Süddeutsche Zeitung

Krise bei Schalke 04:Wie lange noch mit Tedesco?

  • Nach dem 0:4 gegen Fortuna Düsseldorf bleibt Domenico Tedesco erstmal Trainer von Schalke 04.
  • Der neue Sportvorstand Jochen Schneider tritt Montag seinen Dienst an und soll sich Dienstag äußern.
  • Er muss schnell entscheiden: Bleibt Tedesco? Und wenn nein: Wer kann dieser völlig verunsicherten Mannschaft sofort helfen?

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Was in dieser Situation gesagt werden musste, das hat Jochen Schneider nicht verschwiegen, als er gegen 18 Uhr mit angemessen ernster Miene aus der Schalker Kabine kam: "Guten Abend", sagte er, ehe er den Weg fortsetzte und sich von der Rolltreppe in weniger öffentliche Gefilde des Stadions befördern ließ.

An diesem Montag soll Schneider, 48, vom Aufsichtsrat zum neuen Sportvorstand des FC Schalke 04 berufen werden. Dass er am Samstag das Bundesligaspiel gegen Fortuna Düsseldorf besuchte, war sozusagen der Prolog seines Engagements. Schneider ist also schon da, aber er ist noch nicht im Dienst, und auf diesen Unterschied hat der Vorsitzende des Aufsichtsrates, Clemens Tönnies, großen Wert gelegt, als er die Reporter über das Prozedere in seinem Klub informierte: "Der Sportvorstand ist noch nicht eingesetzt", stellte Tönnies klar, erst am Dienstag werde Schneider "dazu etwas sagen".

Der künftige Manager hat also noch etwas Zeit, um die ersten Eindrücke zu verarbeiten. Zum kalten Einstand servierte ihm die Schalker Mannschaft ein 0:4 gegen eine Düsseldorfer Fortuna, die bei dieser Partie viel Kraft für die freien Karnevalstage sparte - so leicht war ihr dieser Kantersieg gefallen. Falls er nicht vor lauter Schock von seinem Vertrag zurücktritt, muss Schneider nun mit seinen beiden Vorstandskollegen zügig die Frage der Fragen erörtern: Wie lange noch wagt es der Klub, Domenico Tedesco zu vertrauen?

Der Trainer hatte sich nach Abpfiff, seiner Mannschaft voranschreitend, geradezu todesmutig vor die tobende Fankurve begeben und dort den Zorn der Getreuen sowie manche Bierdusche empfangen. Dieses Bild eines heroischen Alleingangs wurde an Melodramatik nur dadurch übertroffen, dass zwei in den Innenraum vorgelassene Vertreter der örtlichen Ultras dem französischen Mittelfeldspieler Benjamin Stambouli förmlich die Kapitänsbinde entzogen. Stambouli, 28, beschwerte sich nicht über diesen Akt der Deklassierung: "Wir sind kleine Spieler, der Verein ist groß", sprach er mit tränenerstickter Stimme. Das alles wirkte geradewegs so, als wäre es aus einem christlichen Märtyrerstück entnommen. Wenn gelitten wird auf Schalke, dann aber richtig.

Tedesco hat anschließend harte Worte über seine Mannschaft gesprochen, doch Gedanken an den eigenen Rücktritt lagen ihm weiterhin fern: "Ich bin keiner, der sich verpisst. Ich glaube an meine Arbeit", sagte er. Ob aber auch die maßgebenden Leute im Verein noch an seine Arbeit glauben? Schwer zu glauben nach diesem - aus Schalker Sicht - Abgrund von Fußballspiel. Auch in der Tabelle nimmt der Abwärtstrend einer zurzeit in allen Einzelteilen desolaten Elf sichtbar Formen an. Schalke ist ein akuter Sanierungsfall.

Vor dem Gift der Verunsicherung sei kein Fußballer gefeit, klärte der Düsseldorfer Coach Friedhelm Funkel später auf, "ob du Weltklasse-Spieler bist oder ganz normaler Bundesligaspieler". Ungeachtet des 4:0 bestand er nämlich weiterhin darauf, "dass Schalke eine viel bessere Mannschaft hat als wir - nur sie bringen es nicht auf den Platz".

Wie hoch daran Tedescos Schuldanteil ist, darüber muss jetzt die Chefetage befinden. Bisher war Schalke wild entschlossen, den charaktervollen Trainer zu halten, weil er Begabung und Perspektive verspricht. Doch seine Jugend wird jetzt zum belastenden Argument, da sich zunehmend Abstiegsangst breit macht.

Kaum im Dienst, muss Schneider eine essentielle Entscheidung treffen, denn mit Tedescos Aus wäre es ja nicht getan, es müsste auch der richtige Soforthelfer gefunden werden. Tedesco berichtete von einer guten Trainingswoche und einer Mannschaft, die ihm vor dem Spiel sehr "lebendig" vorgekommen war - "aber im Spiel war sie tot". Doch warum? "Die Mannschaft war nervös, extrem nervös." Letzteres würde man den Akteuren womöglich noch nachsehen, kaum aber, dass sie sich "einfach zu wenig wehren - der Gegner ist kräftiger, größer, schneller". Auch diese Analyse stammt von Tedesco, was nicht wie ein Plädoyer in eigener Sache klang.

Den Schalker Auftritt nannte Tedesco dagegen "mutlos und leer, sehr leer". Es war eine Leistung, die sogar den wortmächtigen TV-Experten Reiner Calmund kapitulieren ließ: "Das kann man fußballfachlich nicht mehr analysieren.

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