Schalke-Torwart Ralf Fährmann:Im Auge des Orkans

FC Schalke 04 - Training Session

Neuer Leistungsträger: Schalkes Torwart Ralf Fährmann.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Ralf Fährmann war überfordert von der Aufgabe, in Schalke den Torwart Manuel Neuer zu ersetzen. Mit Verspätung hat er es nun doch geschafft. Pünktlich zu seinem größten Spiel gegen Real Madrid ist er kein Wackelkandidat mehr, sondern eine wichtige Stütze im Team.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Ralf Fährmann wird in bester Gesellschaft sein, wenn er mit Schalke 04 am Mittwoch auf Real Madrid und am Samstag auf Bayern München trifft. Auf der Gegenseite werden dann Iker Casillas und Manuel Neuer stehen, mehr Torhüter-Glamour ist auf Erden kaum denkbar, aber die Neuigkeit ist die, dass die Schalker deswegen nicht mehr sehnsüchtig oder wehmütig werden müssen. Seit Fährmann, 25, im Oktober den allzeit unglücklichen Timo Hildebrand abgelöst hat, verfügt Schalke wieder über einen Torwart, der Punkte rettet und zum Lokalhelden taugt.

Die Fans lieben ihn jetzt nicht mehr nur deshalb, weil er ein echter Schalker ist, sie lieben ihn jetzt auch wegen seiner Torwartleistungen. Kenner haben errechnet, dass Fährmann in zwei Wochen - sobald er die nötige Mindestzahl an Einsätzen erreicht hat - in der Bestenliste des Fachmagazins kicker auftauchen müsste. Und dass er dann an den Führenden Bernd Leno und Marc-André ter Stegen vorbeiziehen könnte und wie eine Hitsingle von Null auf Eins in die Torhüter-Charts der Liga platzt. Es sind zwar bloß Schulnoten - aber die Branche achtet auf so etwas.

Ist Ralf Fährmann also besser als Manuel Neuer? Darüber muss man nicht ernsthaft diskutieren, es sei denn, man gehört dem orthodoxen Flügel der königsblauen Anhängerschaft an, der es Neuer immer noch nicht verzeihen will, dass er freiwillig zum FC Bayern übergelaufen ist. Es hat aber tatsächlich mal Zeiten gegeben, in denen die zuständigen Experten im Verein Fährmanns Talente als ebenbürtig einschätzten. Damals begann Neuer seine Karriere bei den Schalker Profis, während der zwei Jahre jüngere Fährmann mit den A-Junioren die deutsche Meisterschaft gewann, 2006 war das.

Inzwischen ist Neuer knapp 28 Jahre alt, die ganze Fußballwelt hält ihn für die größte Koryphäe seines Fachs, und am Mittwoch haben die Schalker Fans wieder Gelegenheit, sich an gemeinsame Zeiten mit dem Nationaltorwart zu erinnern, denn das Spiel gegen Real Madrid wird vom Engländer Howard Webb geleitet, der vor sechs Jahren auch schon die Champions-League-Partie zwischen dem FC Porto und Schalke beaufsichtigte. Damals machte Neuer nach eigener Einschätzung das vielleicht beste Spiel seines Lebens, doch diesen historischen Vorfall hat Fährmann bereits vor drei Wochen wachgerufen, als er im Liga-Spiel gegen Wolfsburg eine von Neuers typischen Paraden aus Portos Drachenstadion nachstellte.

Wie er dem augenscheinlich unhaltbaren Schuss des Mittelfeldspielers Luiz Gustavo den Weg versperrte, und wie er in dieser Aktion Sprungkraft, Reaktionsschnelligkeit und Courage vereinte - darin ließ sich die grundlegende Lehre der Schalker Torwartschule erkennen, die auch Manuel Neuer immer noch als ABC dient.

