In den Tiefen der Schalker Arena gibt es eine Kapelle, sie liegt nicht weit entfernt von den Spielerkabinen. Um 23.43 Uhr am Donnerstagabend, kurz nach Abpfiff dieses denkwürdigen Europapokal-Spiels, haben sie die Kapelle abgeschlossen, und wenn man so will, war das nur folgerichtig. Schalke ist vom Glauben abgefallen. Oder, wie es Kapitän Benedikt Höwedes sagte: "Der Fußballgott ist nicht immer gerecht."
20 Minuten vor dem Ende des Viertelfinal-Rückspiels gegen Ajax Amsterdam waren die Schalke mit dem Treffer zum 3:0 schon beinahe ins Halbfinale der Europa League eingezogen - doch zehn Minuten später war es wieder vorbei mit dem Traum, 20 Jahre nach Schalkes Uefa-Cup-Triumph eine neue Eurofighter-Generation zu feiern. Binnen acht Minuten machten die Niederländer in der Verlängerung und in Unterzahl aus einem 0:3-Rückstand noch den 2:3-Endstand und zogen ins Halbfinale ein.
"Ich habe eigentlich selbst nicht mehr daran geglaubt", gestand Amsterdams deutscher Linksaußen Amin Younes, der eine Minute vor dem Ende der Verlängerung das 2:3 erzielt hatte. "Unglaublich", sagte Younes noch. Und in genau diesem Ausdruck waren sich hinterher alle einig - Schalker und Amsterdamer.
"Wir haben das Schalker Herz gezeigt"
Leon Goretzka (53.), Guido Burgstaller (56.) und Daniel Caligiuri (101.) hatten Schalke zu einer 3:0-Führung gebracht, die angesichts der 0:2-Niederlage im Hinspiel zum Weiterkommen gereicht hätte. Doch in der 111. Minute (Nick Viergever, von Matija Nastasic angeschossen) und in der 120. Minute (Younes) kippten die Niederländer die Dramaturgie dieses Spiels. Trainer Markus Weinzierl wirkte hinterher fast geschockt. Alle Beteiligten standen unter dem Eindruck eines wendungsreichen Krimis, die ersten Stimmen fielen deshalb längst nicht so gehaltvoll aus wie das vorangegangene Spiel.
Die Schalker betonten ihren Stolz auf die Leistung. "Wir haben das Schalker Herz gezeigt", sagte Torwart Ralf Fährmann etwa. Aber als er dann gefragt wurde, wo dieses Schalker Herz im Hinspiel geblieben war, musste er eingestehen, dass man das Halbfinale schon eine Woche zuvor verspielt hatte. So ein Viertelfinale besteht nun mal aus vier Halbzeiten - in diesem Falle sogar aus 210 Minuten Fußball, und diese dreieinhalb Stunden hat Ajax am Ende mit 4:3 gewonnen. "Das ist gut für den niederländischen Fußball", sagte Ajax-Trainer Peter Bosz. Sein Team ist die einzige Mannschaft, die seit Einführung der Europa League 2009 jedes Jahr dabei war, und jetzt ist der Klub erstmals ins Halbfinale eingezogen. "Man muss immer an sich glauben", sagte Bosz noch.
Leon Goretzka übergibt sich mehrfach - und spielt weiter
Solch ein Lob hatten am Donnerstag freilich auch die Schalker verdient. Nach einer schwierigen ersten Halbzeit schossen sie binnen drei Minuten ein 2:0 heraus, nach dem 3:0 in der Verlängerung konnten sie schon vom kleinen Wunder träumen. Die Abwehrspieler Sead Kolasinac und Benedikt Höwedes spielten zwei Stunden durch, obwohl sie angeschlagen ins Spiel gegangen waren, und Mittelfeldspieler Leon Goretzka bestand in der Pause trotz eines Zusammenpralls mit Ajax-Torwart Andre Onana kurz zuvor sowie dadurch bedingtem mehrmaligem Erbrechen darauf, in der zweiten Hälfte weiterzuspielen. In der 83. Minute musste er aber ausgewechwelt und mit Verdacht auf eine Gehirnerschütterung ins Krankenhaus gebracht werden.
Das alles erinnerte an die zur Legende gewordnen Eurofighter vor 20 Jahren. Der Unterschied ist: Diesen war 1997 der Uefa-Sieg vergönnt. Die aktuellen Schalker Spieler haben ein gutes Viertelfinal-Rückspiel gezeigt. Aber sind eben auch: ausgeschieden.
"Die Mannschaft hat eine tolle Moral gezeigt", lobte Trainer Weinzierl zwar. Aber mehr als die Erkenntnis, zu welchen Energieleistungen Schalke in der Lage ist, wird nicht bleiben von dieser Partie. Zu oft hat die höher veranlagte Mannschaft in dieser Saison ihr Potenzial verschenkt, fünf Spieltage vor dem Ende der Saison ist die neuerliche Qualifikation zur Europa League äußerst fraglich. Das Ajax-Spiel muss die Mannschaft schnell verarbeiten, um am späten Sonntagnachmittag gegen RB Leipzig zu versuchen, sich vielleicht doch noch zu qualifizieren. Sonst droht Schalke die erste Saison ohne internationale Spiele seit acht Jahren.
