Süddeutsche Zeitung

Schalke 04:Drei verlorene Punkte und eine fast verlorene Hoffnung

Der FC Schalke 04 ist beim 0:3 gegen Borussia Mönchengladbach regelrecht wehrlos. Die Absage von Ralf Rangnick gäbe dem Verein den Rest - wäre da nicht diese eine letzte Hintertür.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Verloren hatte Schalke 04 am Samstagabend schon, bevor der Ball zum ersten Mal berührt wurde. Mittags um eins ließ Ralf Rangnick eine Mitteilung verbreiten, dass er sich "aufgrund der zahlreichen Unwägbarkeiten innerhalb des Vereins derzeit nicht in der Lage" sehe, "die sportliche Verantwortung bei S04 zu übernehmen". In der königsblauen Welt zerbrachen in diesem Moment viele, viele Herzen - die Aussicht auf Rangnicks Rückkehr hatte die Düsternis durchbrochen, die den darniederliegenden Verein umgibt, und eine Art Aufbruchsstimmung in der Anhängerschaft erzeugt. Mehr als 50 000 Fans hatten sich einer Petition angeschlossen, die für ein Comeback des ehemaligen Trainers warb. Vergeblich wohl, obwohl der Verein, so ließ der Aufsichtsratsvorsitzende Jens Buchta wissen, sich nochmal um einen Kontakt mit dem Berater des schwäbischen Fußballgelehrten bemühen will.

Am Samstagabend saß Dimitrios Grammozis auf dem Platz, den ihm Rangnick in der kommenden Saison womöglich streitig gemacht hätte. Der 42-jährige Coach erlebte gegen Borussia Mönchengladbach bei seinem dritten Einsatz die dritte Niederlage, beim 0:3 bot seine Elf abermals einen überforderten Eindruck. Was für den hoffnungsvoll gestarteten Grammozis nun auch schon zur Routine zu werden droht, das sorgte bei seinem Kollegen Marco Rose für Erleichterung und lang vermisste glückliche Gefühle. Sieben Spiele hatten die Borussen hintereinander verloren, Match Nummer acht bot lediglich bescheidenen Glanz, aber immerhin einen kaum bedrohten Erfolg. "Es ist sicher keine geringe Last von uns abgefallen", sagte Rose, "heute wollten die Jungs den Sieg unbedingt."

Die Gladbacher mussten sich selten Sorgen machen um die drei Punkte. Schalkes demoralisierter Zustand nahm ihnen viel Arbeit ab. Der Klassenunterschied zwischen den beiden Teams war zu jeder Zeit der Partie das bestimmende Motiv.

Für die 1:0-Führung zur Pause hatte Lars Stindl gesorgt, nachdem sich die Schalker wieder nicht einig waren, wie sie den Ball aus der neuralgischen Zone befördern sollten. Das Problem nahm ihnen der Borussen-Kapitän ab, indem er ihn geradewegs unter das Dach des Tores donnerte (15.). Danach ließen es die Gladbacher etwas ruhiger angehen, das konnten sie sich erlauben, die Chancen fielen ihnen trotzdem immer wieder vor die Füße. Dass sie daraus nichts machten, hätte sich kurz vor der Pause beinahe gerächt, Schalke ließ vereinzelte Lebenszeichen aufflackern und hatte durch den 18-jährigen Kerim Calhanoglu eine seriöse Torchance - letztlich die einzige, die es im gesamten Spiel für seine Farben gab. Der im Winter umjubelte Heimkehrer Klaas-Jan Huntelaar gab zwar eine Viertelstunde vor Schluss sein immer wieder verschobenes Comeback, ein prägnanter Ballkontakt war ihm aber mangels offensiver Vorstöße seiner Mitspieler nicht vergönnt.

Auch die zweite Hälfte durften die Gäste als wohltuend empfinden. Schalke mühte sich eifrig, aber ineffektiv, die Borussia schoss die Tore, wobei ihr der Gegner weiterhin behilflich war. Stefan Lainer traf nach einem Eckball zum 2:0 (63.), die Hausherren verzichteten darauf, ihm dabei den Weg zu versperren. Schalke 04 und die Wehrlosigkeit bei gegnerischen Eckbällen, das ist unter fachlichen Aspekten ein prägendes Kapitel dieses absurden sportlichen Niedergangs. Tor Nummer drei machten die Blauen dann konsequenterweise selbst. Nico Elvedis Kopfball hielt Frederick Rönnow schon in den Händen - um ihn dann hinter die Linie fallen zu lassen (72.).

Es könnte unschön werden in der nächsten Zeit

Den Borussen verschafft der Sieg ein wenig Ruhe in der Trainerdebatte. In Gelsenkirchen dagegen gehen die Diskussionen jetzt erst richtig los. Es könnte unschön werden in der nächsten Zeit, Enttäuschung und Verdruss sind groß. In den vergangenen Tagen hatten sich der Verein, vertreten durch Aufsichtsratschef Jens Buchta, und die externe Gruppe von Schalker Freunden und Förderern, die den Kontakt zu Rangnick hergestellt hatte, auf eine Art friedliche Koexistenz verständigt. Am Samstag setzte wieder Entzweiung ein. "Ich habe den Eindruck, andere wollen hier die Deutungshoheit bekommen, die ganze Auseinandersetzung hilft Schalke nicht", beklagte Buchta die Einmischung der Allianz, die sich unter dem Motto "Tradition und Zukunft" zusammengetan hat. Die "von außen hereingetragenen Turbulenzen" erschwerten die längst begonnenen Zweitliga-Planungen und vor allem die Suche nach einem neuen Sportmanager.

Die Nachricht, dass Rangnick nicht bereit ist zu einem Engagement in Gelsenkirchen, erreichte Buchta mittags an der Tankstelle. Von der Absage sei man "überrascht" worden, besonders von ihrer Kurzfristigkeit. Das erste Gespräch mit Rangnicks Berater Marc Kosicke sei "sehr konstruktiv und inhaltlich wertvoll" gewesen, erklärte der Funktionär. Der Aufsichtsrat sei entschlossen gewesen, in einer zweiten Gesprächsrunde Einigkeit zu erzielen. Buchtas Stellvertreter Peter Lange drückte es bildhaft aus: "Ich habe Kosicke gesagt, dass ich zu Fuß an den Nordpol laufen würde, um Ralf Rangnick zu verpflichten." Im Gespräch mit dem Manager hatten die Schalker Verantwortlichen die finanzielle Perspektive des Vereins offenbart, demnach stehen - unabhängig von den vielen Ungewissheiten im Hinblick auf den Transfersommer - für die kommende Saison rund 20 Millionen Euro zur Verfügung. Ein Etat, "der in der Spitzengruppe der zweiten Liga liegt", wie Finanzvorstand Christina Rühl-Hamers in einer Presserunde am Samstag betonte. "Es wurde an keiner Stelle erwähnt, dass dieses Budget für Rangnick nicht ausreichend wäre", ergänzte Buchta.

Die Initiative, die Rangnick angesprochen und für die Gespräche mit dem Verein gewonnen hatte, will die Hoffnung noch nicht aufgeben. Noch sei "nicht aller Tage Abend", ließ Sprecher Uli Paetzel wissen. Tatsächlich hatte Rangnick mit dem Wort "derzeit" eine Hintertür zur Umkehr von seinem Entschluss offengelassen. "Zutiefst beeindruckt" hätten ihn die sehnsüchtigen Reaktionen, erklärte der 62-Jährige: "Ich hätte mich gerne eingebracht, um Schalke auf dem schwierigen Weg zurück zu alter Stärke zu helfen."

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