FC Schalke 04:Achse der Unentbehrlichen

FC Schalke 04 v Borussia Moenchengladbach - Bundesliga

Von Fortuna Düsseldorf geholt, mit Schalke obenauf: Der Belgier Benito Raman ist Vorlagengeber und Schütze wegweisender Tore.

(Foto: Dean Mouhtaropoulos/Getty Images)

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

David Wagner und Michael Reschke hätten sicherlich lustigere Ausflüge unternehmen können, als am letzten Bundesligaspieltag der vorigen Saison ins Düsseldorfer Stadion zu gehen und die Partie der Fortuna gegen Hannover 96 zu schauen. Diese Begegnung hatte dramaturgisch noch weniger zu bieten als das parallel stattfindende Heimspiel ihres neuen Arbeitgebers Schalke 04, bei dem Wagner und Reschke zwei Wochen später ihre Jobs als Cheftrainer bzw. Technischer Direktor antreten sollten, und dennoch sahen die beiden gespannt zu. Ihre Aufmerksamkeit galt Düsseldorfs Spieler mit der Nummer 9 auf dem Rücken, der nicht wusste, dass seine künftigen Vorgesetzten auf der Tribüne saßen. Benito Raman rannte trotzdem in forciertem Tempo hin und her, auf und ab sowie kreuz und quer, er nahm dieses Spiel offenbar ernster, als es war, und das war ja auch genau das, was die beiden Sonderbeobachter sehen wollten.

In seinen jungen Jahren hatte man Raman eine Karriere in der Leichtathletik nahegelegt, weil er als schon als Schulkind im flämischen Gent allen davonlief. Aber er wollte Fußball spielen und nicht bloß rennen, eigentlich wollte er auch lieber Fußball spielen als zur Schule gehen. Er sei "nicht das pflegeleichteste Kind" gewesen und habe Flausen im Kopf gehabt, erzählte er im Sommer der Fachzeitung Schalker Kreisel: "Aber sobald ich auf dem Fußballfeld stand, war ich wie verändert."

Ein offenbar angeborener Jagdinstinkt

Um jenen Benito Raman, 24, haben sich die Schalker nun einige Sorgen gemacht, ein Infekt hielt ihn während der Woche vom Training ab, womöglich wird er erst mal nicht mitspielen, wenn die Knappen am Samstagabend beim FC Bayern antreten. Aber wenn er dabei sein sollte, dürfen sich Manuel Neuer und die Münchner Verteidiger auf einen mühsamen Arbeitstag einrichten. In der neumodischen Spezialdisziplin des "Anlaufens" ist Raman nicht nur wegen seiner Geschwindigkeit, sondern auch wegen seines offenbar angeborenen Jagdinstinkts eine Koryphäe, er wisse oft selbst nicht, warum er loslaufe, hat er berichtet. Er tut es einfach und verbreitet Unruhe. Mönchengladbachs Torwart Yann Sommer, der Ball und Nerven üblicherweise im Griff hat, hat es vorige Woche bei Schalkes 2:0-Sieg exemplarisch erkennen lassen.

Für David Wagner war der Besuch in Düsseldorf damals im Mai eine Bestätigung, dass ihn die Leute in seinem künftigen Klub verstanden hatten. Der rasende Raman würde der richtige Stürmer für seinen Fußballstil sein. Wagners Schalke fordert den Gegner offensiv heraus, die Verteidigung beginnt im Angriff, wobei die Angreifer nicht das Gefühl haben müssen, als Verteidiger missbraucht zu werden. Konzertiertes Pressing und Gegenpressing bilden zwar die Grundlagen von Wagners Rezept, aber auch nicht mehr als das, schnelles, geradliniges Angreifen bleibt das Ziel des Spiels. Durch sein Tempo erschließt Raman die freien Räume, in die ihn seine Mitspieler schicken können, aber dank Technik und Spielintelligenz beschränkt sich sein Nutzen nicht auf Konterattacken. Torgefahr hat er ebenfalls im Angebot, und so hat der von Haus aus designierte Flügelspieler auf Schalke hohes Ansehen als Mittelstürmer erworben. Mit seinen 1,72 Metern wird er nicht so viele Kopfballtore wie Robert Lewandowski machen, aber weniger, als dem Vorgänger Guido Burgstaller mit seinen 1,87 Metern gelungen sind, können es auch nicht sein.

