Schalke 04:Ein Befreiungsschlag trifft Mirko Slomka

Das unglückliche 1:5 bei Werder Bremen beendet eine quälende Debatte und kostet den umstrittenen Schalker Trainer den Job.

Ralf Wiegand

Bremen - Noch am Abend der Blamage schlossen sich die Autoritäten des Klubs telefonisch kurz. Die Konsultation der Vorstandsmitglieder Josef Schnusenberg, Peter Peters und Andreas Müller geriet zum Schnellgericht, und das erst gestern um kurz vor eins mittags vom hauseigenen Pressedienst bekannt gemachte Ergebnis bedurfte keiner Erörterung mehr: Schalke 04 trennt sich gemäß einstimmiger Entscheidung des Vorstandes mit sofortiger Wirkung von Trainer Mirko Slomka, 40. Manager Müller trat als Sprecher des drei Mitglieder zählenden Vorstands hervor und teilte mit, dass nach dem 1:5 verlorenen Spiel in Bremen "die Entscheidung gereift" sei, den ohnehin zum Saisonende beschlossenen Abschied vom Trainer vorzuziehen: "Es ist eine Situation entstanden, die sich meiner festen Überzeugung nach in den nächsten Wochen sehr negativ auf die Mannschaft auswirken würde und somit das verbleibende Saisonziel Champions League gefährdet. Daher die schnelle Entscheidung."

slomka schalke

Schwer enttäuscht: Trainer Mirko Slomka sprach nach dem Abpfiff von einem "Desaster".

(Foto: Foto: dpa)

Vereinfacht wurde das rasche Verfahren durch die kurzen Drähte in der Klubführung. Vorstandschef Schnusenberg ist praktischerweise persönlich und beruflich eng verbunden mit dem Vorsitzenden des Aufsichtsrates, Clemens Tönnies. Schnusenberg fungiert als Prokurist im Unternehmen des Fleisch-Großhändlers, und der gab in seiner Rolle als Kontrolleur des Vorstands sofort sein Einverständnis. Mit der Begründung, dass zuletzt "keine sportliche Fortentwicklung zu erkennen" gewesen sei. "Die leidige Diskussion um Slomka hätte zur Belastung werden können", argumentiert Tönnies. Im Verein heißt es, diese Maßnahme sei, "ein kleiner Befreiungsschlag in alle Richtungen".

Als neuer Betreuer der Mannschaft für die übrigen sechs Punktspiele wurde der Trainer der in der Oberliga Westfalen spielenden Amateure berufen. Mike Büskens, 40, ein alter Schalker und Publikumsliebling, der 1997 zu den Uefa-Cup-Siegern gehörte, soll bis Saisonschluss übernehmen. An seiner Seite wird Youri Mulder stehen, eine weitere Schalke-Legende. Im Sommer wird ein anderer kommen, ein Mann, der anders als der Bundesliga-Anfänger Slomka das Prädikat "gestandener Trainer" erfüllt.

Man hatte das alles ahnen können tags zuvor in Bremen, als Slomka seinen mutmaßlich schlimmsten Tag im Amt erlebte. Es begann mit dem schicksalhaft finsteren 1:5, setzte sich fort mit einer Art Fernsehtribunal über seine Qualitäten als Trainer und mit dem bemühten und irgendwie demütigenden Pro-Slomka-Plädoyer seines Bremer Kollegen Thomas Schaaf ("hat sein Können bewiesen", "wird seinen Weg gehen"). Und dann rückte Werders Pressesprecher Tino Polster seine rot umrandete Lesebrille zurecht, faltete einen Zettel auseinander und sagte, einen habe er noch. Zum Spieler des Spiels hätten die Journalisten Tim Wiese gewählt, den Bremer Torwart: "Das sagt ja auch einiges bei einem 5:1." Da ließ Slomka den Kopf sinken und lachte ein tonloses, bitteres Lachen wie jemand, der gerade vergeblich versucht hat, den Gerichtsvollzieher von der Pfändung des Flachbildfernsehers abzuhalten.

Wiese also war der Man of the Match bei der höchsten Niederlage, die Schalke 04 und Slomka in gemeinsamer Geschichte je erlebt haben. So gut war Schalke, dass sich der Keeper auszeichnen konnte wie lange nicht mehr; so schlecht war Schalke, dass sie trotzdem 1:5 untergingen. Irgendwo dazwischen musste also die Wahrheit des Spiels liegen, in der Mitte - aber wann hätte auf Schalke jemals jemanden die Mitte interessiert?

