Schalke 04 - Hannover 96 (18 Uhr):Dezibel-Test

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Leon Goretzka im warmen, spanischen Trainingslager. Wohin wandert er bloß? Also sein Blick natürlich. Er geht nach München, also der Spieler Goretzka. Das ist inzwischen klar. (Foto: Tim Rehbein/dpa)

Erstmals seit Bekanntgabe seines Transfers zum FC Bayern tritt Leon Goretzka vor heimischem Publikum auf. Das dürfte ungemütlich werden, da Schalker Fans besonders nachtragend sein können.

Von Jörg Strohschein, Gelsenkirchen

Wie aufrüttelnd und emotional ein Engagement auf Schalke sein kann, davon zeugte das Statement des Betroffenen: "Es war eine lange Zeit bei einem aufgeregten Verein voller Adrenalin. Schalke ist sehr speziell, im Positiven wie im Negativen." In den unruhigen Tagen, in denen sich am Schalker Markt alles um Leon Goretzka dreht, wäre die Rückkehr von Ex-Manager Horst Heldt beinahe untergegangen. Und obwohl der Abschied des 48-Jährigen vor rund eineinhalb Jahren nicht eben ruckelfrei und auch nicht ohne beidseitige Misstöne verlief, so überwiegen beim heutigen Manager von Hannover 96 die guten Erinnerungen und die Faszination über diesen in vielerlei Hinsicht ungewöhnlichen Verein.

Heldt ist bei Weitem nicht der einzige ehemalige Schalker, der diese Erfahrungen machen musste. Es gab schon einige holprige Abgänge beim FC Schalke 04. Neben Heldt hatte vor allem Manuel Neuer stets deutlich zu hören und zu spüren bekommen, wie es ist, wenn die Klub-Anhänger in der Kurve der Auffassung sind, dass sie von einem Spieler verraten wurden. Vor allem dann, wenn derjenige seine Freizeit als Jugendlicher vor seiner großen Karriere auf der Fan-Tribüne der Königsblauen verbracht hatte.

Ganz so intensiv und durchdringend wie bei Manuel Neuer - der noch immer bei jeder Rückkehr nach Gelsenkirchen mit gellenden Pfiffen bedacht wird - dürfte es bei Leon Goretzka zwar nicht werden. Und doch wird der 22-Jährige den Unmut der Schalke-Anhänger am Sonntagnachmittag, im ersten Spiel nach der Bekanntgabe des Transfers, zu hören und spüren bekommen. Es wird ein interessanter Dezibel-Test.

Die Nerven von allen strapaziert

Zum einen dürfte der Umstand, dass es Goretzka im Sommer ebenfalls zum äußerst ungeliebten Bundesligarivalen nach München ziehen wird, erneut auf wenig Gegenliebe bei den Fans stoßen. Zum anderen muteten die Umstände des Wechsels, der sich so zäh wie ein besonders bissfestes Kaugummi hingezogen hatte, bizarr an. So undurchschaubar und so wankelmütig, wie sich Goretzka präsentierte, strapazierte er damit nicht nur die Nerven der direkt Beteiligten, sondern auch die der fußballinteressierten Öffentlichkeit.

Schalkes Manager Christian Heidel war es dann, der den Wechsel am Freitag, ohne Wissen Goretzkas, auf einer Pressekonferenz bekannt gab. Heidel habe den Spieler zuvor telefonisch erreichen und ihn darüber informieren wollen, dieser sei aber nicht an das Telefon gegangen. Daraufhin habe er den Berater Goretzkas informiert, hatte der Manager berichtet. Und obwohl Goretzka nicht den Hörer abgenommen hatte, änderte das nichts an Heidels Vorhaben.

Dabei dürfte es sich aber keineswegs um eine spontane Trotzreaktion Heidels gehandelt haben. Der 54-Jährige ist viel zu lange im Geschäft, um sich nur von seiner möglichen Verärgerung über die unerfreulichen Umstände leiten zu lassen. Heidel vermied es bei der Bekanntgabe, seiner Verärgerung Ausdruck zu verleihen. Aber anzusehen war ihm die Enttäuschung deutlich.

Der Klub machte sich viel zu lang Hoffnungen

Heidels Angaben zufolge hatte ihn Karl-Heinz Rummenigge über den vollzogenen Transfer am Donnerstag informiert. Damit hatte der Bayern-Chef die schier unendliche Hängepartie beendet, bei der sich die Schalker offenbar noch viel zu lange Hoffnung auf eine Vertragsverlängerung des Nationalspielers gemacht hatten. Die Absicht Heidels war es offenbar, auch im Falle dieser Niederlage die Deutungshoheit zu behalten.

Nicht umsonst hatte der Manager, auch nachdem er am Wochenanfang von Goretzka persönlich von dessen Entscheidung informiert worden war, in der Öffentlichkeit weiterhin behauptet, dass der Kampf um den hochtalentierten Mittelfeldakteur noch nicht verloren sei und der Klub weiterhin darauf hofft, dass die Entscheidung des Spielers zu Gunsten der Schalker ausgeht.

Diese politische Vorgehensweise des Managers kann auch als Retourkutsche gegen Goretzka angesehen werden. Zumal dieser im vergangenen Sommer bereits einen unterschriftsreifen Vertrag mit dem Klub ausgehandelt hatte und nur noch die sportliche Entwicklung abwarten wollte - die für ihn dann kaum hätte besser sein können.

Ein Entschuldigungsschreiben ohne Entschuldigung

Der Spieler sah sich aufgrund von Heidels Vorpreschen offenbar dazu gezwungen, eine Art Entschuldigungsschreiben über die sozialen Netzwerke an die Schalke-Fans zu richten, in denen er die Umstände gar nicht näher erläutern wollte, sondern vielmehr um eine faire Behandlung durch die Fans bat: "Ich weiß, dass ich damit euch alle enttäusche und ihr wenig Verständnis dafür aufbringen werdet. Jede Erklärung, die ich jetzt abgeben würde, würde auf wenig Anklang bei euch stoßen", teilte Goretzka mit.

Die Schalker verlieren in Goretzka den Spieler, der den Unterschied im Team ausmachen kann. Der mit seinen Läufen in die Tiefe der gegnerischen Abwehr, seiner Dynamik sowie seinen technischen Fähigkeiten den Kontrahenten häufig große Schwierigkeiten bereitet. Zuletzt fehlte Goretzka wochenlang aufgrund einer Verletzung, was sich weniger an den Ergebnissen zeigte als an dem weniger flexiblen und variantenreichen Spiel seines Teams.

"Wir können keinen Spieler von der Qualität eines Leon Goretzka verpflichten", sagte Heidel mit gequältem Gesicht. "Das hat man ja gesehen. Wir müssen uns jetzt für die kommende Saison etwas einfallen lassen." Die Ruhe, die sie sich in Schalke zuletzt so hart erarbeitet hatten, dürfte nun erst einmal beendet sein.

© SZ vom 21.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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