Schalke-Torwart Timo Hildebrand:Urplötzlich zurück im Geschäft

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Nach Manuel Neuer wurde es turbulent: Schalke 04 erlebt eine seltsame Torwartsaison. Weil Lars Unnerstall verletzt ist, steht künftig der frühere Nationalkeeper Timo Hildebrand im Tor. Der spielte vor kurzem noch in der Regionalliga - und hofft nun auf die Fortsetzung seiner Karriere.

Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Vor elf Jahren, als Schalke 04 für eine Zigarettenlänge deutscher Meister war, hat es das schon mal gegeben. Damals, mit Emile Mpenza und Ebbe Sand in der Angriffsspitze, schoss Schalke mehr Tore als jedes andere Bundesligateam, 65 waren es nach 34 Spieltagen. Am Sonntag beim 4:0 gegen Wolfsburg erzielte Klaas-Jan Huntelaar den Jubiläumstreffer der Saison: Nummer 50 im 22. Spiel ist zurzeit die nationale Bestmarke und lässt die Aussicht zu, dass der Klubrekord aus dem Jahr 1977 (77 Tore) fallen könnte. Schützenkönig Klaus Fischer, Huntelaars Vorfahre, würde es bestimmt nicht übelnehmen.

Wieder im Fokus: Timo Hildebrand. (Foto: AFP)

Beim nächsten Bundesligaspiel richtet sich der Blick zunächst allerdings weniger auf den immer hungrigen Huntelaar, der am Sonntag frustriert das Haus verließ, weil ihm statt der möglichen vier oder fünf Tore bloß zwei gelungen waren. Sondern auf den Mann am anderen Ende der Aufstellung, denn Timo Hildebrand, Schalkes neue Nummer eins, dürfte in der Partie beim FC Bayern eher im Blickpunkt stehen als sein Gegenüber Manuel Neuer.

Noch haben sich viele Leute nicht mal den Namen des bisher diensthabenden Schalker Torwarts merken können, da muss Trainer Huub Stevens wieder umdisponieren. Lars Unnerstall, der Vertreter des am Kreuzband verletzten Ralf Fährmann, hatte am Sonntag seinen Posten während der Pause aufgegeben, die Schmerzen zwangen ihn dazu. Der 21-Jährige wurde sofort in die Uniklinik nach Münster gebracht, wo man ihm die Diagnose einer Schultereckgelenksprengung stellte. Es hieß, er müsse vier bis sechs Wochen pausieren.

Für Hildebrand, 32, kam der Einsatzbefehl so unvermittelt, dass ihn sein erster Weg nicht auf den Rasen führte, sondern an einen stillen Ort. Zum Zweck der Besinnung gibt es zwar auch eine Kapelle in der Gelsenkirchener Arena, aber Hildebrand suchte lieber die Toilette auf, wie er später erzählt hat. "Ich war angespannt, ist ja normal", berichtete er, "das ist halt was ganz anderes, wenn man auf einmal reingeworfen wird."

Hildebrand war Nationalspieler, Meister mit dem VfB Stuttgart, hat in Valencia und Lissabon gearbeitet, aber das sind alles Erlebnisse aus einem anderen, verblassten Torwartleben. In Schalke hat er wieder ganz von vorn begonnen. Als er im vorigen Oktober nach Fährmanns Verletzung den Soforthelfer-Job in Gelsenkirchen aufnahm, bedeutete das die Erlösung aus der Stellungslosigkeit. Das Engagement war eine unverhoffte Verheißung, aus dem Nichts schien ihn ein gnädiges Schicksal in das Tor eines Spitzenklubs befördert zu haben.

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Weil sich aber der Fährmann-Vertreter Unnerstall selbst verblüffte und gegen die Erwartungen der Schalker Autoritäten bestens zurechtfand im Tor, blieb Hildebrand nur die Rolle des Ersatzmanns. Er spielte ein paar Mal mit der zweiten Mannschaft in der Regionalliga, gegen Wuppertal, Verl oder Koblenz, doch bei den Profis kam er bloß auf einen Einsatz in der Europacup-Partie in Haifa. "Aber in der Bundesliga zu spielen, ist etwas ganz anderes als in Haifa, wo es um nichts mehr ging", erzählte Hildebrand jetzt.

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Bevor er solche Betrachtungen anstellte, hat er seinem verletzten Kollegen Unnerstall ein Gedenken gewidmet. "Erstmal vorneweg: Dem Lars gute Besserung", hat er betont, bevor er über sich, den Sieg gegen Wolfsburg und seine sehenswerte Reflexparade gegen den Schuss von VfL-Stürmer Polter redete. Hildebrand kämpft in Schalke nicht nur um eine Zukunft im Profifußball ("will noch ein paar Jahre spielen"), sondern auch um seine Ehre als Mensch.

Das klingt womöglich ein wenig pathetisch, aber dem Mann eilt der Ruf nach, bei seinen Teams nicht nur verlässlich das Tor gehütet, sondern auch zuverlässig für schlechte Laune gesorgt zu haben. Der Versuch, dieses Bild durch geplante Imagewandlungen zu bekämpfen, vertiefte die Vorurteile erst recht.

Auch in seiner Zeit bei der Nationalelf sind ihm einige gut gemeinte öffentliche Äußerungen so sehr missglückt, dass sie als das Gegenteil von gut gemeint verstanden wurden. Leute, die ihn besser kennen, versichern, dass er den zweifelhaften Ruf nicht verdient hat. In Schalke hat er still seine Arbeit gemacht, dafür gab es Lob von allen Seiten. "Er hat sich immer fair verhalten, und jetzt ist er wieder im Geschäft", sagte Manager Heldt und bezog das auch auf die mögliche Verlängerung des im Sommer auslaufenden Vertrages. Zuletzt hieß es, Fortuna Düsseldorf sei interessiert, Hildebrands Manager hat das nicht dementiert.

Historisch betrachtet ist es eine mehr als seltsame Torwartsaison in Schalke. Die beiden Spezialisten, die dem gebeutelten Trainer Stevens geblieben sind, sind ja obendrein geschichtlich belastet: Der eine - Hildebrand - hatte seine glänzendste Torwartzeit, als er 2007 dem VfB mit irren Paraden half, Schalke vom ersten Platz zu stürzen; der andere - Reservemann Mathias Schober - verantwortete 2001 als Torwart des Hamburger SV die Szene, die dem FC Bayern zu einem letzten Freistoß verhalf. Patrick Andersson lief an - und in diesem Moment endete Schalkes Triumph, der nur eine Zigarettenlänge dauerte.

© SZ vom 21.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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