Im Vorjahr eine Ansammlung von Vereinzelten und Verzweifelten

Überall war nach dem 2:0 gegen Gladbach von der starken Schalker Teamleistung die Rede, und tatsächlich ist die Geschlossenheit ein Merkmal für die Verwandlung dieses Teams, das im Vorjahr eine Ansammlung von Vereinzelten und Verzweifelten war. Das Beispiel Raman zeigt jedoch, dass Wagners pragmatisches Kollektiv Platz für die individuelle Note lässt und auf einer Struktur gründet, deren Funktionieren weniger mit dem System als mit den Personen zu tun hat. Solange er das Prinzip des Gemeinsinns einhält, hat auch der Solist Amine Harit genügend Freiheit. In dieser Maschinerie hat sich eine Achse der tendenziell Unentbehrlichen gebildet, die beim sagenhaft abgezockten 19-jährigen Verteidiger Ozan Kabak beginnt und auf dem Weg über den Mittelfeldspieler und Torjäger Suat Serdar zum flinken Benito Raman führt. Lauter Namen, die vor anderthalb Jahren ebenso viel Verbindung nach Schalke hatten wie Wagner und Reschke - nämlich keine.

Während Raman den Wechsel nach Gelsenkirchen im Sommer als Karrierefortschritt auffasste, musste Ozan Kabak erst mal davon überzeugt werden, dass es seiner Karriere nicht schaden würde, zu einem Fastabsteiger zu gehen, der gerade die komplette Führung ausgetauscht hatte. Schalkes Glück war, dass Reschke genau dieses Kunststück schon mal gelungen war, als er den Abwehrmann im vorigen Winter von Galatasaray Istanbul zum VfB Stuttgart brachte. Kabak, dem schon als 18-Jährigen die türkische Süper Lig und sein Istanbuler Heimatklub zu klein geworden waren, hätte zu Juventus Turin und Manchester United gehen können, stattdessen ließ er sich überreden, in kleinerem Stil in der Bundesliga an seiner Laufbahn zu arbeiten. Obwohl er bei einem Absteiger landete, ließ er sich im Sommer von Direktor Reschke ein zweites Mal verführen. Diesmal hatte unter anderem der AC Mailand Interesse angemeldet - und ein gewisser FC Bayern, der aber darauf verzichtete, die verlangten 15 Millionen Euro Ablöse zu investieren. Wenn die Münchner Kabak heute sehen, haben sie Anlass, diesen Entscheid zu bereuen.

Wenn Kabak, wie er das plant, in ein paar Jahren nach England umzieht, dann möchte Schalke davon finanziell profitieren. Man ist es leid, die besten Spieler, wie nun den Torwart Alexander Nübel, ablösefrei der Konkurrenz zu überlassen, und deshalb hat sich der Klub bereits Suat Serdars Management genähert, um den bis 2022 laufenden Vertrag zu verlängern, was Kosten verursachen, aber Beruhigung schaffen würde: Serdar wurde von Wagners Vorgänger Domenico Tedesco entdeckt und für Schalke gewonnen, als er kurz davor war, nach Hoffenheim zu wechseln. Inzwischen ist er Nationalspieler und verkörpert mit seiner Angriffslust das neue Schalker Fußballgefühl.

Es ist jetzt vielleicht nicht der schlechteste Zeitpunkt für die Schalker, um nach München zu fahren. Das Verlieren haben sie sich unter Wagner abgewöhnt, aber der Trainer weiß aus einer Umfrage, dass das Verhältnis von Favorit und Außenseiter weiter gilt. In seiner Mannschaft erkundigte er sich, wer denn schon gegen Bayern gewonnen habe. Es meldete sich lediglich Sascha Riether, der Teammanager.

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