Schiedsrichter Kempter:Die Haupttribüne klatscht

Im Schutz des DFB kehrt Referee Michael Kempter in der dritten Liga auf den Rasen zurück. Befürchtete Pöbeleien bleiben aus, doch der Schatten der Amerell-Affäre begleitet ihn.

Christoph Ruf

Für den SV Sandhausen ist Besuch aus Dresden, Osnabrück oder Offenbach ein freudiges Ereignis. Das Vereinsheim des Klubs, der sich im Schatten der 25 Kilometer entfernten TSG Hoffenheim eine Nische einzurichten versucht, bietet an Spieltagen ein wechselndes Tagesgericht an, das auch den Gäste-Fans schmecken soll. Gegen Holstein Kiel stand am Samstag Mittag Fischgulasch auf der Speisekarte. In der dritten Liga gibt es also weiß Gott ungastlichere Orte als Sandhausen. Zumal es sich bei den Anhängern des Drittligisten um das Familienpublikum handelt, das an proletarischeren Standorten erst noch mühsam geworben werden muss.

Ortskundige wunderte es deshalb auch nicht, dass das 14.000-Einwohner- Städtchen für das Comeback von Schiedsrichter Michael Kempter ausgewählt worden war, nachdem dessen Psychologe befunden hatte, ein Einsatz sei nun genau das Richtige für "den jungen Mann" (DFB-Präsident Theo Zwanziger). Als der 27-Jährige nach 92 Minuten Nettospielzeit abpfiff und mit seinen Assistenten zur Kabine schritt, klatschte die Haupttribüne im Hardtwaldstadion. Den Test, wie das deutsche Fußballpublikum reagieren würde, nachdem so viel Privates öffentlich wurde in der - juristisch noch völlig ungeklärten - Affäre mit Manfred Amerell, dem Kempter sexuelle Nötigung vorwirft, hat das Publikum in der Kurpfalz bestanden. Pöbeleien blieben aus, die befragten Zuschauer bekundeten jedenfalls, wie "tolerant" und "liberal" sie seien.

Es schloss sich eine so genannte Presserunde an, bei der die Presse keine Fragen stellen durfte. Kempter betonte, wie sehr ihn der wohlwollende Empfang gefreut habe. Auch die Spieler hätten sich für seine Leistung bedankt, erzählte Kempter nach einer von zwei abgesprochenen Fragen, die der Stadionsprecher nach Rücksprache mit dem DFB formuliert hatte. So läuft moderne Öffentlichkeitsarbeit.

Erst Freitagmittag war bekannt geworden, dass Kempter tags darauf wieder ein Pflichtspiel leiten würde. Das sei keine außergewöhnlich kurzfristige Ansetzung, behauptete DFB-Emissär Stephan Brause vor Ort. Um Wettmanipulationen zu erschweren, setze man die Referees so kurzfristig an. Kempter, so Brause, habe man geraten, vor dem Spiel freundlich, aber wortlos an den Journalisten vorbeizugehen. Es war eigens ein schwer tätowierter Bodyguard engagiert worden - aus Angst vor möglichen Übergriffen. Sogar die Vorstellung, dass Manfred Amerell persönlich vorstellig werden könnte, hielt man beim DFB offenbar nicht für abwegig. Beides trat nicht ein. "Heute waren mehr Kamerateams als Fans da", sagte Stürmer Régis Dorn hernach, "das war das Außergewöhnliche."

Auch fachlich gesehen hätte sich der Referee kaum eine dankbarere Partie wünschen können. Das Spiel verlief in bescheidenem Tempo; dennoch musste Kempter oft einhaken. Dabei bewies er Überblick: Die fünf gelben Karten waren unvermeidlich. Wo die Vorteilregelung angewandt werden konnte, machte er von ihr - bis auf eine Ausnahme in der Schlussphase - Gebrauch.

Auch, als nach Seitenwechsel der Unmut über das mit zahlreichen ehemaligen Bundesligaspielern (Roberto Pinto, Régis Dorn, Matias Cenci) besetzte Heimteam hochkochte, blieb Kempter souverän - allerdings hatte seine Karriere ja auch nicht aus fachlichen Gründen geruht.

"Ich hoffe, dass er noch oft dritte Liga pfeift", flachste Kiels Trainer Christian Wück nach dem 1:1-Endstand, der seiner Elf kaum noch Chancen auf den Klassenerhalt lässt. Er wollte das als Kompliment verstanden wissen: "Kempter hat gezeigt, dass er nichts in der Liga zu suchen hat, sondern die Qualität für die erste Liga hat." Dort möchte Kempter bald wieder pfeifen. "Topfit" sei er und wolle den Blick "nicht nach hinten richten". Die vergangenen Monate seien "nicht so interessant gewesen", er könne "nur meine Leistung anbieten und hoffen, dass die wieder nachgefragt wird". Doch das dürfte sehr davon abhängen, zu welchem Urteil die Richter kommen werden, die in der Causa Amerell/Kempter befinden müssen, wer gelogen und wer die Wahrheit gesagt hat.

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