Süddeutsche Zeitung

Schiedsrichter-Affäre:"Wenn du es nicht machst, mache ich es"

Der neue Schiedsrichter-Chef beim DFB, Herbert Fandel, ist nicht so unbeteiligt wie gedacht. Zudem hat der Verband einen neuen Missbrauchsfall diskret gelöst.

Thomas Kistner

Am Freitag tagt das Präsidium des Deutschen Fußball-Bundes, heikle Themen stehen auf der Agenda. Bis 2. August hat das Gremium Zeit, Schadenersatz-Ansprüche des Ex-Funktionärs Manfred Amerell in der Schiedsrichter-Affäre anzuerkennen; auch will Theo Zwanziger mitteilen, ob er beim Bundestag im Herbst erneut antritt. Gerechnet wird damit, dass der in die Kritik geratene Verbandsboss weitermacht - und dass der DFB gegenüber Amerell nicht nachgeben wird. Die Sache wird dann auf einen Prozess hinauslaufen, hat Amerells Anwalt Jürgen Langer schon angekündigt - um zu klären, wer Recht hat: Der DFB, der Amerell sexuelle Nötigung von vier Referees vorwirft, ohne ihn zu deren Vorwürfen angehört zu haben. Oder Amerell, der dies bestreitet und versucht, ein Komplott von DFB-Spitze und Ex-Funktionärskollegen im Schiedsrichterwesen gegen sich zu enthüllen.

Referee Michael Kempter hatte Amerell im Dezember bei Schiedsrichter-Chef Volker Roth angezeigt, Roth reichte den Vorgang am 15. Januar an Zwanziger weiter. Zwanziger verriet nie Zweifel an Kempters Aussagen, er machte sogar sein Amt von der Wahrhaftigkeit der Referees abhängig. Im April fing er sich ein Landgerichtsurteil ein, das ihm untersagte, Kempters angeblichen Bekennermut mit Problemen in der Kirche zu vergleichen; die Berufung läuft. Kempter wurde mittlerweile wegen seiner "unausgereiften Persönlichkeit", so der neue Schiedsrichter-Chef Herbert Fandel, in Liga drei zurückgestuft, der 27-Jährige selbst entschuldigte sich öffentlich für von ihm verursachte "Irritationen". Zuvor war es weder ihm noch seinen drei Kollegen, die es bis in die zweite Liga geschafft haben, gelungen, den angeblichen Schänder bei der Augsburger Strafverfolgungsbehörde in Bedrängnis zu bringen. Der Staatsanwalt stellte alle Ermittlungen ein.

Nun hat Amerell Kempter verklagt, und er glaubt, sein Bild von der Verschwörung gegen ihn nehme immer klarere Kontur an. Ständig sind da neue Fragen - auch um Fandels Rolle. Der wurde bei dem von Zwanziger durchgepeitschten Sonder-Bundestag zur Schiedsrichter-Reform im April als neuer, von der Affäre völlig unbelasteter Chef der Unparteiischen präsentiert. Nun aber räumt Fandel auf SZ-Anfrage ein, dass er Vorgänger Roth schon Mitte Januar zur Weitergabe des bis dahin angeblich unbekannten Falls Kempters/Amerell an die DFB-Spitze gedrängt habe. "Nachdem ich inzwischen erfahren hatte, dass Kempter bei Roth gewesen war, habe ich Volker Roth gesagt, dass das gemeldet werden muss, und wenn er es nicht melden würde, dann würde ich es machen", teilt er mit. Roth bestätigt dies, ihm sei deshalb klar geworden, dass "viele Leute von der Sache wussten", weshalb er sie weitergeben müsse. Bis dahin hatte Roth die Causa (die eher einer aus dem Ruder gelaufene Privatbeziehung gleicht) behutsam zu eruieren versucht.

Fandel hatte Roth gar schon bei einer Tagung am 8./9. Januar angesprochen. Da habe er Roth aber nur gefragt, "ob es etwas Besonderes rund um Amerell gäbe. Dies war ein Versuch von mir zu erfahren, ob an den Gerüchten etwas dran sei", so Fandel. Von wem diese kamen? "Ich will hier keine Namen nennen."

Dass es Fandel war, der dem zweifelden Roth den letzten Anstoß gab, macht das Bild komplexer. Kempters Vorstoß war demnach früh bekannt geworden unter Funktionären, erreichte aber wochenlang weder Amerell noch die drei übrigen betroffenen Referees. Die rührten sich erst nach Ruchbarwerden des Falls am 9. Februar. Dann gelang dem Trio eine Punktlandung. Nach dem Opfer-Aufruf des DFB meldeten sie sich, angeblich unkoordiniert und völlig unabhängig voneinander, und bis zum 12. Februar waren alle drei einvernommen.

Eine konzertierte Aktion, wie Amerell und Anwalt vermuten? Spannend ist für sie die Frage, wie der DFB die Glaubwürdigkeit seiner vier Zeugen sondiert hat, die es ja nicht geschafft haben, die Staatsanwaltschaft von strafwürdigen Übergriffen Amerells zu überzeugen. Neben Kempter, der jahrelang flammende Texte an Amerell schrieb, ist einer der Zeugen ein enger Kollege Kempters. Und ein anderer angeblich Bedrängter hatte sogar schon 2009 seine DFB-Karriere beendet. Er war zur Halbzeit eines Zweitliga-Spiels kollabiert; der Urinbefund dieses DFB-Referees, der zwei Nächte in der Klinik verbringen musste, ergab: Ecstasy. Der Referee bestritt den Konsum. Aber lügen ärztliche Befunde? Die Ecstasy-Probe räumte er beim Staatsanwalt ein, nannte sie aber nicht beim DFB Monate zuvor - jedenfalls wurde dieser Vorfall nach SZ-Informationen nicht protokolliert.

Der Unparteiische zog sich zurück und trat erst wieder in Erscheinung, als der laut DFB als Vertrauensmann der belästigten Schiedsrichter agierende Ex-Referee Franz-Xaver Wack auf ihn zukam. Das soll sich über einen Bekannten ergeben haben. Als der Zeuge seine Aussage gegen Amerell beim DFB machte, musste er sich angeblich nicht mal nach Frankfurt bemühen. Die heftige Anklage ließ sich offenbar per Telefon von einem Münchner Hotel aus erledigen.

Auffallend diskret im Vergleich zur Causa Amerell handhabt der DFB derzeit einen neuerlichen Missbrauchsfall in Schiedsrichterkreisen. Anfang Juni hatte ein Referee Strafanzeige gegen sieben Kollegen gestellt, die ihm in einer durchzechten Nacht beim Lehrgang in der saarländischen Neuberger-Sportschule eine Trinkflasche anal eingeführt hatten. Das betrunkene Opfer konnte sich nicht wehren gegen den Missbrauch, der gefilmt worden sein soll. Mit von der Partie: Ein Referee, den der DFB zur neuen Saison in die zweite Liga befördern wollte.

Intern reagierte Fandel hier sofort. Er teilt mit, er habe Stellungnahmen verlangt und sie "unmittelbar an den DFB weitergeleitet. Darüber hinaus habe ich ein Gespräch mit (...) geführt. Der ursprüngliche Beschluss der DFB-Schiedsrichterkommision, ihn in die zweite Liga aufsteigen zu lassen, war danach hinfällig." Tage später, so Fandel, habe ihm der Referre ein "Rücktrittschreiben" geschickt. Der DFB kann heikle Vorfälle auch diskret behandeln.

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Quelle:
SZ vom 28.07.2010
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