Schalke holt Huub Stevens zurück:Um vier Minuten zu vergessen

Huub Stevens war schon einmal deutscher Fußballmeister mit dem FC Schalke 04. Aber nur für vier Minuten. Nach fast zehn Jahren kehrt er zurück zu seiner großen Liebe - und versucht seine schwierige Mission in Königsblau zu vollenden. Ausgerechnet bei seinem Fast-Verein in Hamburg muss er damit beginnen.

Sebastian Gierke

Er war schon einmal deutscher Fußballmeister mit dem FC Schalke 04. Für vier Minuten. Für vier Minuten im Mai des Jahres 2001. Die wohl vier berühmtesten Minuten der Bundesligageschichte. In Schalke war schon abgepfiffen, in Hamburg nicht, und es dauerte eben vier Minuten, bis Patrik Andersson einen umstrittenen Freistoß für den FC Bayern München ins Tor schoss, gegen den HSV ausglich - und Schalke nur noch Meister der Herzen war.

Huub Stevens stand wenig später auf den Rängen des alten Parkstadions. Dort, wo sie die Meisterschale, das Duplikat zumindest, hätten überreicht bekommen - wäre Anderssons Tor nicht gewesen. Stevens überblickte das blau-weiße Meer. Die 20.000 Fans, die auf den Rasen gestürmt waren, um zu feiern. Ach was: Um zu explodieren vor Glück und Begeisterung. Er stand da und lächelte, wippte leicht mit dem Kopf, schluckte schwer. Dann fasste er sich mit der rechten Hand ins Gesicht, als müsse er sich eine Träne wegwischen.

Es ist natürlich Spekulation, ob Hubertus Jozef Margaretha Stevens, genannt Huub, jetzt nicht doch Trainer beim Hamburger SV wäre, hätte es diese schweren Minuten im Trainerleben des Niederländers nicht gegeben. Hätte er nicht die echte Trauer in den Gesichtern der Schalker Fans gesehen. Mike Büskens, heute Trainer der SpVgg Greuther Fürth, damals noch Spieler auf Schalke, hat über die Situation damals gesagt: "Da ist man leer. Und damit muss ich jetzt leben. Meister der Herzen zu sein."

Vielleicht hat sich Stevens gesagt, dass er damit nicht leben will. Dass er es noch einmal versuchen will mit dem FC Schalke, den er von 1996 bis 2002 betreute. Stevens ist immer noch der Trainer mit der längsten Amtszeit auf Schalke. Ganz sicher aber hat er dort oben im Parkstadion gespürt, dass der FC Schalke mehr ist als die Summe der einzelnen Teile, mehr ist als Spieler und Fans und Stadion und Gelsenkirchen. Viele nennen es Religion.

Ein Jahr nach der so dramatisch verlorenen Meisterschaft wurde Stevens triumphal verabschiedet. Sein letztes Spiel war der Sieg im DFB-Pokal gegen Bayer Leverkusen, Stevens wurde damals wegen Meckerns auf die Tribüne verwiesen. Schon 1997 hatte er die Königsblauen zum Uefa-Cup-Gewinn geführt, war zum Trainer der Schalker Jahrhundert-Elf gewählt worden.

Nach 3426 Tagen kehrt er jetzt zurück, wird Nachfolger von Ralf Rangnick. Dabei hat der 57-Jährige auch mit dem HSV heftig geflirtet. Er hatte davon gesprochen, wie "wunderschön" die Zeit beim Hamburger SV in den Jahren 2007 und 2008 gewesen sei, der Vertrag schien bereits fix.

Aber er konzentrierte sich eben nicht ganz auf die Hamburger, verhandelte parallel noch mit der alten Liebe - und der Hamburger Sportdirektor Frank Arnesen sagte Stevens ab: Ein Trainer müsse "zu 100 Prozent" von der Aufgabe begeistert sein, erklärte Arnesen. Begeistert ist Stevens zu 100 Prozent aber wohl nur von Schalke 04.

"Er ist der neue Trainer, und er wird ein guter Trainer sein", sagte der Schalker Aufsichtsratsvorsitzende Clemens Tönnies nach der Verpflichtung. "Der Huub freut sich wie verrückt. Er ist richtig heiß auf Schalke und hat gehofft, dass wir uns melden." Und Sportdirektor Horst Held erklärte: "Wir haben in einer schwierigen Phase gesagt: Wir holen Huub Stevens nach Hause. Ich habe gemerkt, dass das Feuer in ihm noch brennt. Er konnte mir viel zu Schalke sagen, viel mehr, als ich selbst weiß."

