Julian Draxler bei Schalke 04:Gefangen im Schaufenster

  • Kein anderer Verein führt so viele Spieler aus dem eigenen Nachwuchs in das Profiteam wie Schalke.
  • Das bedeutet für die jungen Profis aber auch eine Last, wie das Beispiel Julian Draxler zeigt.
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Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Die Leser der Gazzetta dello Sport erfuhren es am Mittwoch schwarz auf rosa: Zurzeit zierten sich die Leute in Gelsenkirchen zwar noch, doch sie hätten schon ein entscheidendes Stück nachgegeben. "Es gibt Hindernisse, deswegen sind die Verhandlungen ein wenig abgekühlt, aber die Landebahn ist offen", verriet Juventus Turins Sportchef Beppe Marotta der Sportzeitung und ließ wissen, dass Schalke 04 neuerdings bereit sei, auch Bonuszahlungen beim Verkauf von Julian Draxler zu akzeptieren. Dies sei "ein substanzieller Schritt vorwärts" für Marotta, bilanzierte die Gazzetta.

Poster-tauglicher Held aus dem Revier

719 Kilometer nördlich wundert sich Horst Heldt über die detaillierten Auskünfte seines Kollegen. "Es hat keine Verhandlungen gegeben, deswegen kann auch nichts abkühlen", erklärt der Manager. Nachdem Juve in der letzten Juli-Woche ein Kaufangebot für Draxler vorgelegt hatte, das Schalke mit einer knappen E-Mail als inakzeptabel zurückwies, hätten keine Gespräche zwischen den Klubs stattgefunden, versichert Heldt: "Seitdem gab es keinen Kontakt, und das ist auch nicht gewünscht." Für Gazzetta-Leser: contatto non richiesto. Schalke will Draxler nicht verkaufen, auch nicht für dreißig Millionen Euro, und das liegt keineswegs nur daran, dass Horst Heldts fünfjähriger Sohn ein großer Fan des Nationalspielers ist und seinem Vater mit Konsequenzen gedroht hat.

Im Laufe der Sommerpause drängte sich allerdings der Eindruck auf, dass Schalke 04 nur gern dazu bereit wäre, die Startbahn zum Abflug des jungen Nationalspielers herzurichten. Es sah so aus, als hätten sie den 21-jährigen selbst ins Schaufenster gesetzt. Verein und Spieler schienen der Meinung zu sein, dass die Trennung für beide Seiten die bessere Lösung wäre, denn die vergangenen zwei Jahre waren vor allem von enttäuschten Hoffnungen geprägt.

In Wahrheit war es so, dass keiner der Betroffenen eine Neigung zur Trennung definiert hat, dass sich aber beide Seiten erst mal darüber klar werden mussten, was sie wirklich wollen. "Jule hat mit Juve geredet, aber das war auch zwischen uns abgesprochen", sagt Heldt. Wobei die Initiative zu den Sondierungen, wie er betont, nicht vom Verein ausging: "Er musste sich mit der Sache intensiv auseinandersetzen, um eine Entscheidung treffen zu können." Seitdem, so schildert es der Cheftrainer André Breitenreiter, "geht Julians Entwicklung immer weiter nach oben - was seine Leistung und sein Engagement für den S04 angeht, bin ich sehr zufrieden". Draxler sagt dazu erst mal gar nichts, er meidet Pressegespräche.

Julian Draxler stammt aus der Gelsenkirchener Nachbarstadt Gladbeck und gehört einer passionierten Schalke- Familie an. Sein Vater spielte in den Siebzigern an der Seite von Wolfram Wuttke in den Schalker Nachwuchsteams, mit der B-Jugend gewann er die deutsche Meisterschaft. Der kleine Julian wurde achtjährig auf Schalke eingeschult, mit 17 schoss er im Pokalspiel gegen Nürnberg ein Traumtor zum 3:2-Sieg und im Finale das 1:0 gegen Duisburg. Die Presse nannte ihn den "neuen Olaf Thon". Auch beim Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Gladbeck war er noch nicht volljährig, dafür Inhaber eines Profivertrags. Die Lokalzeitung hob zwei Aspekte hervor: dass ihm der Bundestrainer höchstpersönlich zum Pokalerfolg gratuliert hatte, und dass Bayern München noch nicht vorstellig geworden sei.

