Schall-Attacke gegen BVB-Fans:Lautsprecher in Untersuchungshaft

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1,30 Meter groß, rollbar und mit 60 Metern Kabel ans Stromnetz angeschlossen: 1899 Hoffenheim bestreitet zwar weiterhin die Mitwisserschaft an der Lautsprecher-Aktion gegen Dortmunder Fans, gibt jedoch zu, dass die ominöse Schallanlage bereits in der vergangenen Saison zum Einsatz kam. Fanvertreter klagen den Klub und seine Angestellten weiter massiv an.

Freddie Röckenhaus

Die Schmonzette von Sinsheim geht in die nächste Runde. Am Dienstag hat ein Angestellter der TSG Hoffenheim bei der zuständigen Polizeidirektion eine "schallerzeugende Apparatur" abgeliefert, mit der er - laut eigener Aussage eigenmächtig - am Samstag im Hoffenheimer Bundesliga-Stadion die Gästefans von Borussia Dortmund mit lauten, offenbar quälenden Tönen unter Druck gesetzt hatte.

Zwar dunkel, jedoch ansatzweise erkennbar: die ominöse Schall-Anlage in den Hoffenheimer Katakomben. (Foto: dapd)

Der Angestellte war von der TSG Hoffenheim am Montagabend als angeblich alleiniger Übeltäter präsentiert worden, offenbar unter dem Eindruck einer ersten Anzeige wegen Körperverletzung, die ein Borussia-Fan aus Pforzheim bei der Heidelberger Polizei erstattet hatte.

Unter dem Druck der Ereignisse hat die TSG Hoffenheim inzwischen auch auf ihrer Homepage eingestanden, dass die Akustik-Anlage bereits in der vergangenen Saison im Hoffenheimer Stadion jeweils unter dem Gästeblock positioniert worden war, und zwar bei Spielen gegen Mainz 05, Eintracht Frankfurt und den 1. FC Köln. Wie bei Borussia Dortmund sind auch die Anhänger von Mainz, Frankfurt und Köln als besonders aggressiv und kritisch gegenüber Hoffenheims Geldgeber, dem SAP-Mitbegründer und Milliardär Dietmar Hopp bekannt.

Die Schallwerfer-Anlage, die hochfrequente, extrem störende Geräusche erzeugt, wurde gegen die Dortmunder Gästefans immer dann hochgefahren, wenn Schmährufe auf Mäzen Hopp oder auf den Klub Hoffenheim aufkamen. Die TSG-Klubführung gab jedoch an, dass sie keine Kenntnis gehabt habe von dem Betrieb der Anlage.

Ralf Köttker, Sprecher des Deutschen Fußball-Bundes, gab bekannt, dass der DFB-Kontrollausschuss aus Hoffenheim eine "Stellungnahme" zur Affäre angefordert habe. Je nachdem, wie diese ausfalle, werde entschieden, ob der Kontrollausschuss in ein Verfahren gegen den Klub einsteigt. Die TSG Hoffenheim vertritt die Linie, dass der Klub-Angestellte die akustischen Störaktionen "eigenmächtig" und in "scherzhafter Absicht" durchgezogen habe.

Unmittelbar nach dem Spiel hatte ein Pforzheimer Zuschauer, der am Samstag im BVB-Block der Rhein-Neckar-Arena gestanden hatte, als Erster Anzeige bei der Heidelberger Polizei erstattet. Am Montag und Dienstag sollen mindestens zehn weitere Anzeigen von Fans eingegangen sein.

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Die Bundesliga und ihre Charaktere: Ein Schalker Ästhet, der in aller Ruhe lupft, ein hyperaktives Hoffenheimer Trainermaskottchen mit Getränke-Leidenschaft und ein Wolfsburger Rumpelstilzchen, dem eine Runde Zen-Buddhismus und Bachblüten gut tun würden. Die Elf des Spieltages.

Laut Polizeisprecher Harald Kurzer wird die sichergestellte Schall-Anlage nun von einem Akustiker darauf untersucht, ob und bei welcher Entfernung die abgestrahlten Töne gesundheitliche Schäden oder Beeinträchtigungen erzeugen können. Außerdem sollen der Hoffenheimer Angestellte, der die Sache "mit einem Kumpel gemeinsam" durchgezogen haben will, sowie alle Anzeige-Erstatter vernommen werden. Der Fan aus Pforzheim hatte angegeben, von der Beschallung einen Tinnitus erlitten zu haben.

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Das selbst gebaute Corpus Delicti ist einen Meter mal 1,30 Meter groß, rollbar auf einem Holzwägelchen, es wurde mit einem 60 Meter langen Kabel aus dem Stadionnetz mit Strom versorgt und von einem Laptop fernbedient, und zwar von einer Position hinter dem Tor in der Nähe des Gästeblocks. Dass dem Hoffenheimer Angestellten ein Alleingang mit dieser nicht unauffälligen Anlage bei gleich vier Bundesliga-Spielen möglich war, ohne dass die Aktivitäten irgendjemandem im TSG-Management aufgefallen wären, halten Fan-Vertreter für unglaubwürdig. Eher, so vermuten Fan-Vertreter aus Dortmund und Köln, werde "ein Bauernopfer" vorgeführt.

Der Dortmunder Sozialarbeiter Thilo Danielsmeyer, der seit vielen Jahren die BVB-Fans betreut, hatte sich vor Ort die Anlage erklären lassen. Und zwar vom Hoffenheimer Ordnungspersonal und von einem neben der Anlage stehenden, leitenden Polizeibeamten. Er sagte: "Es ist nicht nachvollziebar, dass die vor dem Gästeblock arbeitenden Hoffenheimer Ordnungskräfte und die Polizei-Einsatzleitung von dieser Schall-Anlage wissen und mir erklären können, wie sie gehandhabt wird, aber dass nicht dagegen eingeschritten wird. Der Mann, der das Ding bedient, sitzt zudem ganz offen hinter einem der Tore. Es ist ganz unglaubwürdig, dass der Verein von dieser ganzen Sache nichts gewusst haben will und die Aktion nicht bezahlt hat."

Dietmar Hopp, um dessen Ehrenrettung es dem Hoffenheimer Schall-Bastler offenbar ging, bestritt auch am Dienstag, die Aktionen gegen die Gästefans wahrgenommen zu haben oder etwas davon gewusst zu haben: "Es wäre grotesk, wenn wir versuchen würden, die beleidigenden Fan-Gesänge auf diese Weise zu bekämpfen", sagte der 71-Jährige der Rhein-Neckar-Zeitung.

Gegenüber dem Kurpfalz Radio ergänzte Hopp allerdings: "Man sollte ja nicht vergessen, dass das nur eine Reaktion auf eine jahrelange Aggression war. Und der Mann hat halt irgendwo ein Gerechtigkeitsgefühl. Dass er über das Ziel hinausgeschossen ist - okay."

© SZ vom 17.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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