Stevens selbst schwärmte bei seiner Vorstellung: "Ich habe hier sechs Jahre lang gearbeitet, Schalke ist nicht irgendein Verein. Einmal Schalke, immer Schalke. Und so emotional, wie Schalke ist - da nimmst Du einfach viel mit."

Er hatte sich mit Schalke auf einen Vertrag bis zum 30. Juni 2013 geeinigt. Um 9:09 Uhr am Dienstagmorgen hatten Manager Horst Heldt und Finanz-Vorstand Peter Peters die Mannschaft informiert, um 9:57 Uhr betrat Stevens den Trainingsplatz, begrüßte die rund 500 Fans mit einem freundlichen "Guten Morgen" und bekam Applaus.

Auf die Minute pünktlich begann um 10:00 Uhr das Training. Stevens, der einst den berühmten Spruch "Die Null muss stehen!" geprägt hatte ("Ich finde es lustig, dass da immer noch drüber gesprochen wird"), ließ gleich einmal drei Defensivspieler aus der zweiten Mannschaft vorspielen.

Kritik aus dem Netz

In den Jahren nach seiner Demission auf Schalke holte Stevens noch einen Titel: in Österreich, die Meisterschaft mit Red Bull Salzburg im Jahr 2010. Im April wurde Stevens dort entlassen. 2004 war er mit dem 1. FC Köln in die Bundesliga aufgestiegen, legte dann aber sein Amt nieder, um seiner schwerkranken Ehefrau beizustehen.

Stevens neuer Schalke-Trainer

Lachend zurück: Huub Stevens bei seinem ersten Training auf Schalke.

(Foto: dpa)

Für die Schalker ist die Verpflichtung des 57-Jährigen nach dem Schock des burnoutbedingten Rücktritts von Rangnick eine sichere Wahl, auch wenn der knorrige Stevens nicht gerade ein moderner Trainer ist, kein Konzepttrainer, keiner vom Schlage eines Jürgen Klopp und dessen Epigonen, sondern eher das defensive, zerstörende Spiel bevorzugt. Genau deshalb reagieren einige Schalker-Fans auch kritisch auf die Verpflichtung: Im Königsblog schreibt Torsten Wieland: "Huub Stevens steht für Fußball der 90er Jahre". Sportdirektor Heldt habe versagt, weil er zwar angekündigt habe, einen Trainer verpflichten zu wollen, der Rangnicks Fußballphilosophie fortführen könne. Huub Stevens stehe aber für das von Rangnick aus gesehen entgegengesetzte Ende des Fußballphilosophie-Spektrums.

In die gleiche Kerbe schlägt Matthias in der Weide schreibt auf seinem Blog schalkefan.de: "Wenn Huub Stevens auf Schalke ein zweites Mal die Herzen und Hirne der Fans erobern will, muss er ein Förderer der Jugend sein und modernen Offensivfußball spielen lassen." Stevens selbst erklärte dagegen: "Ob es altmodischer oder moderner Fußball genannt wird, ist egal. Das war früher so und ist heute so." Immerhin: Stevens kennt das schwierige Schalker Umfeld. Zudem ist er Schalke stark emotional verbunden. Spätestens seit dem Mai 2001.

Und auch das Ziel, dass der alte, neue Trainer nach dem ersten Training am Vormittag ausgegeben hat, wird dem Anhang gefallen. "Ich möchte mit der Mannschaft ganz oben mitmischen. Ob das möglich ist, müssen wir sehen", sagte der gutgelaunte Niederländer. "Das Team hat Potenzial, ist aber noch nicht stabil."

Zum achten Meistertitel hat es seither für Schalke nicht gereicht. Sie rennen diesem für die Schalker Seele so wichtigen Titel hinter, Jahr für Jahr. Vize-Meister sind sie des Öfteren geworden, ja. Zum letzten mal 2010 - damals ohne gleichzeitig Meister der Herzen zu werden. Aber die Schale auf Schalke wäre die Krönung. Stevens weiß das und er wird versuchen, zehn Jahre nach Anderssons Freistoßtor, sein Werk zu vollenden. Auch wenn er nicht zu viel zurück blicken will: "Es ist wichtig, was heute und morgen ist. Es liegt viel vor uns."

Seine neue Mannschaft liegt nach sieben Spielen auf dem fünften Tabellenplatz, hat allerdings bereits sechs Punkte Rückstand auf die Bayern. Auch Stevens sagt: "Die Meisterschaft ist an die Bayern vergeben. Dahinter ist vieles drin." Am Sonntag beginnt der knorrige Holländer seine neue Mission mit dem Ruhrpott-Klub. Dann kommt er schließlich doch noch nach Hamburg. Zum ersten Spiel mit Schalke - gegen den HSV.

Mit Material von sid.

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