"Irgendwann müssen wir auch mal einen verkaufen"

Rückblickend stellt Horst Heldt fest, man müsse bei Julian Draxler "ein Stück weit der Wahrheit gerecht werden: Was von ihm alles erwartet wurde, das konnte er gar nicht erfüllen. Kein Mensch könnte das". Außer als Fußballer firmierte Draxler auf Schalke als Poster-tauglicher Superstar, königsblaue Identifikationsfigur und wandelnde Kapitalanlage.

Die Vertragsverlängerung im Mai 2013 feierte der Verein, indem er Lastwagen mit dem Bild des Spielers durchs Ruhrgebiet fahren ließ, einer stoppte sogar vor dem Dortmunder Stadion für Fotos. Heldt fühlt sich nicht ganz wohl, wenn er sich an den Marketing-Gag erinnert. "Man war in Zwängen", sagt er. Gleich nach der Unterschrift kam raus, dass der Vertrag eine Ausstiegsklausel enthielt, und schon bald meldete sich der FC Chelsea, der die fixen 45,5 Millionen Euro Ablöse nicht als echtes Hindernis betrachtete.

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Julian Draxler spielt bei Schalke 04 seit er acht Jahre alt ist.

(Foto: imago)

Als Schalke kürzlich den Vertrag mit Leroy Sané bis 2019 verlängerte, gab es dazu eine Pressemitteilung, mehr nicht. Auch Sané, Sohn des früheren Bundesligaprofis Souleymane Sané, ist seit Kindesbeinen Schalker, für ihn stand fest, dass er bleiben wollte, aber es waren trotzdem anstrengende Verhandlungen, denn der 19-Jährige wird nicht nur von seinem durchaus reell eingestellten Vater beraten, sondern auch von der Agentur der gewieften Ex-Profis Jürgen Milewski und Jens Jeremies. Natürlich ging es ums Geld, so viel darf Heldt verraten, aber es ging auch darum, wie man die Bezahlung eines Spielers arrangiert, der eine knappe Handvoll Bundesliga-Spiele gemacht hat, aber schon ein begehrtes Transferobjekt ist.

"Das Telefon hat ja nicht mehr stillgestanden", sagt Heldt. Es gibt gute Gründe zu glauben, dass Sané für den Verein in Zukunft mehr wert sein wird als schnelle 15 Millionen aus England, aber es ist trotzdem ein gewagtes Manöver: Der neue Vertrag ist die Vorleistung für einen Spieler, der sein Talent erst in der Praxis realisieren muss. Erst dann weiß man, ob es richtig war, große Summen auszuschlagen. Max Meyer und Donis Avdijaj sind ähnliche Fälle. "Irgendwann müssen wir auch mal einen verkaufen", sagt Heldt im Namen des Ausbildungsvereins Schalke 04.

Neuer wurde mit Verachtung gestraft

Kein deutscher Verein führt so viele Spieler aus der eigenen Nachwuchsschule in das Profiteam ein wie Schalke. Das macht die Fans froh, bedeutet für die Spieler aber auch eine Last. Von ihnen wird nicht nur extragroßes Engagement erwartet, sondern auch eine Schalke-Seele und Vereinstreue. Als Manuel Neuer nach zwanzig Jahren in Gelsenkirchen entschied, zum FC Bayern zu wechseln, haben ihn die orthodoxen Anhänger mit größtmöglicher Verachtung gestraft. Auch Draxler bekam es schon zu spüren, dass man ihn als Fahnenflüchtigen verdächtigte. Die Wut der Fans über das total missratene Finale der vorigen Saison traf ausgerechnet ihn besonders heftig - obwohl er nach sechs Monaten Verletzungspause lediglich als Einwechselspieler mitwirkte und zu den Zerfallserscheinungen allenfalls am Rande beitragen konnte.

Heldt wünscht sich jetzt vor allem, dass Draxler sich nicht wieder verpflichtet fühlt, alle Ansprüche zu erfüllen. Außerdem einen Spieler, der sein taktisches Verhalten, seine Abwehrdienste und sein Positionsverständnis verbessert, sich aber "weiterhin traut, die besonderen und verrückten Dinge zu machen". Das seriöse Spiel und die hohe Kunst zu vereinen, "das ist für einen Spieler mit seinen Fähigkeiten die größte Herausforderung", sagt Heldt - "aber den schmalen Grat muss er selber finden". Womöglich wird es Schalke dann allerdings schwerfallen, den nächsten Angeboten zu widerstehen.

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