Als Fährmann im Oktober in Braunschweig anstelle des verletzten Hildebrand ins Tor durfte, hat ihm Neuer eine SMS geschickt und Glück gewünscht. Es war, wenn man so will, der Beginn einer neuen Zeitrechnung, denn es sieht so aus, als ob es Schalke erst jetzt geschafft hat, die Lücke zu schließen, die der Nationaltorwart durch seinen Weggang im Sommer 2011 hinterließ. Dass der Trainer und der Manager neulich nach dem 2:1 in Leverkusen unabhängig voneinander dasselbe Sonderlob formulierten ("Wir hatten Glück - und einen überragenden Torhüter"), das hat es ja in den zweieinhalb Jahren nicht gegeben, in denen außer Fährmann und Hildebrand auch Lars Unnerstall vergeblich versucht hat, Neuers Nachfolge anzutreten.

Noch sind alle Beteiligten vorsichtig mit endgültigen Erfolgsmeldungen. Aber es gibt optimistische Zwischenbilanzen. "Wir wussten alle, dass er enorme Qualitäten besitzt, aber er hatte ein paar Schwierigkeiten, sie auch rüberzubringen", sagt Trainer Jens Keller. Vor allem "die psychische Spielbelastung" sei das Problem gewesen.

"Manch anderer wäre daran sicherlich zerbrochen"

Schalke 04 - Hannover 96

Ralf Fährmann, Joel Matip und Felipe Santana (von links nach rechts) feiern einen 2:0 Sieg über Hannover.

(Foto: dpa)

Einiges ist schiefgelaufen, nachdem Fährmann aus Frankfurt nach Schalke zurückkehrte, um den Neu-Münchner Neuer zu beerben. Das größte Problem war natürlich der im Herbst 2011 erlittene Kreuzbandriss - im Sommer 2012 freilich war Fährmann wieder fit, doch nun standen andere Probleme im Weg. Im Verein hieß es, er habe zu schwache Nerven für den Profifußball.

Man zweifelte nicht an seinen sportlichen Fähigkeiten, aber man zweifelte daran, dass er sie unter der Anspannung des Spiels verlässlich verwirklichen könnte. Sogar aus dem Trainerstab kamen Empfehlungen, den Versuch mit Fährmann aufzugeben. Aus der Mannschaft allerdings gab es die gegenteiligen Signale. Prominente Spieler plädierten dafür, Fährmann zur Nummer eins zu machen.

Seine Fürsprecher dürfen sich nun bestätigt fühlen. "Er ist über die Wochen immer stabiler geworden, und strahlt jetzt eine wahnsinnige Sicherheit aus", sagt Trainer Keller, und Sportchef Horst Heldt stellt fest, Fährmann habe "einen Wahnsinnskraftakt" vollbracht, um endlich der ersten Elf des Klubs anzugehören, dem er - aus Chemnitz kommend - als 15-Jähriger beitrat: "Er hat eine lange Leidenszeit hinter sich. Manch anderer wäre daran sicherlich zerbrochen."

Die Zeit des Wartens sei "nicht immer einfach gewesen, da kamen auch mal Zorn, Enttäuschung und Unverständnis rüber". Heldt erinnert sich, wie er Fährmann im vorigen Sommer im Trainingslager ein harmloses "Wie geht's?" zurief - "da brach ein Orkan aus". In den Gesprächen mit dem unglücklichen Torwart kam sich der Manager manchmal "wie ein Mülleimer" für Frust und Verdruss vor.

Es gab ein paar ernsthafte Angebote zum Vereinswechsel, "aber Aufgeben kam nicht in Frage", sagt Fährmann. Nicht in dem Klub, für den er sich 2009 beim Vertragsabschluss mit Eintracht Frankfurt eine Rückkehrklausel garantieren ließ, und der ihn in diesen Tagen dringend braucht. Ralf Fährmann wird vermutlich etwas mehr gefordert sein als Iker Casillas und Manuel Neuer. Aber Wundertaten des Torwarts sind in Schalke nicht mehr ausgeschlossen.

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