Schalke gewinnt gegen Wolfsburg:Ein genialer Moment reicht

FC Schalke 04 v VfL Wolfsburg - Bundesliga

Umarmung für Kevin-Prince Boateng: Felipe Santana herzt den Kollegen.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Wolfsburg kann auch ohne Diego verlieren. Im ersten Spiel nach dem Last-Minute-Transfer scheitert der VfL an gemächlichen, aber effektiven Schalkern. Als es darauf ankommt, ist Kevin-Prince Boateng zur Stelle.

Von Benjamin Romberg

Den Schalkern müssen die Worte der Verantwortlichen in Wolfsburg wie Hohn vorgekommen sein. Nur wenige Stunden vor dem Duell der beiden Mannschaften hatte sich der Brasilianer Diego entschieden, nicht mit in den Bus nach Gelsenkirchen zu steigen, sondern lieber auf der VfL-Geschäftsstelle über seinen Wechsel nach Madrid zu verhandeln. Der Verein stimmte zu - und wies in Person von Manager Klaus Allofs vor allem auf die "finanzielle Dimension" des Transfers hin.

Auch ohne die Ablöse von 1,5 Millionen Euro und mit Diego auf der Gehaltsliste (geschätztes Jahreseinkommen: acht Millionen Euro) hätte Wolfsburg den Spielbetrieb wohl nicht einstellen müssen. Es ist eher so, dass der Einkauf von Kevin de Bruyne den Brasilianer schlicht verzichtbar gemacht hat. Mehr als 20 Millionen Euro soll der VfL an Chelsea überwiesen haben. Eine Summe, die Schalke-Manager Horst Heldt im Winter nicht zur Verfügung hatte. Bei weitem nicht. "Natürlich schaut man da neidisch drauf", gab Heldt deshalb vor dem Spiel zu.

Die hochverschuldeten Schalker mussten Jermaine Jones kurz vor Ende der Transferfrist für eine lächerliche Ablöse nach Istanbul ziehen lassen, um sich etwa zwei Millionen Euro Gehalt zu sparen. Auf der Liste der Zugänge steht: Bayern-Reservist Jan Kirchhoff, verletzt. Einziger Trost: Arsenal-Trainer Arsène Wenger bleibt der Wunsch verwehrt, Julian Draxler schon im Winter zu verpflichten. Vorerst. Schon im Sommer könnte es dann so weit sein. Eine festgeschriebene Ablöse von 45,5 Millionen Euro könnte Heldt schlecht ablehnen.

Finanziell können sich die Schalker nicht mit dem VfL messen, so viel ist klar. Sportlich aber schon: Durch Tore von Felipe Santana (9.) und Kevin-Prince Boateng (81.) bezwangen sie den VfL und zogen damit zunächst an Mönchengladbach vorbei auf den vierten Tabellenplatz. Der Vorsprung auf Wolfsburg, der durch Maximilian Arnold zwischenzeitlich zum Ausgleich kam (65.), beträgt damit vier Punkte.

Arnold könnte nun ein noch wichtigerer Teil des Wolfsburger Mittelfeldes werden, das VfL-Trainer Hecking erstmals ohne Diego gestalten musste. De Bruyne spielte zentral, bildete mit Daniel Caligiuri rechts und Ivan Perisic auf der linken Seite eine offensive Dreierkette hinter Ivica Olic. Zudem verteidigte Patrick Ochs nach Gelb-Sperre wieder auf der rechten Seite. Bei Schalke kehrte Benedikt Höwedes in die Startformation zurück, auf der für ihn eher ungeliebten rechten Seite in der Viererkette, wo er für den gesperrten Uchida einspringen musste. Obasi, erstmals seit Monaten wieder in der Startelf, begann auf der linken Seite im Mittelfeld.

Schalke dominierte die Anfangsphase und hatte die erste, zugleich spektakulärste Szene des Spiels: Boateng versuchte es in der achten Minute mit einem Seitfallzieher vom rechten Strafraumeck. Diego Benaglio im Wolfsburger Tor tauchte schnell ab und erwischte den Ball gerade noch, bevor er im langen Eck einschlagen konnte.

