin kicker eine umfangreiche Stellungnahme ab - und verteidigte seine Entscheidung: "Ich habe den Kontakt gesehen, aus meiner Sicht war es jedoch kein intensiver Kontakt, da Martínez den getroffenen Fuß noch ohne Bewegungsänderung und stabil auf dem Boden aufsetzt, bevor sein anderes Bein abhebt, nach vorne fliegt und er hinfällt", so Zwayer.

Er erklärte weiter: "Treffer und Wirkung haben für mich nicht zusammengepasst. Auf den Bildern habe ich keinen Kontakt gesehen, der mich überzeugt hat, meine ursprüngliche Wahrnehmung und Entscheidung zu ändern. Auch mit dem Abstand von zwei Tagen stehe ich zu dieser Entscheidung." Ein Kontakt sei nicht automatisch eine strafbare Handlung, auch solche Szenen müssten bewertet werden.

Die DFB-Schiedsrichterkomission kann die Argumente nachvollziehen. Schiedsrichterchef Lutz Michael Fröhlich schränkte aber im kicker ein: "Gleichwohl machen wir uns in der Kommission intensiv Gedanken darüber, ob solche Entscheidungen am Ende in der Öffentlichkeit noch nachvollziehbar sind, da es dort schon eine erdrückende Meinungsmehrheit in Richtung Strafstoß gibt."

Der Videobeweis hat den Schlusseffekt im DFB-Pokalfinale gesetzt. Das darf als passende Pointe für eine Saison gelten, in der die Zuhilfenahme von Kamerabildern zur Klärung uneindeutiger Szenen die Dramaturgie jedes einzelnen Spieltags bestimmt hatte. Dass die vehement geführte Debatte über den Nutzen der Neuerung bis zum Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft am 14. Juni nicht abklingen wird, hat Schiedsrichter Zwayer durch den ausbleibenden Pfiff am vergangenen Wochenende nun wohl ebenfalls garantiert: Denn der 37-jährige Berliner Referee gehört wie Bastian Dankert (Schwerin) zu jenem 13-köpfigen Expertenteam, das bei der WM-Premiere des Videobeweises in Russland erstmals vom Bildschirm aus die Entscheidungen beim Geschehen auf dem Rasen überprüfen wird.

Am Samstag war der Vorgang weder für die Nutznießer noch für die Benachteiligten ersichtlich. Boateng räumte unterdessen mit der ritterlichen Aufrichtigkeit des Siegers ein, es sei seine Schuld gewesen, dass sich bei der Kollision mit Martínez die Füße der beiden in der Luft wie Klingen kreuzten: "Ich habe ihn getroffen, ich bin ja ehrlich", und wenn ein Schiedsrichter bei einer solchen Szene einen Elfmeter gegen ihn verhänge, könne er darüber keine Beschwerde führen. Die Entrüstung der Münchner über die Interpretation der Videobilder war insofern verständlich, als das Team zu diesem Zeitpunkt noch die Chance gehabt hätte, sich durch ein Ausgleichstor in die Verlängerung zu retten. Auf den Videobeweis bezogen, sagte Bayern-Angreifer Thomas Müller: "Wenn ich schon die Möglichkeit habe, mir das anzusehen, dann gibt es eigentlich keinen Diskussionsstoff mehr."

Die Sequenz der Bilder, die Zwayer vorgespielt wurde, zeigt eindeutig den Moment der Kollision der beiden Spieler; das lässt sich aus der Perspektive einer Fernsehkamera bestimmen, die den Referee am Monitor filmte. Möglicherweise war der Ausschnitt zu kurz, um die Wucht des Tritts zu bestimmen; vielleicht bekam Zwayer auch nur eine Einstellung zu sehen. So lautete die Vermutung des Schiedsrichter-Experten Peter Gagelmann bei Sky, und darauf lässt auch die Aussage Zwayers schließen, die Hasan Salihamidzic, Sportdirektor des FC Bayern, vernahm, als er den Referee nach der Partie zur Boatengs Foulspiel an Martínez befragte: Demnach habe Zwayer nur gesehen, wie Boateng "den Fuß streifte". Zwayer sagte am Montag allerdings im kicker, er sei mit der Bildauswahl zufrieden gewesen.

Allerdings hatte es ein Vorspiel zum Finale gegeben, bei dem Zwayer ebenfalls im Mittelpunkt stand: Im der zweiten Runde des DFB-Pokals zwischen Leipzig und dem FC Bayern verhängte er einen Strafstoß gegen die Münchner nach einem Sensenstritt von Arturo Vidal - nur um sich zu korrigieren und auf Rat seines 30 Meter vom Tatort entfernten Linienrichters den Elfmeter zurückzunehmen. In der Partie im Oktober war der Videobeweis noch nicht zum Einsatz gekommen, aber damals hatte nicht nur Leipzigs Sportdirektor Rangnick Zwayer Vorteilsnahme für die Bayern unterstellt. Wiederholen ließ sich dieser Vorwurf am Samstag zumindest nicht.

Gleichwohl trägt Zwayer immer noch die Hypothek mit sich herum, dass er im Zuge des Hoyzer-Skandals im Mai 2004 Schmiergeld angenommen hat und dafür auch vom DFB verurteilt wurde. Ein absichtlicher Fehler konnte ihm nicht nachgewiesen werden, außerdem war er einer der wichtigsten Zeugen und half dabei, den Fall Hoyzer aufzuklären. Sein Schiedsrichter-Kollege Manuel Gräfe griff Zwayer allerdings aufgrund dieses Sachverhalts scharf an und stellte in Frage, ob einer, der Schmiergeld angenommen habe, Spitzen-Referee in Deutschland werden könne.

Neu entflammt ist davon abgesehen eine Grundsatzdebatte über Wohl und Wehe des Videobeweises in seiner jetzigen Form. Denn so lange den Zuschauern verborgen bleibt, was dem Referee am Monitor zugespielt wird, so lange die Kommunikation zwischen Schiedsrichtern und Kontrolleuren unhörbar bleibt, fehlt es an der Transparenz, die den letzten Zweifler überzeugt. Mats Hummels, nach eigener Aussage "anfangs Befürworter und Verteidiger des Videobeweises", sagte nach dem Pokalfinale: "Wenn er so bleibt wie jetzt, bin ich sogar eher dafür, ihn wieder abzuschaffen." Ähnlich äußerte sich Keeper Sven Ulreich, der eine "Vollkatastrophe" beklagte. Fest steht: Der Videobeweis wird auch im Sommer Dauerthema bleiben.

© SZ vom 22.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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