Süddeutsche Zeitung

Schalke weiter erfolglos:Fastenzeit

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Schalkes Trainer David Wagner verordnet wegen der Personalnot eine Defensivtaktik. Das führt zu einem kargen 1:1 gegen Hoffenheim und einigen Fragen.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Zuschauer, die schon ein wenig älter sind, erinnerten sich womöglich an den alten Fachbegriff "Schlafwagenfußball", als die Partie zwischen Schalke 04 und der TSG Hoffenheim in der zweiten Halbzeit weiterlief. Etikettiert war die Veranstaltung als Spitzenspiel um den mutmaßlich letzten offenen Platz für die Qualifikation zur Europa League, der Sechste stand dem Siebten der Tabelle gegenüber. Aber das Spiel sah aus, als hätten sich zum Ende der Saison zwei Teams getroffen, die aussichtslos im Mittelbau der Tabelle festsitzen. Dass hier zwei Schicksale übereinstimmten, ging auch aus den Kommentaren beider Trainer hervor, als der Schiedsrichter beim Stand von 1:1 das Duell beendete. Beide erklärten sich unter Verweis auf die jeweils verfahrene Lage ihres Teams mit dem Gebotenen und mit dem Ergebnis einverstanden. Es seien zwei Teams in Aktion getreten, "die sicher nicht ihre beste Periode haben", betonte seufzend Schalkes Coach David Wagner.

Sein TSG-Kollege, der Niederländer Alfred Schreuder, machte geltend, seine Spieler seien nach dem 0:6 gegen den FC Bayern noch moralisch befangen gewesen ("Die Jungs sind keine Robots, sondern Menschen"). Wagner ließ wissen, der neue Schalker Rückzug in "einen total defensiven Ansatz" sei die einzige Rettung vor Unheil: "Etwas anderes steht uns nicht zu, weil wir dafür nicht das Personal haben." Tatsächlich herrschte nach dem Spiel vor der Schalker Kabine ein Andrang wie zur Rush Hour in der U-Bahn von Tokio. Für all die verletzten Profis, die in Zivilkleidung ihren Kollegen die Aufwartung machen wollten, war kaum genügend Platz im engen Gang. Sieben Spieler fehlten Wagner zur Disposition, fast alle fungierten bisher als Angehörige der Stammelf.

Die Teams begegneten sich mit dem gleichen System. Wie Schalke nahmen auch die Gäste in der Defensive eine massive 5-4-1-Formation ein. Das ließ Schlimmes ahnen für den Unterhaltungsfaktor, doch die verbliebene Schalker Elf trat gegen ein furchterregend harmloses Hoffenheim zunächst ansehnlich und dominant auf. Angeführt vom 22 Jahre alten Draufgänger Weston McKennie, trug sie den Ball in steter Regelmäßigkeit nach vorn, folgerichtig war es McKennie, der das 1:0 (20.) besorgte - der erste Treffer für Schalke nach vier torlosen Partien. Statt den Druck auf den verschreckten Gegner zu steigern, blieb es jedoch anordnungsgemäß bei gebremstem Antrieb. Die Folge war abzusehen: In der zweiten Hälfte zogen sich die Schalker in passive Defensive zurück, sie behielten diese Haltung sogar nach dem 1:1 (67.) durch Baumgartner bei. Die Einwechslungen von Amine Harit und Ahmed Kutucu kamen zu spät, um noch etwas zu bewegen. Spielmacher Harit hatte, wie beim Pokalspiel gegen die Bayern (0:1) am Mittwoch, aus taktischen Gründen auf der Bank gesessen. Für einen Dribbler auf der Zehnerposition sieht Wagner zurzeit keinen Platz im Konzept der Risiko-Minimierung.

Die Frage, warum er nicht spätestens nach dem 1:1 wieder mehr offensive Initiative angewiesen habe, rief bei Wagner eine gereizte Reaktion hervor. Es habe keinen Unterschied zwischen den Herangehensweisen gegeben, beschied er. Dass ein Trainer fast renitent darauf besteht, seine Mannschaft habe im Heimspiel gegen einen Tabellenkonkurrenten von der ersten bis zur letzten Minute dem Ungeist des Catenaccio gehuldigt, hört man auch nicht alle Tage. Wagners Bekenntnis zur vorsätzlichen Selbstlimitierung zeigt nicht nur die Entschlossenheit, mit der er Schalke nun Underdog-Fußball spielen lässt, sondern es zeigt auch den Grad seiner Frustration. Man habe nach Beginn der Saison "sieben, acht Monate eine Identität aufgebaut", so Wagner, diese Entwicklung sei aber leider durch die zahlreichen Verletzten "unterbrochen". Totale Defensive sei derzeit "der einzig richtige Ansatz - weil das Andere funktioniert ja nicht", betonte Wagner.

Ob diese Ansicht von allen Schalker Verantwortlichen geteilt wird, darf bezweifelt werden. Der Klub braucht den Europacup nicht zwingend zum Überleben, aber er braucht ihn. Am Samstag hat es so ausgesehen, als habe Schalke die Chance, ein angeschlagenes Hoffenheim zu distanzieren, gar nicht richtig ergreifen wollen. Leichter wird's nicht unbedingt: Am nächsten Samstag steht für Schalke das Derby in Dortmund an.

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SZ vom 09.03.2020
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