Süddeutsche Zeitung

Schiedsrichter in der Champions League:"Aytekin war heute Messi"

Durch zwei Elfmeter und strittige Pfiffe ist Bundesliga-Referee Aytekin an der Aufholjagd des FC Barcelona zum 6:1 beteiligt - aus Madrid kommen Verschwörungstheorien.

Von Javier Cáceres

Es gab nicht wenige Menschen, die am Mittwochabend im Camp Nou von den Ereignissen überrollt wurden, und Deniz Aytekin zählte unbedingt dazu. Das Problem: Aytekin, 38, war der Schiedsrichter des biblischen 6:1 des FC Barcelona gegen Paris Saint-Germain, und als solcher hatte er mehr knifflige Aufgaben zu lösen, als ihm lieb sein konnte. Nun lässt sich nach so einem so kolossalen Ergebnis eher schlecht über den Schiedsrichter philosophieren. PSG-Trainer Unaï Emery tat es dennoch, freilich so reserviert, wie seine Mannschaft im Camp Nou agiert hatte.

Ob der Referee entscheidend war, wurde Emery gefragt, und er antwortete, dass er das "so nicht sagen" wolle; dass Aytekin bei wichtigen Entscheidungen "auf ihrer Seite", der von Barça, gewesen sei, wolle er aber auch nicht verschweigen: "Es gab zwei Elfmeter, die zweifelhaft waren, und einen weiteren (für PSG/d. Red.), der nicht gegeben wurde."

Damit rannte Emery zumindest in Madrid offene Türen ein, dort war man pikierter als in Paris, weil man Aufholjagden für eine registrierte Marke von Real Madrid hielt. "Sagen Sie nicht Überfall, sagen Sie: Aytekin", schäumte die Zeitung Marca; der Kommentator Tomás Roncero vom Konkurrenzblatt As brachte gar Verschwörungstheorien in Umlauf. Aytekins Nominierung sei "kein Zufall", behauptete er und fügte an, dass Aytekin als "in Stuttgart geborener Türke" gewiss Verbindungen zu Turkish Airlines habe, einem prominenten Barça-Sponsor. "Aytekin war heute Messi", raunte Roncero, "wenn er selbst eine Ecke ins Tor hätte verlängern müssen, hätte er das getan." Dabei hatte Aytekin den ersten Elfmeter gar nicht geben wollen.

"Das war ein Foul. Ich werde nicht lügen"

In der 40. Minute hatte Barças Stürmer Neymar seinen stolpernden Gegenspieler Meunier überlaufen - und war dann über den Franzosen gestürzt. Aytekin, der den besten Blick auf die Szene hatte, entschied auf Weiterspielen, doch der Torrichter korrigierte ihn. Meunier habe sich in den Lauf von Neymar geworfen, also: Strafstoß! Letztere war eine mindestens legitime Interpretation. "Dieser Elfmeter brachte Barça ins Spiel", sagte Emery. Beim zweiten Elfmeter für Barça, den Neymar zum 5:1 verwandelte (90.+1), kann es dagegen keine ernsthaften Diskussionen geben: Der Uruguayer Luis Suárez sank nach einem Zweikampf mit Marquinhos herunter, als ob ihn der Brasilianer in die Schulter gebissen hätte. Dabei hatte er ihn nur touchiert.

Welchen Elfmeter Emery meinte, als er einen Strafstoß für Paris monierte, blieb offen, zwei Szenen boten sich an. Option eins: In der zehnten Minute hatte sich Barcelonas Defensivkraft Javier Mascherano im Strafraum in eine Hereingabe von Julian Draxler geworfen und den Ball im Fallen eindeutig an den Arm bekommen. Diese Form der Sabotage des gegnerischen Angriffs hatte Mascherano mindestens billigend in Kauf genommen. Aber Strafstoß? Option zwei: Bei einem Konter störte Mascherano seinen Landsmann Ángel Di María im letzten Augenblick entscheidend, und der Schuss von Di María flog so weit am Tor vorbei, dass es kaum mit rechten Dingen zugegangen sein konnte.

Eindeutige TV-Bilder gab es davon nicht, Mascherano sorgte später selbst für Aufklärung: "Das war ein Foul. Ich werde nicht lügen." Von der Information, dass der Elfmeter an Suárez (der zuvor schon die gelbe Karte wegen einer Schwalbe gesehen hatte) zum 5:1 keiner war, zeigte sich Mascherano dagegen ernsthaft überrascht. Aber: "Für solche Aufholjagden braucht man auch solche Dinge", betonte er. Was sein mag, oder auch nicht. Doch wer Barças paranormalen Sieg ernsthaft auf den Referee reduzieren wollte, dürfte wohl beim Blick auf ein Foto von Marilyn Monroe auch nur das Muttermal sehen.

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SZ vom 10.03.2017/ebc
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