Schiedsrichter in der Bundesliga:Wenn die Hilfeleistung ausbleibt

Darf man einen Schiedsrichter rügen, tadeln und geißeln? So wie es Manuel Gräfe erlebt hat? Zumindest die Stuttgarter Verantwortlichen haben die Mindestanforderung an Anstand und Etikette gewahrt. Doch es ist ehrenwert, rührend und etwas naiv, an eine dauerhaft geläuterte Branche zu glauben.

Christof Kneer

Am Dienstag wird das Spiel Köln gegen Mainz nachgeholt. Es ist das erste Spiel der Liga-Geschichte, das nicht wegen vereister Zuschauerränge vom Spielplan genommen wurde, sondern wegen des Suizidversuchs eines Schiedsrichters. Zwei Tage vor diesem Nachholspiel ist nun der Schiedsrichter Manuel Gräfe beim Spiel in Stuttgart in die Kritik geraten, und die zeitliche Nähe dieser beiden Partien bietet der Branche mal wieder einen willkommenen Anlass, über Etikette zu diskutieren.

VfB Stuttgart - Bayern München

Umstrittener Mann in Stuttgart: Schiedsrichter Manuel Gräfe (rechts im Bild).

(Foto: dpa)

Die Frage, die nun in den öffentlichen Raum hineingerufen wird, lautet: Darf man das, was die Stuttgarter gemacht haben? Darf man einen Schiedsrichter rügen, tadeln, geißeln? Und war es nicht der Trainer Labbadia, der nach dem Suizidversuch von Babak Rafati erklärte, er wolle bei Kritik "bewusster aufpassen, dass man es nicht übertreibt"?

Vorweg so viel: Labbadia hat aufgepasst. Er hat die strittige Szene in seinem Pressereferat mit keiner Silbe erwähnt, erst auf Nachfrage offenbarte er seine Sicht der Dinge. Er nannte die Szene aus der 29. Minute "eine klare Fehlentscheidung". Fachlich mag das angreifbar sein, die Mindestanforderung an Anstand und Etikette dürfte er aber ebenso erfüllt haben wie der ansonsten leicht entflammbare Manager Bobic, der sich auffällig Mühe gab, zwischen Amt und Person zu trennen.

In der Sachdebatte hat er seine Missbilligung zum Ausdruck gebracht, aber er hat dem tagesaktuellen Tadel ein grundsätzliches Lob sowie eine Einladung zur Currywurst hinterhergeschickt.

Wer mag, kann daraus folgern, dass sich die Sitten im Profigeschäft verändert haben, aber selbst die Schiedsrichter halten den neuen Tonfall für eine vorübergehende Errungenschaft. Es ist ehrenwert, rührend und etwas naiv, an eine dauerhaft geläuterte Branche zu glauben.

Die Schiedsrichter wissen, dass sie kraft des selbst gewählten Amtes eine Reizfigur bleiben werden, und sie kennen jene zweite Debatten-Ebene, die sich unter der Oberfläche verbirgt. Sie verfolgen genau, wie ihr Amt zur sportpolitischen Verfügungsmasse verkommt. Fifa-Chef Blatter fordert plötzlich den Profi-Schiedsrichter, ebenso überfallartig spricht er sich für die Torkamera aus. Sportfachliche Begründungen? Keine.

Ersteres sollte den DFB-Präsidenten und selbsternannten Schiedsrichter-Kümmerer Zwanziger unter Druck setzen, Zweiteres soll eine Transparenz vorgaukeln, die Blatter sonst nicht zu bieten hat. Die Schiedsrichter wissen: Von den Mächtigen haben sie keine Hilfe zu erwarten.

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