Schalkes Julian Draxler:Jung, talentiert - und mittendrin

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Schalkes Julian Draxler (li): hoch geschätzt, nicht nur von Benedikt Höwedes (re.)

(Foto: AFP)

Das meiste Aufsehen vor dem Champions-League-Duell gegen Istanbul erregt Julian Draxler. Nach dem Abschied von Lewis Holtby ist der 19-Jährige zum offensiven Spielgestalter avanciert. Sein Auftritt gegen Istanbul dürfte nicht nur fürs Weiterkommen wichtig sein - auch große Vereine in Europa werden ihn genau beobachten.

Von Philipp Selldorf

Am Samstag hat Lewis Holtby seine Fangemeinde und den Rest der Welt wissen lassen, dass er nun in Liverpool angekommen sei und dem nächsten Tag mit großer Vorfreude entgegensehe: "Kann es kaum erwarten, morgen gegen die Reds anzutreten." Bis es soweit war, musste Holtby allerdings länger warten, als er gedacht hatte: bis zur 84. Minute, erst dann erhielt er das Zeichen zur Einwechslung. Die 2:3 Niederlage von Tottenham Hotspur konnte er nicht mehr abwenden. Seine Facebook-Freunde machten ihm Mut: Bald werde er bestimmt mal wieder von Anfang an spielen dürfen.

Es ist kaum sechs Wochen her, da hat der Wechsel von Holtby nach London die Schalker Gefolgschaft gespalten. Viele Anhänger begrüßten den Wechsel, weil Holtby im Sommer ohnehin zu Tottenham gegangen wäre, aber viele Leute hatten auch kein Verständnis dafür, dass ihr Verein den Mittelfeldspieler und Kapitän der U21-Nationalelf hatte ziehen lassen.

Die zwei bis drei Millionen Euro, die durch das Ablöseentgelt und die Gehaltseinsparung erwirtschaftet wurden, ließen sie schon mal gar nicht als Argument gelten. Holtby war nach 19 Spieltagen Schalkes wirkungsvollster Torvorbereiter und hatte selbst nicht weniger Tore erzielt als der Mittelstürmer Huntelaar, er trug nicht umsonst die Nummer Zehn auf dem Rücken. Wie konnte also der Manager Horst Heldt, dieser ahnungslose Nichtsnutz, mitten in den Krisenzeiten so einen wichtigen Mann weggeben? Es herrschte, nicht ganz unüblich in Schalke, große Empörung und Unruhe.

Inzwischen hat, bei allem Respekt, kein Mensch mehr in Gelsenkirchen Sehnsucht nach Lewis Holtby. Die Leute, sämtliche ehemaligen Kritiker inbegriffen, sind sich einig: Heldt hat alles richtig gemacht, als er die Wintereinkaufsperiode dazu nutzte, die Statik der Mannschaft zu korrigieren. Er hat einen Linksaußen angeschafft, den erfahrenen und versierten Brasilianer Michel Bastos, der mit seinem Pendant Jefferson Farfán nun eine sehenswerte Flügelzange bildet; und er hat einen passablen Ersatzmann für Holtby besorgt, indem er aus Kiew leihweise den ehemaligen Berliner Raffael unter Vertrag nahm. Vor allem aber hat er durch Holtbys Verabschiedung in der Zentrale Platz für Julian Draxler geschaffen, denn während Raffael als Alternative auf der Bank bleibt, hat sich der Schalker Nachwuchsstar die Schlüsselrolle als offensiver Spielgestalter angeeignet.

Draxler, 19, ist der Spieler, der im aktuellen Schalker Konjunkturhoch das größte Aufsehen erregt. Genau besehen, ist seine Erfolgsgeschichte zwar noch ziemlich überschaubar, sie beschränkt sich auf seine herausragenden Leistungen in den Spielen gegen Wolfsburg (4:1) und Dortmund (2:1). Aber sie ist außerordentlich vielversprechend.

Von Keller als "Weltklasse" geadelt

Nicht nur im Vergleich mit seinem Vorgänger Holtby bringt Draxler eine Reihe von eklatanten Vorteilen mit: Unter anderem ist er schneller, torgefährlicher und dynamischer, er schießt mit links und mit rechts, und an Spielintelligenz mangelt es ihm auch nicht. Das alles war zwar schon zu erkennen, als sich Draxler noch als improvisierter Linksaußen verdingte.

Nun weiß er aber auch selbst, dass er seine Talente auf der verantwortungsvollen Wunschposition verwirklichen kann. Oft genug hatte er den Antrag gestellt, ins Zentrum wechseln zu dürfen, doch als es nun endlich so weit war, da schien er zunächst ein wenig überlastet zu sein. Draxler musste einräumen, er empfinde "Druck, die Rolle auch gut auszufüllen, nachdem ich so oft darüber gesprochen hatte".

Die Leistung des Spiels in Wolfsburg, von seinem nicht zu Übertreibungen neigenden Trainer Jens Keller als "Weltklasse" geadelt, hat er im Derby am Samstag übertroffen. Sein Glück konnte er kaum fassen: Draxler stammt aus einem Elternhaus, das aus Tradition konfessionell an Königsblau gebunden ist; er trat dem Verein mit acht Jahren bei, und nun schoss er in seinem Jubiläumsspiel, dem 100. Pflichtspieleinsatz für Schalke, das 1:0 gegen den Erzrivalen, ein Tor obendrein, das seine besondere technische Klasse unterstrich.

Draxler rannte wie von Sinnen vor die Fankurve und klopfte auf das Wappen auf seiner Brust, keine originelle Geste, wie er selbst wusste, aber sie kam nun mal von Herzen: "Ich war so voller Adrenalin, ich wusste einfach nicht wohin mit meinen Emotionen." Am Abend gab es noch einen kleinen Autocorso mit Freunden durch Gelsenkirchen-Buer, wo er sich mit seinem Bruder eine Wohnung teilt.

Wenn Draxler nun am Dienstag mit seiner Mannschaft in der Champions League zum Rückspiel gegen Galatasaray Istanbul antritt, dann werden wieder einige Experten zuschauen, die sich weniger für Schalkes Kampf um den Einzug ins Viertelfinale als für den jungen Nationalspieler interessieren. Angeblich haben große Vereine in Europa ein Auge auf Draxler geworfen.

Schalke-Manager Horst Heldt sagt, dass er gleich wieder auflegen werde, falls sich einer der Klubs bei ihm melde. Vorerst trägt Draxler das Siegel "unverkäuflich", Heldt hat ihn nicht zum Spielmacher befördert, um ihn gleich zu Geld zu machen. Doch der Manager weiß: Draxler ist zwar ein richtiger Schalker, aber er ist auch ehrgeizig.

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