Schiedsrichter im Landkreis Celle:Ende der Freiwild-Zeit

Stuttgarter Kickers - Borussia Dortmund

Schiedsrichter leben gefährlich, in der Kreisklasse noch häufiger als in der Bundesliga.

(Foto: Sebastian Kahnert/dpa)

Treten, schlagen, beleidigen: Weil die Übergriffe gegen die Schiedsrichter immer schlimmer wurden, verzichtet der Fußballkreis Celle an zwei Wochenenden auf neutrale Referees. Aus ganz Deutschland gibt es Lob für das Experiment.

Von Carsten Eberts

Emin Ekinci trägt Freizeitklamotten, gestreiftes T-Shirt, blaue Jeans, braune Lederschuhe. So stiefelt er über den Rasen, bläst in seine Trillerpfeife, entscheidet auf Freistoß, pfeift Abseits. Der Fußballkreis Celle nahe Hannover erlebt zwei ungewöhnliche Fußball-Wochenenden - mittendrin Ekinci vom SV Hambühren. Weil die Angriffe auf Schiedsrichter seit Monaten immer weiter zugenommen haben, hat sich der Spielausschuss geweigert, für die Partien der Kreisliga bis zur vierten Kreisklasse neutrale Referees anzusetzen.

Frühere Schiedsrichter oder Betreuer mussten einspringen, Spielverlegungen wurden nicht gestattet. Emin Ekinci pfiff die Partie zwischen dem SV Dicle Celle und dem SC Eldingen. Freiwillig, wie er sagt, ein Trikot wollte er nicht anziehen. Die Spieler sollten merken, dass er in seiner Freizeit hier ist.

Der Boykott der Celler Schiedsrichter hat viel Aufsehen erregt, "doch es ging einfach nicht mehr weiter", erklärt Michael Frede den ungewöhnlichen Schritt. Er ist Vorsitzender des Schiedsrichterausschusses und hat in den vergangenen Jahren auf den Celler Plätzen Szenen gesehen, die er nicht sehen wollte. Amateur-Schiedsrichter wurden getreten, geschlagen, beleidigt, manche mussten in die Kabine flüchten.

Kürzlich, bei einem Spiel des SV Dicle II, ging es besonders hart zu. Der Schiedsrichter hatte fünf Platzverweise erteilt, es gab Tumulte. Fünf Streifenwagen der Polizei kamen schließlich angerauscht, die Beamten brauchten einige Zeit, um die Szenerie zu beruhigen und den Schiedsrichter von der Anlage zu geleiten. Seine Referees seien vielerorts "Freiwild", sagt Frede. Er wolle nicht irgendwann einen seiner Männer oder Frauen im Krankenhaus besuchen. Dem SV Dicle, dessen Spieler häufiger auffällig wurden, droht als Gesamtverein der Ausschluss aus dem Spielbetrieb.

Wie sich alles so hochschaukeln konnte, versteht Frede nicht. Deutschlandweit ist der Umgangston in den unteren Ligen rauer geworden. Spielabbrüche werden vereinzelt aus dem Berliner Fußball gemeldet - aber im betulichen Celle, in Niedersachsen, auf dem flachen Land? Die Hemmschwelle sei tief gesunken, sagt der Schiedsrichterchef, bei den Spielern untereinander, aber auch gegenüber den Unparteiischen.

Drei Spieltage, fünf Verfahren

Fünf Sportgerichtsverfahren werden Anfang September im Kreis Celle verhandelt, die Verstöße trugen sich allesamt an den ersten drei Spieltagen dieser Saison zu. Seit April kam es außerdem zu vier Übergriffen auf Schiedsrichter - nicht von Spielern, sondern von Zuschauern. Seit drei Jahren steht der Fußballkreis in Niedersachsen auf dem letzten Platz der Fairplay-Wertung. Frede sagt, seine Schiedsrichter wollten das nicht mehr hinnehmen.

Mit dem Boykott vom Wochenende sind die Celler zufrieden. Die Spiele liefen großteils ruhig ab, da und dort gab es Beschwerden, aber keine Übergriffe. Aus ganz Deutschland ging Lob ein für das Experiment; Schiedsrichter aus anderen Bundesländern haben von ihren Erfahrungen berichtet, manchen erging es ähnlich.

Schnelle Besserung für das Verhältnis zwischen Spielern und Schiedsrichtern erwartet Frede indes nicht. Er richtet sich auf einen langen Prozess ein, auch am kommenden Wochenende setzt die Spielleitung im Kreis Celle keine Schiedsrichter ein. Danach soll der normale Betrieb weitergehen. "Es liegt uns fern, dass der Fußballkreis im Chaos versinkt", findet Frede, aber dieses Zeichen, dieser Appell an die Vernunft, sei nötig gewesen.

"Viele machen sich gerade bewusst, was in den vergangenen Jahren passiert ist", sagt Frede. Er hofft auf ein Umdenken. Härtere Maßnahmen als einen Boykott kann er kaum noch ergreifen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: