Bundesliga:Wenn Schiedsrichter zu autoritären Aufsehern werden

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Strittige Entscheidung: Schiedsrichter Stieler zeigt Gladbachs Plea die Gelb-Rote Karte. (Foto: dpa)

Früher waren die Referees "Luft", inzwischen stehen sie ständig im Mittelpunkt. Das ist nicht gut für den Fußball.

Kommentar von Philipp Selldorf

Früher war der Schiedsrichter im Fußball physisch nicht existent, er war, wie man sagte, "Luft". Wurde er versehentlich vom Ball getroffen, dann lief das Spiel auf dem daraus folgenden Umweg weiter. Seit einer Regeländerung im Sommer schwirren die Schiedsrichter nicht länger als Unpersonen übers Feld. Geraten sie in den Lauf des Balls, dann müssen sie die Partie unterbrechen und per Schiedsrichterball fortsetzen - zugunsten der Elf, die zuletzt am Ball war.

Diese kleine Reform, die den Luftgeist zum Akteur befördert, steht symbolisch für die unselige neue Präsenz der Schiedsrichter, die sich, so könnte man meinen, von Dienstleistern zu Hauptdarstellern des Fußballs entwickelt haben. Dem Spiel tut das nicht gut. Selten wurde so erbittert über ihr Zutun gestritten wie in diesen Tagen. Das liegt unter anderem daran, dass die Schiedsrichter diffuse Regeln einer aktionistischen Legislative anwenden müssen, die für die Beteiligten unverständlich bleiben, etwa beim Handspiel. Es liegt aber auch daran, dass sich die Schiedsrichter neuerdings als Bruderschaft begreifen, was die begrüßenswerte Kampagne für besseres Benehmen der Spieler vielfach in die Irre geführt hat.

Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit kommt abhanden

Oft gerät jetzt die Disziplinierung der Fußballer zum Selbstzweck, das Prinzip der Verhältnismäßigkeit kommt abhanden, der Schiedsrichter wird zum autoritären Aufseher. Die englischsprachige Sportpublikation The Athletic stellte besorgt fest, deutsche Spielleiter seien mit ihrer "Parkwächter-Mentalität" drauf und dran, die Rasenfelder in einen Law-and-Order-Staat zu verwandeln.

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Dass am Samstag der Referee Tobias Stieler den Gladbacher Alassane Pléa vom Platz stellte, weil er "nicht der erste sein" wollte, der von der gemeinsam beschlossenen harten Linie abweicht, zeugt vom falschen Verständnis der Aufgabe: Ein Schiedsrichter soll dem Spiel dienen - nicht dem Solidarbund der Kollegen. Ein zentrales Problem dabei bleibt auch der nur partiell funktionierende Videobeweis. Nach wie vor fällt er nicht durch gelungene, sondern durch misslungene Rechtsprechung auf, immer noch stiftet er mehr Unfrieden, als dass er das Gerechtigkeitsversprechen einlöst.

Im Pokal ergaben sich nun groteske Momente, als in Bremen trotz Bildschirmstudiums eine Rot-Sanktion für Bremens Moisander ausblieb, während auf Schalke das Eingreifen des Videorichters für den eher aberwitzigen Platzverweis des Trainers Wagner sorgte. Auch Uneinigkeit zwischen den Instanzen schafft Justizverdruss. Beim Ligaspiel am Sonntag empfahl der Kölner Keller dem Referee sinnvollerweise, einen Platzverweis gegen den Paderborner Holtmann zu überprüfen. Holtmann hatte zwar zum Hieb ausgeholt, dies geschah aber, weil er geklammert wurde, im Notwehraffekt. Ergebnis: Der Referee schaute sich die Szene noch mal an - und bestätigte voller Trotz sein in Köln beanstandetes Urteil.

Die besten Schiedsrichter seien solche, die man nicht sieht, so lautet eine alte Weisheit. Aktuell stehen die Unparteiischen leider fast so oft im Mittelpunkt wie die Spieler.

© SZ vom 06.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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