Süddeutsche Zeitung

Bundesliga:Juve in der Königsklasse? Das wäre gut für Schalke

Der klamme Bundesligist verleiht Weston McKennie nach Turin. Der Deal könnte sich langfristig lohnen - sofern sich der Serie-A-Klub für die Champions League qualifiziert.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Die Anhängerschaft des FC Schalke 04 ist von ihrem Klub in diesem Jahr mit schlechten Neuigkeiten reich versorgt worden. Sportlich ging es während der Rückrunde bergab wie in keiner Saison zuvor seit dem Eintritt in die erste Liga im Jahr 1963. Die Mitteilungen aus der Finanzabteilung hatten in 9,9 von zehn Fällen mindestens beunruhigenden, meistens alarmierenden Inhalt, und nun klingt auch die jüngste Botschaft vom Transfermarkt wieder nach einer herben Enttäuschung.

Nachdem in den vergangenen Wochen auf allen Kanälen gemeldet wurde, Schalke stehe kurz davor, den zum Abschied entschlossenen Mittelfeldspieler Weston McKennie für wenigstens zwanzig Millionen Euro an Hertha BSC oder einen englischen Erstligisten zu verkaufen, kommt jetzt die Nachricht, dass der 22-Jährige US-Amerikaner für ein Jahr an Juventus Turin verliehen werde. McKennie hat bereits das Trainingslager der Mannschaft in Österreich verlassen und befindet sich zur Abwicklung der Formalitäten in Italien.

Italienische und deutsche Medien beschreiben den Handel als spekulatives Geschäft. Demnach bezahle der italienische Meister eine Leihgebühr, die je nach Quelle drei bis sechs Millionen Euro betrage, außerdem verpflichte sich Juventus zum Kauf des Spielers, wenn dieser am Ende der Saison eine gewisse Mindestzahl von Einsätzen erreicht habe. In Italien ist von 60 Prozent der Wettbewerbsspiele die Rede. Das wäre ein gefährlicher Deal für Schalke. Juventus hätte alle Freiheiten, das Geschäft zu gestalten; Schalke hätte keinerlei Einfluss.

Nach SZ-Informationen gelten zwar tatsächlich variable Bedingungen, damit aus der Vermietung ein Verkauf wird, der Schalke die dringend benötigten Einnahmen bringt. Die Erfüllung der Bedingungen liegt aber im unbedingten Interesse von Juventus. Demnach ist die Kaufverpflichtung für McKennie nicht an dessen Einsatzzeiten geknüpft, sondern an den sportlichen Erfolg: Turin muss nicht wieder Meister werden, um den bereits verhandelten Kaufvertrag in Kraft treten zu lassen; es genügt, wenn sich die Norditaliener für die Champions League qualifizieren. Nach neun Meisterschaften hintereinander sollte ihnen das durchaus zuzutrauen sein.

Ein Zugang steht in Aussicht: Vedad Ibisevic

Sollten sich die Dinge erwartungsgemäß ergeben, würde Schalke für McKennie mindestens die angepeilten 25 Millionen Euro einnehmen und hätte damit immerhin mittelfristig das Ziel erreicht. Aktuell bringen Leihgebühr und Gehaltsersparnis neuen Spielraum zum Handeln, die Finanzlage ist bekanntlich mit dem Begriff "angespannt" taktvoll beschrieben. Den Kauf des Torwarts Alexander Schwolow vom SC Freiburg konnten die Schalker trotz monatelang zuvor getroffener Verabredungen nicht verwirklichen - es mangelte an der nötigen Liquidität. Schwolow nahm schließlich eine Offerte von Hertha BSC an. Auch das Geld für McKennie wird Schalke nicht in die Lage versetzen, die Lücken im Kader zu schließen.

Ein Zugang steht dennoch in Aussicht, offenbar wird sich der Angreifer Vedad Ibisevic, 36, den Königsblauen anschließen. Freudenfeste wird es deshalb bei den Fans in Gelsenkirchen vermutlich nicht geben, aber Ibisevic zeichnet sich durch mindestens zwei Vorzüge aus: Er ist - wie er neulich in Berlin gezeigt hat - immer noch ein raffinierter Torjäger (127 Treffer in 340 Bundesligaspielen), und er ist eine bezahlbare Alternative.

Weston McKennie wird in Schalke sehr geschätzt, er hatte aber seine Absicht klar formuliert, den Verein wechseln zu wollen und gilt außerdem als ersetzbar. Das hat vor allem damit zu tun, dass für seine Position im Mittelfeld ausreichend Auswahl besteht, weil der Klub die Spieler nicht verkaufen konnte, die er gern verkauft hätte: Sowohl Sebastian Rudy als auch Nabil Bentaleb erhielten keine Anschlussverträge in den Klubs, an die sie verliehen worden waren (TSG Hoffenheim, Newcastle United) - hier wie dort sah man sie als zu teuer an. Nun tragen sie wieder königsblau und sollen sich professionell bewähren, falls sich nicht doch noch etwas tut. Weitere Verkäufe aus dem hochwertigen Stammpersonal sind auf Schalke im Übrigen nicht vorgesehen, Verteidiger Ozan Kabak und Nationalspieler Suat Serdar sollen definitiv bleiben.

Für Weston McKennie, der im Sommer 2017 auf Initiative von Nachwuchsmanager Oliver Ruhnert (heute Union Berlin) aus Dallas kam, gab es trotz des durch Corona eingeschränkten Markts stets eine große Nachfrage, neben Hertha BSC und dem FC Southampton meldeten sich weitere Bewerber aus dem Mittelfeld der Premier League. Juventus Turin, das vor ein paar Tagen das Feld erweiterte, rief bei McKennie das größte Interesse hervor. Er wird dort nicht nur die Gesellschaft Cristiano Ronaldos genießen dürfen und Andrea Pirlos Start in die Trainerkarriere miterleben, er hat auch gute Aussichten auf Einsätze in der ersten Elf. Im Mittelfeld ist das Team recht dünn besetzt, Weltmeister Sami Khedira, 33, gehört zwar immer noch zum Kader, der Klub soll aber eine Trennung angeregt haben.

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SZ vom 28.08.2020/chge
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