Süddeutsche Zeitung

Schalke 04:Fünf auf einen Streich

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Der Tabellenletzte trennt sich unter anderem von Sportvorstand Schneider, Trainer Gross und Teammanager Riether. Zu dem radikalen Schritt dürften auch die Begleitumstände des 1:5 in Stuttgart beigetragen haben.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Es war das Glück des gewieften Jägers und Sammlers, das dem Reporter des TV-Senders Sky am Sonntagvormittag jenes Bild schenkte, das mehr sagt als tausend Worte. Eben noch hatte der Sonderkorrespondent davon berichtet, dass Schalke 04 über Nacht den quasi kompletten sportlichen Führungsstab entlassen habe, da entdeckte er von seinem hochsitzartigen Standort aus Bewegung in der Kulisse des Vereinsgeländes. In der Ferne bewegte sich langsam, aber stetig der Trainer Christian Gross, von dem gerade erst die Rede gewesen war. Im heranzoomenden Kamerabild wirkte der Mann wie das Reh, das unvorsichtigerweise die Lichtung betritt. "Er hat auch schon seine Taschen dabei", kommentierte live der Reporter, "das ist natürlich ... puh."

Den Satz nicht zu vollenden, drückte Rücksicht und ein gewisses Mitgefühl aus. Das Bild des einsam in einer diffusen Gegend zwischen Baustellen, Parkplätzen und Containerbauten umherwandernden Schweizers bedurfte keiner verbalen Beschreibung. Die Erkenntnis, dass hier jemand ganz gewaltig alleingelassen wurde, genügte vollauf.

Gross, 66, hat kaum zwei Monate auf Schalke gearbeitet. Die Nachricht der Abberufung erreichte ihn am Sonntagmorgen, aber diesmal war er immerhin nicht der einzige Betroffene. Außer dem kurz vor Weihnachten engagierten Coach muss auch sein zum Jahresbeginn verpflichteter Assistent Rainer Widmayer gehen, desgleichen der Reha-Trainer Werner Leuthard sowie der Teammanager Sascha Riether, der am Rande der 1:5-Niederlage beim VfB Stuttgart tags zuvor noch den Verein in den TV-Interviews repräsentiert hatte. Jochen Schneider, der all die nun entlassenen Fachkräfte eingestellt hatte, wollte sich nicht mehr zur Lage äußern, und ab sofort wird auch er nicht mehr für Schalke 04 sprechen: Der Sportvorstand, dessen Abschied zum Saisonende ohnehin feststand, wurde ebenfalls aus dem Dienst genommen.

Fünf auf einen Streich, das hört sich radikal an und ist es auch. Die neueste Verlust- und Schadensmeldung aus Gelsenkirchen ist geeignet, selbst jene Schalker zu entsetzen, die noch die vormodernen Chaoszeiten im vorigen Jahrhundert in Erinnerung haben. Andererseits ist Chaos längst wieder der zweite Vorname des Vereins. Von folkloristischer Unterhaltung kann allerdings keine Rede sein.

Die sportliche Verantwortung geht nun an den Nachwuchschef Peter Knäbel über

Lange - Kenner meinen: zu lange - hatte der Aufsichtsrat zugesehen, wie unter der Aufsicht und Verantwortung des glücklosen Vorstands Schneider aus dem Abstiegskampf eine Art Siechtum wurde. Bis zur Schließung des Wintertransferfensters setzte man auf Schneiders Erfahrung und Kontakte. Die Wende blieb trotz namhafter Neuzugänge aus. Das Signal zum Handeln gab jetzt womöglich weniger das 1:5 beim VfB als dessen Begleitumstände.

Am Morgen vor dem Spiel verbreiteten verschiedene Medien die Meldung, die in der Winterpause verpflichteten Führungsspieler Klaas-Jan Huntelaar, Sead Kolasinac und Shkodran Mustafi seien bei Schneider vorstellig geworden, um die Ablösung von Trainer Gross zu erwirken. Der Verein dementierte die Darstellung, und Eingeweihte versicherten auch am Sonntag, dass Schneider keinerlei Delegation zum Protestvortrag oder gar als Abordnung eines organisierten Aufstands empfangen habe. Lediglich Teammanager Riether sei im Austausch mit unzufriedenen Spielern gewesen: Es gab Beschwerden über Gross' altmodische Trainingsmethodik. Vom Vorgänger Manuel Baum hieß es allerdings im Mannschaftskreis, er habe nur von der Theorie Ahnung gehabt, und dessen Vorgänger David Wagner wiederum galt bei den Spielern als taktisch eindimensional. Leicht hatten es die Trainer also noch nicht mit den Schalker Profis. Riether beklagte am Samstag die gestörte Spielvorbereitung und ließ anklingen, dass er hinter den Medienberichten Methode vermutete: "Da wird von Revolution gesprochen - aber Revolution war da überhaupt nicht."

Die Meldung war trotzdem in der Welt, die Informanten hatten ihr Ziel erreicht: Gross war demontiert, und den Rest erledigten die Profis selbst, indem sie dem VfB mit abenteuerlichen Deckungsfehlern schon nach einer halben Stunde eine 3:0-Führung ermöglichten.

Fast hätte die Geschichte des Spiels noch eine ironische Wendung genommen: Mittelfeldspieler Nabil Bentaleb, den Gross jüngst aus der zum wiederholten Male verhängten Suspendierung befreit hatte, stand nach 72 Minuten kurz davor, dem Spiel die Wende zu geben. Ausgerechnet der notorische Rebell. Doch den Elfmeter zum möglichen 2:3 schoss Bentaleb so kraftlos aufs Tor, dass Gregor Kobel den Ball locker abwehren konnte. Statt fortgesetzter Aufholjagd gab es dann zum Schluss noch zwei Gegentore, die aus der Niederlage das inzwischen gewohnte Debakel machten. "Wenn wir so spielen und verteidigen, ist der Trainer die ärmste Sau", sagte Torwart Michael Langer, der die verletzten Kollegen Ralf Fährmann und Frederik Rönnow vertrat, an den Gegentoren aber keine Schuld trug.

Zur Rettung des Trainers konnte Langer mit seinem aufklärenden Satz nicht mehr beitragen. Abends verständigte sich der Eilausschuss des Aufsichtsrates per Telefonkonferenz, danach kam das komplette Gremium im Ferngespräch zusammen. "Unausweichlich" seien die Entscheidungen gewesen, sagte der Ratsvorsitzende Jens Buchta, im bürgerlichen Leben Rechtsanwalt mit Kanzlei in Düsseldorf. "Wir brauchen nicht drum herumzureden: Die sportliche Situation ist eindeutig." Soll heißen: Schalke bekennt sich zu seinem Absteiger-Schicksal. Die Mannschaft, so Buchta, stehe "in der Pflicht, das letzte Drittel der Spielzeit so erfolgreich wie möglich zu bestreiten".

Die sportliche Verantwortung geht nun an den Nachwuchschef Peter Knäbel, 54, über. An Stelle Riethers wird - wie vor zwei Jahren - Gerald Asamoah in der Kabine der Verbindungsmann zwischen Klub und Team sein. Aber wer den Trainerjob übernimmt, als Nummer Fünf in der laufenden Spielzeit, das hat Schalke noch nicht mitgeteilt. Mike Büskens, 52, wird es jedenfalls nicht sein, er soll weiterhin an der Kaderplanung für die nächste Saison arbeiten. In einer anderen Liga mit einer anderen Mannschaft. Die alte Mannschaft werden viele Schalker nach diesem Wochenende noch etwas weniger vermissen.

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