Raúl bei S04 vor dem Absprung:Verlorene Liebe auf Schalke

Vom gefeierten Held zum Problemfall: Das Verhältnis zwischen Stürmer Raúl und Schalke 04 scheint erkaltet. Zum Qualifikationsspiel zur Europa League beim finnischen Meister aus Helsinki reist der Spanier gar nicht erst an, offiziell wegen des fiesen Kunstrasens - oder steckt doch Kalkül dahinter?

Philipp Selldorf

Im Sonera-Stadion in Helsinki liegt ein Kunstrasen aus, und das ist ein großes Glück für die Kommunikationsabteilung des FC Schalke 04, denn so hatte sie eine beinahe einleuchtende Erklärung, warum der Stammspieler Raúl Gonzalez Blanco nicht mitgereist ist zum Europacupspiel am Donnerstag beim finnischen Meister.

Mit den Wirren, die sich am Dienstag um den möglichen Wechsel Raúls zu den Blackburn Rovers ergeben hatten, habe der Verzicht auf die Teilnahme des Angreifers nichts zu tun, ebenso wenig mit sportlichen Gründen, teilte der Sprecher des Vereins, Thomas Spiegel, vor dem Abflug am Mittwoch mit. Vielmehr wolle Trainer Ralf Rangnick dem 34 Jahre alten Spanier den Einsatz auf dem ungewohnten Platz ersparen und ihn für die Bundesligapartie bei Mainz 05 schonen, erläuterte Spiegel.

Manager Horst Heldt ergänzte später: "Zum einen wollen wir Raúl nicht der Gefahr aussetzen, sich zu verletzen. Zum anderen stehen dem Team viele englische Wochen bevor."

Es mag Leute geben, die dieser Erklärung Glauben schenken, aber besonders viele werden es wohl nicht mehr sein. Nicht nur in Gelsenkirchen hat es sich rumgesprochen, dass etwas nicht stimmt zwischen Schalke und Raúl, der Verzicht auf seinen Einsatz steigert das Misstrauen: Es ist ja allgemein bekannt, dass der Stürmer nach den Regularien der Uefa in dieser Saison nicht mehr für einen anderen Verein im Europacup antreten dürfte, wenn er am Donnerstag in Helsinki mitspielen würde.

Zwar hatte Heldt nach der mit Raúls Berater verabredeten Absage an die Blackburn Rovers am Dienstagabend versichert, dass die Schalker Verantwortlichen - inklusive Trainer Rangnick - "immer betont haben, dass wir ihn nicht abgeben möchten", doch die Zweifel am Bleiben des Spaniers hat er damit nicht ausgeräumt.

Zumal Heldt ehrlicherweise einräumte, er wisse nicht, was bis zum Abschluss der Transferperiode am 31. August noch passieren werde.

Blackburn war womöglich nicht die Adresse, die Raúl zu einem Umzug mit der in Düsseldorf lebenden Familie (fünf Kinder) animiert hat. "Stand jetzt will er Schalke nicht verlassen", sagte Heldt. Eventuelle Interessenten mit Ambitionen im Europacup haben nun jedoch eine Woche Zeit gewonnen, um Raúl für einen Wechsel zu begeistern.

Es darf als einigermaßen sicher gelten, dass Schalke die Zustimmung nicht verweigern würde. Am Dienstag, als sich Raúl und sein Berater noch nicht abschließend zum Angebot aus Blackburn geäußert hatten, verwies Heldt darauf, es sei nicht sinnvoll, "unzufriedene Spieler zu halten".

Aber warum soll Raúl in Schalke unzufrieden sein? Nach dem Pokalsieg im Mai, der ein für ihn großartiges Comeback krönte - nachdem er bei Real Madrid in die Reserve geraten war -, schien die Harmonie zwischen Verein und Gaststar perfekt zu sein. Noch vor zwei Wochen sagte sein Berater Ginés Carvajal der SZ: "Raúl ist glücklich in Schalke." Dieses Bekenntnis war wohl nur ein letzter Versuch, ein versöhnliches Signal zu senden. Obwohl Rangnick den Stürmer weiterhin in die erste Elf einreihte, verfinsterte sich zuletzt dessen Stimmung.

Orientiert sich Rangnick an Jürgen Klopp?

Raúls demonstrativ sparsamer Jubel nach seinem Tor gegen Köln war nur eines von vielen Zeichen. Die Verschlossenheit des als empfindlich bekannten Stars nahm zunehmend problematische Züge an, sie wurde als Verweigerung aufgefasst. Die WAZ berichtete, dass Schalke wegen eines verpassten Fototermins sogar eine Geldstrafe ausgesprochen habe. Unter Trainer Felix Magath, der Raúl im Vorjahr unbedingtes Vertrauen zusicherte, wäre das undenkbar gewesen.

Zwischen Raúl und Schalke steht offensichtlich Trainer Rangnick, der die Ansicht vertritt, dass er seine ideale Spielidee mit dem spanischen Angreifer nur bedingt realisieren kann. Seine sportlichen Einwände gegen Raúl sind - schon gegen Ende der vorigen Saison - kaum gefiltert in die Medien gelangt.

Eingeweihte erzählen, Rangnick orientiere sich bei seinem Vorgehen am Trainerkollegen Jürgen Klopp, der in Dortmund aus ähnlichen Systemerwägungen den Klubwechsel der populären Angreifer Alexander Frei und Mladen Petric forciert hatte.

Im Verein gibt es Kritik an Rangnicks Verhalten: Er lasse den Spieler lediglich spüren, dass er Vorbehalte habe, anstatt offen mit ihm umzugehen. Auch wird argumentiert, dass der beliebte Stürmer ohnehin nur noch ein Jahr unter Vertrag stehe.

Sportchef Heldt vertritt in der Sache angeblich einen anderen Standpunkt als Rangnick, nun sei er aber zwischen die Fronten geraten, heißt es. Unzufriedenheit gibt ja nicht nur der Spieler, sondern auch der Trainer zu erkennen, der als launisch und wankelmütig gilt.

Heldt steckt daher im Dilemma. Die gegenwärtig gestörte Kommunikation mit dem Star-Angreifer droht zur Dauerbelastung zu werden. Andererseits dürfte es schwierig werden, den Fans die Trennung von dem spanischen Publikumsliebling zu vermitteln.

Am Mittwoch trainierte Raúl in Gelsenkirchen mit den Rekonvaleszenten und ein paar anderen daheimgebliebenen Profis, darunter Jermaine Jones, von dem es heißt, dass ihn Rangnick ebenfalls nicht ungern weiterreichen würde.

Auch er hat im Europacup noch alle Perspektiven.

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