Schalke 04 vor dem Revierderby:Ein leiser Hauch Hoffnung ist noch da

Foto : Enttäuschung nach dem Unentschieden .... Klaas - Jan Huntelaar / Schalke Fussball 1. Bundesliga , am Sa. 30.01.2

Da der FC Schalke 04 lediglich im Takt von 14 Tagen ein Tor schießt, ist von der Hoffnung auf den Klassenverbleib nicht viel mehr als ein leiser Hauch geblieben.

(Foto: imago images/Claus Bergmann)

Schalke 04 ist im Begriff, den denkbar miesesten Zeitpunkt für einen Abstieg zu erwischen. Im Derby gegen den BVB versucht das Team nun, das Unvermeidbare zumindest noch einmal hinauszuzögern.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Die Stimmung, die über der 180. Auflage des großen Revierderbys liegt, wäre wohl am besten mit einigen Titeln aus der schönen Welt der Italo-Western beschrieben. Irgendetwas, in dem sowohl die makabre und fatalistische wie auch die brutale und sentimentale Note dieses Duells zusammenfindet. "Schalke - die Geier stehen Schlange" etwa, oder auch: "Die Rechnung wird mit Blei bezahlt". Kevin Großkreutz und der harte Kern der Dortmunder Borussen denken wahrscheinlich eher an Sergio Corbuccis "Fahrt zur Hölle, Ihr Halunken" oder den Reißer "Knie nieder und friss Staub".

Der Melancholie, die das Topspiel des 22. Spieltags begleitet, können sich aber auch die traditionell zur Feindschaft verpflichteten Gäste nicht entziehen. Dem Besuch in Gelsenkirchen, der vorerst für eine Weile der letzte sein könnte, schickten führende Dortmunder Klubvertreter Adressen des Bedauerns voraus. Während Oberborusse Hans-Joachim Watzke Daumendrücken zusagte, damit Schalke 04 doch noch in der ersten Liga bleibt, lobte Sportchef Michael Zorc die sportlichen Fortschritte, die unter der Regie von Trainer Christian Gross gelungen seien: "Ich finde, dass sie in den letzten Wochen nicht so schlecht gespielt haben, wie die Ergebnisse aussagen."

Manager Schneider bleibt zwar bis Saisonende, hat aber kaum noch Entscheidungsgewalt

Diese Meinung wird auf Schalke geteilt, man sieht, dass die Mannschaft stabiler geworden ist und einen höheren Grad von Konkurrenzfähigkeit erreicht hat. Da sie aber weiterhin lediglich im Takt von 14 Tagen ein Tor schießt, ist von der Hoffnung auf den Klassenverbleib nicht viel mehr als ein leiser Hauch geblieben. Dieser könnte beim Treffen mit dem BVB am Samstagabend vergehen wie ein letzter Atemzug.

Dass sich der Verein einer anderen Zukunft in einer anderen Fußballwelt zuwendet, hat er in dieser Woche durch die Bekanntgabe des Abschieds von Sportvorstand Jochen Schneider dokumentiert. Die Umbauten für die zweite Liga haben somit offiziell begonnen. Der Manager bleibt zwar bis Saisonende im Amt, aber er hat nur noch Reste von Entscheidungsgewalt. Bei dieser Trennung sind sich beide Seiten entgegengekommen: Die Leute im Aufsichtsrat waren sich längst darüber im Klaren, dass der Verein einen neuen Mann für das sportliche Geschäft braucht, Schneider wiederum hatte längst eingesehen, dass ein Bleiben nicht sinnvoll wäre.

Die Verhandlungen über die Auflösung seines Vertrages zum 30. Juni, samt Verzicht auf Abfindung für ein weiteres Jahr Laufzeit, waren angeblich im Handumdrehen erledigt: "Nicht mal 15 Sekunden" habe dieser Programmpunkt in Anspruch genommen, heißt es. In der Vorwoche hatte Schneider, 50, in seinem Büro an der Geschäftsstelle noch Besuch von ein paar Hundert wütenden Fans bekommen, die ihm deutlich mitteilten, dass er nicht länger erwünscht sei. Jetzt überlässt er dem Verein eine Stange Geld. Den Besuch der Ultras nimmt er nicht krumm: "Wir hatten einen kontroversen, manchmal lautstarken Austausch." Schneider mag sich damit trösten, dass es vielen seiner Vorgänger ähnlich ergangen ist, der große Rudi Assauer inbegriffen.

Als Spitzenkandidat fürs Traineramt gilt vielen Paderborns Steffen Baumgart

Auch Trainer Gross wird seine Arbeit nicht fortsetzen. Schalke sucht bereits den Nachfolger, und der Name eines Spitzenkandidaten macht auch schon überall die Runde: Steffen Baumgart hat in vier Jahren beim SC Paderborn nicht nur Zweitliga-, sondern auch Erstligatauglichkeit nachgewiesen. Er lässt interessanten, sehenswerten Fußball spielen, trägt die Energie von mehreren Pferdestärken in sich, ist wetterfest bei Regen, Schnee und Hitze und in seiner entschieden erdverbundenen Art ein Schalker, wie ihn sich viele Schalker wünschen. Außerdem läuft sein Vertrag mit Paderborn zum Saisonende aus, Gespräche über eine Fortschreibung soll es nach Baumgarts Wunsch frühestens im März geben.

