Schalker Debakel:Nur Talent, sonst nichts

Schalke verliert den Charaktertest in Ingolstadt widerstandslos mit 0:3 und sieht alle Saisonziele akut gefährdet. Trainer Breitenreiter vermisst "Biss, Herz, alles" und spricht von einem "Riesen-Rückschritt."

Von Sebastian Fischer, Ingolstadt

Es ist kein Geheimnis, dass Ausflüge nach Ingolstadt für Fußball-Bundesligisten keine Erlebnisreisen sind. Es macht keinen Spaß, gegen diesen störrischen Aufsteiger zu spielen, es gibt eigentlich nur was zu verlieren. Und am Ende muss man erklären, ja eigentlich alles vorher schon gewusst zu haben. Viele Trainer haben in dieser Saison am Rande des Ingolstädter Rasens gestanden und gehadert, geflucht, geschimpft. Doch keiner sah dabei so unzufrieden aus wie André Breitenreiter vom FC Schalke 04.

Ein vierfaches Hia-hia-ho!

Schießt in Ingolstadt die Heimmannschaft ein Tor, jodelt es aus den Lautsprechern: Hia-hia-ho! Nach Tor eins kaute Breitenreiter angestrengt auf seinem Kaugummi und haderte mit dem Schiedsrichter. Hia-hia-ho! Breitenreiter schüttelte den Kopf, legte seine Stirn in die Fläche seiner rechten Hand und fluchte. Hia-hia-ho! Breitenreiter saß nur noch auf der Bank, verzweifelt. Nach dem Schlusspfiff, als das 0:3 (0:2) des FC Schalke feststand, jodelte es ein viertes Mal. Breitenreiter stand auf und stapfte in die Kabine. Hia-hia-ho!

Das Gastspiel in Ingolstadt sollte die Richtung vorgeben für den Rest der Schalker Saison, es sollte zeigen, ob die Ambitionen, in der kommenden Saison auf internationaler Bühne zu spielen, gerechtfertigt sind. "Wir sind gut positioniert im Kampf um Europa und wollen das auch bleiben", hatte Manager Horst Heldt gesagt und damit drei Punkte zur Pflichtaufgabe erklärt. Nach dem Abpfiff lag eine Mischung aus Ratlosigkeit und Wut in Heldts Blick. Er sagte: "Mir fehlen ein bisschen die Worte." Ein paar fand er doch: "Wir ergeben uns zu schnell unserem Schicksal."

Ein strittiger Elfmeter als Symbol fürs ganze Spiel

Die Schalker hatten es mit einer abwartenden Taktik probiert. Der Plan: Ingolstadt das Spiel machen zu lassen, denn es hat sich in der Republik herumgesprochen, dass dies der Elf von Trainer Ralph Hasenhüttl nicht liegt. Die Gäste standen eher tief im 4-4-2, im Sturm bot Breitenreiter erneut den athletischeren Franco Di Santo anstelle von Klaas-Jan Huntelaar auf.

Es ist ja unstrittig, dass die Schalker Mannschaft um die jungen Max Meyer, Leon Goretzka und Leroy Sané über großes Potenzial verfügt und fußballerische Klasse. Das war zu sehen, sobald Sané mit riesigen Schritten zum Sprint ansetzte, schon in der eigenen Hälfte, und die Verteidiger aussehen ließ, als würden sie sich in Zeitlupe bewegen. Der Nachmittag wäre wohl ein anderer geworden, hätte Franco Di Santo in der 23. Minute Sanés Vorlage zur Führung genutzt. Doch der Stürmer, der in dieser Saison erst zweimal getroffen hat, zielte daneben. Sechs Minuten später führte Ingolstadt.

FCI-Stürmer Dario Lezcano lief von der linken Seite in den Strafraum, Junior Caicara lief nebendran, als würde sich die Situation irgendwie von selbst lösen - und dann fiel Lezcano. Breitenreiter hätte durchaus einen Grund gehabt, Schiedsrichter Daniel Siebert zu kritisieren. Doch er sagte: "Den muss man pfeifen." Alleine deshalb, weil Lezcano den Elfmeter so sehr gewollt habe. Und so war dieser Elfmeter ein Symbol für das gesamte Spiel: Ingolstadt wollte, Schalke nicht. "Wir haben alles vermissen lassen: Biss, Herz", sagte Breitenreiter. Er sprach von einer "riesigen Enttäuschung", einem "riesigen Rückschritt".

Eine Mannschaft braucht eben mehr als nur Talent, um erfolgreich zu sein. Das war die Geschichte dieses Spiels, und ein wenig ist es die Geschichte der Schalker Saison. "Es ist uns bis heute nicht gelungen, Sieger-Mentalität auf den Platz zu bringen", sagte Breitenreiter. Er schien sich dessen bewusst zu sein, dass dieses Thema in seinen Aufgabenbereich fällt. Doch sein Plan war hinfällig nach dem 0:1: Ingolstadt verteidigte fortan mit noch mehr Selbstbewusstsein - und kombinierte sogar. Nach einem Schalker Fehlpass spielten Danny da Costa und Pascal Groß Doppelpass, Lukas Hinterseer schloss ab, und Schalke lag in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit mit zwei Toren hinten.

Erst Dortmund, dann Bayern, dann Leverkusen

Je länger das Spiel dauerte, umso offensichtlicher wurden die Schalker Mängel. Auch als Huntelaar kam, entwickelten die Gäste kaum Torgefahr, niemand hatte eine Idee, niemand übernahm Verantwortung, und Sanés Läufe prallten an Ingolstadts Verteidigern ab wie an einer Wand. "Wir hätten mehr Mann sein müssen", so drückte es Torwart Ralf Fährmann aus: "Ingolstadt war mehr Mann."

Ingolstadt presste weiter und nutzte die Schalker Fehler. Lezcano traf nach Roman Neustädters Ballverlust und da Costas Vorlage (65.). Am Ende war der FCI dem 4:0 näher als die Schalker überhaupt einer einzigen Szene, die die Anhänger hätte besänftigen können. Wütend gestikulierten die Fans in Richtung der Profis. Am nächsten Spieltag kommt Borussia Dortmund zum Derby, anschließend spielt Schalke beim FC Bayern, dann gegen Leverkusen. Es sieht nicht gut aus mit Europa.

Doch die Schalker glauben noch an das Erreichen ihrer Saisonziele, jedenfalls sagen sie es. Die Mannschaft müsse halt wieder ihr anderes Gesicht zeigen, so Horst Heldt: "Am besten schon morgen."

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