Süddeutsche Zeitung

Bundesliga:Schalke muss ein Spar-Klub werden

Clemens Tönnies ist zurückgetreten - doch die Symptome des kränkelnden Vereins bleiben. Wohl und Wehe hängen auch davon ab, wie treu die Schalke-Fans sind.

Kommentar von Ulrich Hartmann

Schalke, sagt man im Ruhrgebiet, ist auf Kohle gebaut. Diese Metapher, die die Verwurzelung des 116 Jahre alten Gelsenkirchener Fußballklubs im Bergbau und seine Akzeptanz in dieser Region verbildlichen soll, ist unter wirtschaftlichen Aspekten bedenklich. Das schwarze Gold, das dem Ruhrgebiet einst die Kohle eingebracht hat, ist längst aufgebraucht. Der Strukturwandel hat das Revier verändert. Schalke 04 ist nicht mehr aus wirtschaftlichen und immer weniger auch aus sentimentalen Gründen auf Kohle gebaut. Die Pointe ist, dass es eines Virus bedurfte, um die Vergänglichkeit solcher Werte offen zu legen.

Im Schalker Klublied heißt es wehmütig und stolz: "1000 Feuer in der Nacht / Haben uns das große Glück gebracht." Rund um die Halde, auf die Schalkes Arena einst gebaut wurde, hatten am Samstag 1000 Fans eine Menschenkette gebildet, um gegen den Aufsichtsratsboss Clemens Tönnies zu protestieren. Sie lasteten dem Großschlachter gefühlt sämtliche Probleme des Klubs an, glauben offenbar, mit ihm das entscheidende Virus aus dem Verein eliminieren zu können.

Tönnies trat zurück, doch die Symptome des kränkelnden Klubs bleiben: sportliches Mittelmaß, hohe Verschuldung und eine gewisse Entfremdung von der Kundschaft. Ironischerweise haben Fußballfans jüngst allerorts erfahren müssen, dass ihre Anwesenheit im Stadion zur Aufrechterhaltung des Spielbetriebs vorübergehend nicht erforderlich ist. Es geht auch ohne sie, die Frage ist, wie lange.

Der frühere Schalker Finanzchef Josef Schnusenberg hat zum Thema Geldmangel gern jovial gesagt: "Wir sind doch kein Sparclub!" Das war zu einer Zeit, als sich Hasardeure noch als Visionäre gebärdeten. Diese Zeiten sind vorbei. Schalke muss jetzt genau das werden: ein Sparclub. Corona und die Folgen legen die Wahrheit frei. Oder wie es der 2019 verstorbene, langjährige Schalker Manager Rudi Assauer gerne auf seine derbe Art erklärte: "Wenn der Schnee schmilzt, kommt die Scheiße zum Vorschein."

Das berühmte Steigerlied des Ruhrgebiets könnte Ende dieses Jahres zum immateriellen Unesco-Weltkulturerbe ernannt werden. Dem FC Schalke 04, wo sie diese Zeilen gern tröstlich singen, würde das zwar keine denkmalbedingte Immunität verleihen, doch auch der Verein trägt Züge eines Kulturerbes, und sei es nur innerhalb Nordrhein-Westfalens. Gerüchte um eine beabsichtigte Landesbürgschaft über 40 Millionen Euro werden nicht dementiert. Der Rücktritt des wegen der Corona-Affäre in seiner Großschlachterei in die Kritik geratenen Tönnies könnte Bedingung gewesen sein.

In Gelsenkirchen müssen sie trotzdem umso strenger auf die Bilanz achten und sich dazu auch wieder mit ihren Fans versöhnen. Wenn Stadionpublikum wieder zugelassen ist, wird Schalkes Wohl und Wehe in sportlicher wie finanzieller Hinsicht auch von der Treue der Stammkundschaft abhängen. So gesehen wird die Fußballtradition auf Schalke gewiss doch wieder zum Rettungsanker. Aber selbst das hat dort eine sehr lange Tradition.

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SZ vom 02.07.2020/chge/ebc
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