Schalke 04:Gejagter Hase

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Er ist schnell, liebt das Dribbling – und geht lange Wege mit dem Ball: Schalkes Amine Harit gilt als Beleg für Manager Heidels Spürsinn. (Foto: Leon Kuegeler/Reuters)

In der Bundesliga wird keiner häufiger gefoult als der 20-jährige Amine Harit. Die Gegenspieler fürchten seine Fähigkeiten zu Recht.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Amine Harit sah nicht nur verzweifelt aus, als das Spiel vorbei war - er war es tatsächlich. Bis zuletzt hatte er viele Extra-Mühen auf sich genommen, um die Partie noch zu wenden. Quer über den Platz kam er gelaufen, um den Landsmann aus der gegnerischen Mannschaft davon zu überzeugen, dass er sich auf dem Weg zur Auswechslung doch ein bisschen beeilen möge, und auch dem gegnerischen Torwart widmete er einen langen Umweg, um ihn wegen fortgesetzter Spielverzögerung zu ermahnen. Aber es half nichts. Beim Schlusspfiff sank Harit vor lauter Enttäuschung in die Knie, ein melodramatisches Bild des Jammers - mutmaßlich keiner der zigtausend Schalker, die am Samstagabend im Stadion das Spiel gegen den 1. FC Köln erlebten, war wegen des dürftigen 2:2 so frustriert wie der 20 Jahre alte Franko-Marokkaner Harit. "Dass wir nicht gewonnen haben, macht mich traurig", sagte er später.

Seit Harit da ist, wird weniger über Manager Heidel geschimpft

Amine Harit muss als Schalke-Profi noch viel lernen. Leid, Enttäuschung und unerfüllte Wunschträume gehören seit 1904 zu den ständigen Begleitern des Gelsenkirchener Fußballklubs, ein Remis gegen den Tabellenletzten zählt zu den kleineren Dramen der Vereinsgeschichte. Zumal da sich der Abend nach königsblauer Klubtradition gestaltete: Alle potenziellen Rivalen hatten an diesem Spieltag für den FC Schalke und dessen Karrieresprung auf den zweiten Tabellenplatz gespielt - bloß Schalke nicht. Aber woher soll der im Sommer aus dem bretonischen Nantes zugewanderte Harit solche Eigenarten der Vereinsseele kennen?

Andererseits hat Harit bei seiner Einreise mehr über Schalke gewusst als die meisten Schalker über ihn. Er kannte den Verein aus dessen (allmählich vergilbender) Champions-League-Historie, und selbstverständlich kannte er auch den typischen Schalker Raúl. Die meisten Fans hingegen wussten von Harit nicht mehr, als dass er der junge Mittelfeldspieler eines französischen Klubs aus der gehobenen Mittelklasse war. Außerdem erfuhren sie, dass sich Harit in seinem vormaligen Klub angeblich vorsätzlich unbeliebt gemacht hatte, damit der Präsident dem Wechsel nach Deutschland stattgibt. Manches deutsche Sportmedium reihte den Neuling daher, selbstverständlich ungeprüft, in die Kategorie Neymar ein - nicht wegen seiner Spielkunst, sondern wegen der Unverfrorenheit, mit der er den Transfer provoziert haben soll. Fans tauschten im Internet ihre Zweifel aus: Was für einen Typen holte der Heidel da ins Haus?

Die meisten Einkäufe des neuen Managers Christian Heidel hatten dem Publikum in der vorigen Saison wenig Freude gemacht. Wenn sie nicht wie Embolo, Coke, Naldo oder Baba langwierige Verletzungen kurierten, saßen sie wie Konopljanka oder Stambouli auf der Ersatzbank, als Mahnmale der Geldverschwendung.

Auch der FC Bayern wollte ihn verpflichten, blitzte aber ab

Wenn jetzt aber, zwei Jahreszeiten später, die Rede auf Amine Harit kommt, dann sind auf einmal alle wieder begeistert von Heidels Spürsinn. Die Manager-Kollegen in der Liga - und die Schalke-Fans sowieso. Selbst der große Raúl hat 2010 längeren Anlauf in Gelsenkirchen benötigt als Harit, der schon in seinem ersten Ligaeinsatz die typischen Merkmale seines Spiels offenbarte: durch sein Tempo, seine Technik und Einsatzfreude und den präzisen Steilpass, der das 2:0 gegen RB Leipzig brachte - und durch die sieben Freistöße, die er seinem Team verschaffte.

Schon in der vorigen Saison beim FC Nantes war er der Spieler, der unter allen Profis der französischen Liga am häufigsten gefoult wurde. Dieses zweifelhafte Vergnügen wird ihm auch in Bundesliga zuteil. Unter vier bis fünf Fouls pro Spiel kommt er nicht davon, 46 sind es bisher in knapp elf Einsätzen. Dass er ständig wie ein Hase von den Hunden gejagt wird, liegt in der Natur seines Spiels. Harit ist schnell, er liebt das Dribbling und geht lange Wege mit dem Ball. Wegen seiner extrem engen Ballführung wird er zum logischen Opfer der gegnerischen Abschirmdienste, sein Verhalten hat er den Gefahren angepasst. Harit fällt zwar oft, aber er fällt meistens kontrolliert. Doch nicht immer ist er sicher vor der Rache aufgebrachter Gegenspieler, wie er neulich beim 4:4-Derby in Dortmund erfuhr, als ihn die Borussen Aubameyang und Castro durchaus sehr übel erwischten.

Spätestens in diesem Derby haben die Schalker Fans angefangen, Harit zu verehren. Schmächtig, wie er ist, sieht er zwar aus, als dürfe er bloß in Begleitung Erziehungsberechtigter das Stadion betreten, aber sein Sportsgeist ist der eines Kämpfers und Malochers. Dies macht aus dem ohnehin so vielseitig begabten und versierten Harit einen Spieler, der für Aufsehen und Interesse sorgt. Mancher Schalker Experte beschwert sich nun sogar schon, warum Heidel dem jungen Mann im Sommer lediglich einen Vertrag über vier statt über fünf oder sechs Jahre gab. Zumal da der FC Bayern bei Harit schon vorstellig geworden ist - wenn auch bereits im Sommer 2016 nach dem EM-Sieg mit der französischen U-19-Nationalelf. Damals widerstanden aber sowohl der FC Nantes als auch Amine Harit dem Werben des Münchner Kaderplaners Michael Reschke.

© SZ vom 06.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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