Mehr als zwei Jahre sind der permanent aufgeregte Ruhrpott-Klub und der stets wohltemperierte Norddeutsche gemeinsam durchs Leben gegangen. Sie sind dabei ganz schön weit gekommen. Ins Viertelfinale der Champions League etwa, das der allseits bewunderte und selbst in tiefen Krisen gefeierte SV Werder nie gesehen hat. Oder unter die ersten drei der Bundesliga, dorthin also, wo das Goldtöpfchen am Ende des Regenbogens steht. Auf diesem Weg "haben wir noch nie mehr als zwei Gegentore bekommen", sagte Slomka rückblickend und lag zwar falsch (siehe Kasten), hatte prinzipiell aber Recht: Einmal in zwei Jahren fünf Gegentore in einem Spiel, das Schalke hätte gewinnen können, obwohl ihnen ein Mittwochsauftritt in Barcelona die Beine schwer machte : Was ehrenwert sein könnte, ist Grund genug auf Schalke, die Fanfare zum Weltuntergang zu blasen.

Ein Befreiungsschlag trifft Mirko Slomka

Für einen Moment hatte man das Gefühl, Slomka sei irgendwo zwischen Schlusspfiff und Beginn der Pressekonferenz bereits entlassen worden. Zunächst standen er und Manager Müller in den Katakomben des Weserstadions ein paar Meter auseinander und gaben Interviews. Später, die Pressekonferenz hatte noch nicht begonnen, lief über die Bildschirme im Medienraum das Ergebnis: Müller war mit Slomkas Aussagen konfrontiert worden und kommentierte live die Kommentare des Trainers. Fernsehgericht mal anders. Den gefräßigen Live-Medien, deren Geschäft die Unachtsamkeit des emotionalen ersten Augenblicks ist, war nur deshalb solch ein Spektakel möglich, weil die Schalker mitmachten.

Das Problem von Schalke 04 ist tatsächlich, dass die Mannschaft schlecht spielt - das aber auf höchstem Niveau. In Bremen hatten sie eine halbe Stunde lang alle Möglichkeiten, die noch immer verunsicherte Werder-Elf aus den Schuhen zu schießen. Die Bremer waren unorganisiert in der Defensive, im Mittelfeld ohne Absicherung, die Stürmer blieben wieder ohne Druck. Immer wieder spülte das eigenartige Geschehen einen Schalker frei vor Torwart Wiese, aber Kevin Kuranyi und Halil Altintop übertrafen sich in der Ungenauigkeit des Abschlusses, was hinterher so aussah, als hätte Wiese Werder gerettet. Tatsächlich hatten die eigenen Stürmer Schalke versenkt. "Werder hat uns vorgeführt, wie man ein Meister an Effektivität ist", sagte Slomka, "eiskalt im Abschluss." Das hatten die zuletzt selbst an einer Stürmer-Krise laborierenden Bremer schon lange nicht mehr gehört. Die Krise ist nun übrigens vorbei: Neben dem Treffer des defensiven Kapitäns Frank Baumann schossen die anderen vier Tore die Stürmer Markus Rosenberg, Boubacar Sanogo und Ivan Klasnic (zwei). So schnell geht das.

"Kein richtiges 5:1" sei das gewesen, sagte Tim Borowski, als wolle er sich entschuldigen für den viel zu deutlichen Sieg. Aber da war nichts mehr zu machen für Slomka, und der Trainer offenbarte, wie sehr ihn der stetige Kampf um seinen Ruf und um sein Können zermürbt hat. Leid sei er das, sagte er, "entweder man sieht meine Qualitäten oder man sieht sie nicht". Auch die Elf leide daran, "wir standen auf Platz zwei der Liga und im Viertelfinale der Champions League", sagte er, "und trotzdem wird der Trainer in Frage gestellt. Da kommen die Spieler schon und sagen: ,Trainer, das verstehen wir nicht'." Dann sprach er noch diffus von "Gruppierungen", die ihm das Leben schwer machen wollten, wollte damit aber weder Medien noch Vorstand gemeint haben. Und Manager Müller sagte, man müsse nun "irgendwie die Qualifikation zur Champions League erreichen, mit Mirko". Jetzt halt ohne Mirko. Vielleicht sollten Müller und Schnusenberg mal in Bremen in Sachen Krisenbewältigung hospitieren. Dort hatte sich ja auch einiges angesammelt übers Jahr, viel mehr als das Schalker Kartenhaus je ertragen würde - 0:4 gegen Bayern, 3:6 in Stuttgart, Heimniederlagen gegen Bochum und Duisburg, Champions-League-Aus gegen das zuvor in 31 Auswärtsspielen sieglose Olympiakos Piräus, Schlägereien unter den Spielern, der Acht-Millionen-Flop Carlos Alberto, Suspendierungen, ein Spielmacher Diego, der täglich an einen anderen Ort transferiert wird und zuletzt eine Rückrunde in Absteiger-Manier. Das alles aber konnte das grundsätzliche Vertrauen des Klubs in die Fähigkeiten von Trainer Thomas Schaaf nie erschüttern. Mirko Slomka hat solches Vertrauen nie genossen.

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