Weniger sehenswert war dann der Führungstreffer für Schalke nur eine Minute später. Boateng und Verteidiger Santana warfen sich in eine Ecke, die Perisic eigentlich wegschlagen will. Das Ende der konfusen Szene: Von Santanas Kinn kullert der Ball an den Innenpfosten und von dort ins Tor.

Platzverweis nach verbaler Entgleisung

Wie schwer der Weggang von Diego bei Wolfsburg wiegt, war in der Anfangsphase kaum zu beurteilen. Der Ball landete nur selten dort, wo Diego hätte stehen können, Wolfsburg kombinierte kaum jenseits der Mittellinie. Spielmacher De Bruyne fiel zunächst nur dadurch auf, dass er den Schalker Meyer von hinten abräumte. Die Gelbe Karte blieb so ziemlich der einzige Arbeitsnachweis in der ersten Hälfte.

So war es fast schon logisch, dass die erste VfL-Chance aus einer Standardsituation resultierte (20.). Naldo köpfte eine Ecke ins Tor. Zuvor hatte er sich aber bei Gegenspieler Santana aufgestützt, der Treffer zählte nicht. Abgesehen von einem gefährlichen Distanzschuss von Ochs (24.), war Wolfsburg auch anschließend fast ausschließlich nach Standards gefährlich. Die beste Gelegenheit hatte Luiz Gustavo (34.), der nach einem langen Freistoß aus drei Metern Fährmann anköpfte. Schalke trat offensiv überhaupt nicht mehr in Erscheinung vor der Pause.

Bei Hecking erhärtete sich schon in der ersten Halbzeit der Eindruck, dass das Schiedsrichtergespann um Wolfgang Stark "mit zweierlei Maß" messe. Diesen Eindruck teilte er auch lautstark mit den Umstehenden. Kurz nach Wiederanpfiff war das Maß dann voll - für Stark. Nach einer verbalen Entgleisung gegenüber Linienrichter Mike Pickel stellte er Caligiuri vom Platz (50.).

Der Platzverweis änderte zunächst jedoch nichts an den Kräfteverhältnissen. Im Gegenteil: Wolfsburg nutzte die erste echte Gelegenheit nach der Pause zum Ausgleich (65.). Fährmann musste einen Schuss von Perisic aus spitzem Winkel in die Mitte abprallen lassen, wo der junge Arnold nur noch den Fuß hinhalten brauchte.

Schalke reagierte, suchte erstmals seit der Anfangsphase wieder wirklich die Offensive. Doch Benaglio parierte einen Versuch von Meyer glänzend (70.). Farfan wurde ein möglicher Elfmeter verweigert, nachdem ihn Arnold im Strafraum angegangen war. Und dann hatte Schalke doch noch einen genialen Moment.

Boateng kam nach feinem, weil überraschenden Zuspiel von Neustädter im Strafraum an den Ball - war aber nicht überrascht und schob den Ball an Benaglio vorbei ins Tor.

Schalke-Trainer Jens Keller lobte seine Mannschaft nach der durchschnittlichen Leistung. Nur die Phase nach dem Platzverweis kritisierte er: "Wir haben gemeint, wir haben das Spiel im Griff und haben einen Gang zurückgeschaltet. Nach dem Ausgleich hat man gesehen, dass wir das Spiel unbedingt gewinnen wollten." Wolfsburgs Trainer Dieter Hecking sagte: "Wir hätten ein taktisches Foul nehmen mussen, dann wäre das 2:1 nicht gefallen. Es wäre nicht ganz unverdient gewesen, wenn wir einen Punkt mitgenommen hätten."

Wer jetzt behauptet, Schalke könnte Wolfsburg auch mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln schlagen, der sei daran erinnert, dass Boateng im Sommer auch nicht gerade für lau aus Mailand gekommen ist.

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