Süddeutsche Zeitung

Alex Kral bei Schalke 04:Chef-Organisator für ein Jahr

Dank Fifa-Sonderregel wechselte Alex Kral für eine Saison von Spartak Moskau zu Schalke 04. Als Mittelfeldautorität könnte er dort nun tragende Bedeutung erlangen.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Nicht nur das Konto des FC Schalke 04 bot im vorigen Jahr nach dem Abstieg in die zweite Liga einen bedenklichen Anblick, sondern auch der Parkplatz der Fußballprofis am Stadion. Dort standen auf einmal sehr gewöhnliche Autos, die in den verschwenderischen Vorjahren kein Spieler zu fahren gewagt hätte - weil sie neben all den frisierten Sportwagen und Vorzeigelimousinen nahezu unangenehm aufgefallen wären.

Inzwischen ist Schalke wieder erstklassig und somit auch das eine oder andere extravagante Modell auf der Sonderparkfläche anzutreffen, unter anderem ein grellgelbes Raketenfahrzeug mit tschechischen Kennzeichen, das mutmaßlich den tschechischen Nationalspieler Alex Král transportiert. Der 24 Jahre alte Mittelfeldmann stand bisher bei Spartak Moskau unter Vertrag und gehörte in der vergangenen Saison als Leihgabe dem Europacup-Halbfinalisten West Ham United an. Ein Profi mit solchen Karrieredaten kostet üblicherweise nicht unerheblichen Unterhalt.

Na und?, hätte das alte Schalke dazu gesagt und in die Kasse gegriffen. Das neue Schalke aber sieht sich genötigt, von dieser Vereinstradition Abstand zu nehmen. Schalke musste improvisieren beim Umbau des Zweitliga-Kaders zum Erstliga-Kader, weil man nicht mehr das Geld ausgeben möchte, das man gar nicht hat.

Beim 2:2 gegen Gladbach ist er an beiden Gegentoren beteiligt - und verteilt mit Umsicht Bälle

Dass Král jetzt trotzdem in Gelsenkirchen tätig ist, hat mit den Umständen zu tun: In Moskau wollte er wegen des Ukraine-Krieges nicht mehr spielen, die Fifa eröffnete ihm mit einer Sonderregel den Weg zum ablösefreien Wechsel. Schalke konnte ihm eine attraktive Stelle als Stammkraft anbieten, was er nach dem auf der Ersatzbank verbrachten Jahr bei West Ham zu schätzen wusste, und dabei war es auch von Vorteil, dass er die Männer bereits kannte, die ihm so gut zuredeten: Manager Rouven Schröder und Chefscout André Hechelmann hatten bereits in gemeinsamen Zeiten bei Mainz 05 zu Král Kontakt gehabt, als dieser noch für FK Teplice und Slavia Prag spielte. Der Vertag mit Král ist auf ein Jahr befristet, danach ist er - zumindest formell - wieder ein Angestellter von Spartak. Eine Rückkehr nach Moskau oder ein Wechsel zu einem anderen, zahlungskräftigeren Verein ist denkbar, Schalker Abschiedsschmerz möglicherweise inbegriffen.

Beim farbenfrohen 2:2 gegen Borussia Mönchengladbach am Samstagabend bestritt Alex Král sein drittes Pflichtspiel für Schalke, und der Trainer Frank Kramer verblüffte das Publikum gleich doppelt, indem er urteilte, der tschechische Chef-Organisator habe "einen ordentlichen Job gemacht". Die einen erstaunte die Aussage, weil sie gesehen hatten, dass Král an beiden Gegentoren beteiligt war. Die anderen, weil sie erkannt hatten, dass er mehr als bloß "ordentlich" die Mitte des Spiels bearbeitet hatte.

Tatsächlich traf beides zu: Beim 1:1 verpasste er den Moment, um den Ball wegzuschlagen, und beim 1:2 versäumte er es, dem Torwart Alexander Schwolow den Weg freizumachen, damit er nicht - wie geschehen - am Ball vorbeigreift. Offensichtlich war aber vor allem sein Vermögen, die Bälle mit Umsicht nach vorn zu verteilen, und die offensiven Mitspieler Zalazar, Mohr und Bülter einzusetzen. Král ist ein Spieler, der die Initiative ergreift und genügend Eigenschaften mitbringt, um sich erfreulich im Schalker Gedächtnis zu verewigen wie einst (1993 - 2002) sein Landsmann Jiri Nemec. Dessen Spezialität, das totale Schweigen, beherrscht der Neue allerdings nicht, er gilt als lebhaft und gesprächig.

Beim Kampf um den Klassenverbleib könnte Král als designierte Mittelfeldautorität tragende Bedeutung bekommen, aber das könnte eines Tages noch zum Zwiespalt werden, wie das Wiedersehen mit Ko Itakura zeigte. Der 25-Jährige Japaner hatte im Vorjahr nicht unmaßgeblich am Wiederaufstieg mitgearbeitet und machte sich beinahe so beliebt wie einst Nemec. Jetzt allerdings stand Itakura auf der Gegenseite und legte im Gladbacher Abwehrzentrum einen exzellenten Auftritt hin.

Während Schalke im Sommer nicht imstande war, die festgeschriebene Ablöse von sechs Millionen Euro an Manchester City zu bezahlen, weil dann kaum noch Geld für weitere Verstärkungen geblieben wäre, konnten die immer noch solide finanzierten Borussen zugreifen. Eine Durchgangsstation für Klassespieler möchte Schalke 04 natürlich nicht bleiben - vorerst muss man sich mit der Rolle aber abfinden. Králs Raketenfahrzeug steht nächstes Jahr womöglich wieder auf einem anderen Parkplatz.

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