Süddeutsche Zeitung

FC Schalke 04:Sehr, sehr mutiger Trainer gesucht

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Sportliche Krise, ein demoralisiertes Team, immanente Untergangsstimmung: Schalke bietet kein sonderlich attraktives Jobprofil - auch nicht für Ralf Rangnick.

Kommentar von Philipp Selldorf

Ein nicht unwesentlicher Teil der Referenzen, die David Wagner bei Schalke 04 ins Amt verhalfen, resultierte aus seiner Erfolgsgeschichte beim englischen Außenseiter FC Huddersfield - und aus der Tatsache, dass er einst Trauzeuge von Jürgen Klopp war. Letzteres machte bei vielen sogar den noch größeren Eindruck, infolgedessen trug Wagner während seiner ersten Monate Ehrentitel wie "Kloppo-Kumpel" oder "Schalke-Kloppo". Dahinter stand die Erwartung, dass die Nähe zum stets siegreichen Großtrainer aus Liverpool etwas von dessen Aura nach Gelsenkirchen bringen würde. Dieser fromme Irrglaube beschränkte sich keineswegs auf Außenstehende, zumal Klopp den Schalkern zu ihrem Fang gratulierte. Die erste Halbzeit der vorigen Saison schien ihn zu bestätigen.

Dann kam die Rückrunde, die einen beispiellosen sportlichen Niedergang bescherte, und es gab genügend Gründe für die Klubführung, an Wagners vorschussweise unterstellter Siegermentalität, seinem taktischen Repertoire und der geeigneten Ansprache ans Team zu zweifeln. Der Trainer übernahm zwar öffentlich im Stile eines aufrechten Offiziers die Verantwortung für die schwarze Serie, aber im internen Austausch argumentierte er vorwiegend mit den vielen Verletzten und anderen Konstruktionen, die ihn der persönlichen Schuldigkeit enthoben.

Dem Sportvorstand Jochen Schneider braucht jetzt wohl niemand mehr zu sagen, dass es ein folgenschwerer Fehler war, gegen alle nahezu logischen Einwände an Wagner festzuhalten. Ein starker Torwart, ein bissfester Verteidiger und ein treffsicherer Stürmer sind unentbehrlich für ein Profiteam - aber der wichtigste Mann ist der Trainer. Deshalb steckt Schneider nun in ernsten Schwierigkeiten, denn er muss unter der Last der Ereignisse unter Zeitdruck einen neuen Coach beschaffen, der im laufenden Betrieb ein demoralisiertes, desorientiertes Team in wettbewerbsfähige Form bringen muss. Der nächste Kandidat ist somit eine Notlösung, er muss handwerklich improvisieren und hat mit der auf Schalke immanenten Lust an Untergangsstimmung einen weiteren starken Gegner. Kein sonderlich attraktives Jobprofil.

Hoffnungsvolle Blicke richten sich auf Ralf Rangnick, der gerade frei ist und in einem speziellen Verhältnis zu Schalke steht. Auf den ersten Blick passen beide Parteien nicht zusammen, Rangnick ist für den Ex-Partner mindestens eine Nummer zu groß geworden, doch die beiden abgebrochenen Engagements des schwäbischen Fußballweisen in Gelsenkirchen erlauben auch die Vermutung, dass die gemeinsame Geschichte noch nicht beendet ist. Rangnick hat die Autorität, um die Schalker Kabine in den Griff zu bekommen. Allerdings hat er andere Ansprüche, als hektisch bei einem mittellosen, nicht nur sportlich verirrten Traditionsverein einzusteigen. Rangnick hat angedeutet, dass er unter Bedingungen nicht uninteressiert wäre, als Generaldirektor den Wiederaufbau zu leiten. Aber er hat auch wissen lassen, dass man ihn in der aktuellen Lage nicht anzurufen braucht. Deutlich wurde er am Montag im Interview mit der Funke-Mediengruppe: "Ich kann mir zurzeit überhaupt nicht vorstellen, ein drittes Mal zu Schalke zu kommen, und schon gar nicht als Trainer, der kurzfristig die Negativ-Serie beenden soll." Das lässt keinen Spielraum für Interpretationen.

Ein anderer Mann wird es machen müssen, ein sehr, sehr mutiger, der größere Referenzen aufweisen sollte als die vormalige Tätigkeit bei einem Underdog.

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Quelle:
SZ vom 28.09.2020
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