Eine gute Gelegenheit für die Schalker, ihr Interesse zu hinterlegen und beizeiten ebenfalls in Verhandlungen einzusteigen. Das geht jedoch nur, wenn ein Nachfolger für Schneider gefunden ist und dieser die Idee für gut hält, Baumgart zu engagieren. Vielleicht würde es schon genügen, wenn der zuständige Sportdirektor sein Okay geben würde. Den muss der Verein allerdings ebenfalls erst noch finden - und weiß nicht mal, ob überhaupt einer gebraucht wird. Ob er mit einem Sportdirektor an der Seite oder allein in eigener Regie arbeiten möchte, das muss nämlich der Sportvorstand entscheiden. Der aber noch nicht da ist, etc., etc.

Da offenbaren sich die ungeheuren Komplikationen, die Schalkes Aufsichtsrat jetzt alle gleichzeitig zu entwirren hat. Das Gremium, das lediglich die Aufgabe hat, die Arbeit des Vorstands zu überwachen, ist zurzeit das gestalterische Zentralorgan des Vereins. Einige Beobachter in der Szene sehen es mit Sorge. Speziell Profi-Manager mit Fußballer-Vergangenheit haben oft skeptische Ansichten über die mehrheitlich aus der Wirtschaft stammenden Aufsichtsräte: Haben keine Ahnung vom Sport und der Kabine und quatschen zu viel mit Presseleuten, meinen sie. Letzteres wird sogar von den Beschuldigten selbst nicht bestritten. Neuigkeiten aus den Sitzungen des Schalker Aufsichtsrates gelangten manchmal noch während der Tagung an die Medien, heißt es.

Im Schalker Aufsichtsrat hat man aber durchaus Ahnung vom Sport, man weiß zum Beispiel, dass die neue Mannschaft in der zweiten Liga einen Angreifer brauchen wird, "der mindestens zwei Meter groß ist, besser noch 2,50 Meter". Auch in diesem Kreis hat es sich also rumgesprochen, dass der Wiederaufstieg nur mit Ligaexperten wie Simon Terodde zu schaffen ist (der sich aber gerade um den Hamburger SV verdient macht). Da Schneider für die Beschaffung dieser Männer respektive eines zweitligafähigen Teams nicht mehr zuständig ist, hat der Aufsichtsrat einen Rat der Experten zur Kaderplanung eingesetzt: Juniorentrainer Norbert Elgert, 69, soll die Tauglichkeit der jungen Spieler bewerten, Mike Büskens, 52, die Eignung für die Spielklasse begutachten, Nachwuchsleiter Peter Knäbel, 54, die strukturelle Arbeit koordinieren. Es geht um Ein- und Verkauf.

Spieler mit Gehältern, wie sie Matija Nastasic, 27, oder Mark Uth, 29, derzeit beziehen, kann sich Schalke in der zweiten Liga nicht leisten. Uths Vertrag hat nach SZ-Informationen ebenso wie der von Nationalspieler Suat Serdar, 23, auch beim Abstieg Gültigkeit. Das ist ein Segen, weil der Verein noch ein paar Millionen Euro Ablöse erwarten darf, aber auch ein bisschen gefährlich, weil es Uth einfallen könnte, sein letztes Vertragsjahr zu erfüllen. Normalerweise sollte es für einen Spieler seiner Klasse kein Problem sein, einen guten Klub zu finden. Aber die Fußball-Wirtschaft steckt in der Corona-Rezession, der Transfermarkt ist karg ausgestattet. Für die Rückkehr zu seinem Herzensverein, dem 1. FC Köln, müsste Uth auf sehr hohe Anteile seines jetzigen Gehaltes verzichten.

Es heißt, die Schalker seien viel zu sentimental und verliebt in die eigene Folklore

So ist Schalke im Begriff, den denkbar miesesten Zeitpunkt für einen Abstieg zu erwischen und seine tragikomische Klubgeschichte fortzuschreiben. Jahrelang wurde die Hierarchie des Ruhrpott-Fußballs im Derby zwischen Schalke und Dortmund geklärt, jetzt verschiebt sich die Rangfolge womöglich und das auf unbestimmte Zeit. Der VfL Bochum strebt den Aufstieg in die Bundesliga an, Rot-Weiß Essen den Einzug in die dritte Liga, dem MSV Duisburg droht hingegen die Regionalliga.

Pessimisten, von denen es rund um Schalke stets viele gibt, prophezeien ihrem Verein ein Schicksal, das eher dem der Zebras gleicht als dem der alternativen Referenzgröße, dem Hamburger SV. Das aktuelle Vakuum in der Schalker Führung gibt Anlass zur Beunruhigung. Dem Aufsichtsrat ist bewusst, dass es mit der Besetzung der Schlüsselpersonalien eilt, es wurden schon einige Kandidaten angesprochen; Leipzigs Markus Krösche soll jedoch, anders als berichtet, nicht dabei gewesen sein.

Vorerst hat das Trio Elgert, Büskens und Knäbel die Planungshoheit. "Sehr viel Erfahrung, sehr viel Expertise und sehr viel Schalke-DNA" sei da beisammen, lobt Jochen Schneider. Ob aber der Status als Vereinslegende Büskens und Elgert für den Management-Job qualifiziert? Die Schalker seien viel zu sentimental und viel zu verliebt in ihre eigene Folklore, hat in deren besten Jahren ein Kritiker aus der Nachbarschaft festgestellt. Hans-Joachim Watzke, so heißt der Mann, darf sich bestätigt fühlen.

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