Schiedsrichter-Affäre:"166 Mal Liebe und Kuss"

Das Landgericht Hechingen soll klären, ob die Beziehung zwischen Manfred Amerell und Michael Kempter einvernehmlich oder erzwungen war. Es geht um 150.000 Euro Schadensersatz.

Thomas Kistner

Es wird eng an diesem Donnerstagmorgen in Saal 168 des Landgerichts zu Hechingen, die 1. Zivilkammer hat Verfahrensregeln für die aufziehenden Presse-Heerscharen erstellt. Noch unangenehmer dürfte es für die Prozessgegner werden: Das Landgericht rollt die Affäre um Manfred Amerell, 63, und Michael Kempter, 28, auf. Ersterer, einst Schiedsrichterfunktionär des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), erhebt Zivilklage gegen den früheren Schiedsrichter, es geht um üble Nachrede und Schadenersatz in Höhe von 150.000 Euro.

Vorerst kein Comeback von Schiedrichter Kempter

Schiedsrichter Michael Kempter muss sich vor Gericht verantworten.

(Foto: dpa)

Im Kern aber geht es um die Frage: Waren ihre wiederholten Intimkontakte, die beide nicht bestreiten, freiwilliger Natur? Oder waren sie erzwungen vom Älteren, gegen den Widerstand des Jungen?

Letztere ist Kempters Version. Er vertritt sie mit eher abschwellender Intensität, seit sie vor einem Jahr ruchbar geworden und - was die Affäre massiv befeuerte - vom DFB eilfertig übernommen wurde. Speziell DFB-Chef Theo Zwanziger profilierte sich an Kempters Seite als Aufklärer; eine Rolle, die ihm nicht mal verbandsintern viel Beifall eintrug.

Kempter hatte im Februar 2010 in Gazetten und im Fernsehen detailliert Amerells Zudringlichkeiten beklagt, angeblich strikt gegen seinen Widerstand. Im April notierte die Staatsanwaltschaft Augsburg dann eine weit moderatere Sichtweise: Laut Akte schloss es Kempter nach zweitägiger Vernehmung nicht aus, dass Amerell eine andere Wahrnehmung gehabt haben könnte bezüglich seines angeblichen Widerstandes. Dieser könnte sehr verhalten ausgefallen sein.

Strafrechtlich hat Amerell die Affäre überstanden, rasch stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen ihn wegen sexueller Nötigung mangels Tatverdachts ein; desgleichen das im Zuge einer Verleumdungsklage Amerells eingeleitete Verfahren gegen Kempter und drei weitere Referees. Amerell prozessiert auch hier weiter. Er legte Beschwerde gegen die Verfahrenseinstellung gegen Kempter ein; die Sache liegt noch bei der Münchner Generalstaatsanwaltschaft.

Und Amerell will mehr. Schon zu Beginn der Affäre hatte er auf die Vorwürfe reagiert: Mit ungenierter Offenlegung des Mail- und SMS-Verkehrs, den Kempter von Mitte 2007 bis Ende Januar 2010 mit ihm gepflegt hatte. Darin wimmelt es von Liebesschwüren, Gedichten, Bildchen, "allein 166 Mal", so Amerell, kämen darin "die Wörter Liebe und Kuss vor". Kempter ließ Amerell zwar verbieten, die Mails weiter öffentlich auszubreiten, vor Gericht aber könnten sie jetzt eine zentrale Rolle spielen.

Die bekannten Passagen deuten auf eine Art Liebesbeziehung, den Eindruck hatte im Juni 2010 zumindest das Essener Landgericht, dem Amerells Mailsammlung vorlag: Diese vermittle "den Eindruck, dass die Parteien einvernehmlich eine Beziehung führten, mit den in einer Beziehung typischen Problemen und Sorgen".

Neue Tonart beim DFB

Nun dürfte in den Trümmern einer Männerbeziehung gewühlt werden, wenn das Gericht Dichtung und Wahrheit eruieren muss. Peinliche Details könnten aufgetischt, womöglich ein Ausschluss der Öffentlichkeit beantragt werden. Überdies liegt nach SZ-Informationen auch ein neuer Dreh in der Causa vor: Während Kempter bisher in Medien und beim Staatsanwalt den Beginn der Intimkontakte auf ungefähr Anfang 2008 verortet hatte, soll dem Gericht nun eine andere Darstellung der zeitlichen Abläufe bekannt sein.

Schon 2001, heißt es jetzt, soll sich Amerell im Zimmer einer Sportschule Kempter (damals 19) gegen dessen Willen sexuell genähert haben. Das Lager Amerells will diese späte Einlassung zu einer einschneidenden Ersterfahrung als Bestätigung für Zweifel an Kempters Glaubwürdigkeit interpretiert wissen.

Vor Prozessbeginn wollte Amerells Anwalt Jürgen Langer nichts sagen. Kempters Rechtsvertreter Christoph Schickhardt sagte der Nachrichtenagentur dpa: "Wir werden die Verfahren alle gewinnen." Doch unabhängig vom Ausgang dürfte der Fall für den DFB nicht erledigt sein, der Amerell nie konkret angehört hat zu den öffentlich ausgebreiteten Vorwürfen.

Dass der DFB heute womöglich selbst Zweifel an Kempter hegt, lässt sich nicht nur daraus ableiten, dass er seine größte Schiedsrichter-Hoffnung im Sommer 2010 ganz aus dem Spielbetrieb zog, im Hinblick auf die juristische Klärung der Causa. Und dies, nachdem Kempter im April ein Drittliga-Comeback hatte feiern dürfen und für die neue Saison vorgemerkt war. Obwohl sich DFB-Boss Zwanziger eng an Kempters Seite bewegt, forderten eingedenk der Amerell-Mails Vorständler wie der süddeutsche Verbandschef Rolf Hocke: "Das muss jetzt sauber aufgearbeitet werden."

Eine neue Tonart ist auch beim DFB eingezogen. Jüngst wies das Oberlandesgericht München letztinstanzlich eine Beschwerde Amerells ab, der Zwanziger untersagen lassen wollte, er, Amerell, habe als Funktionär seine Amtspflichten verletzt. Ein Nebenschauplatz. Trotzdem brach DFB-Generalsekretär Wolfgang Niersbach nicht in Triumphgeschrei aus, er kommentierte den juristischen Erfolg auffallend dezent: "Für den DFB konnte es nie um eine Bewertung der persönlichen Situation zwischen Amerell und Kempter gehen."

Dabei hatte das DFB-Präsidium noch Ende Juli verfügt, die komplette Causa durch Kontrollausschuss und Schiedsrichterkommission "intensiv prüfen zu lassen". Neues wurde bis heute nicht bekannt. Offenbar wartet auch alles in dem mit Juristen gespickten DFB - auf die Justiz.

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